Die Menschen haben guten Grund, wütend zu sein.
Paul Collier, Professor in Oxford
Liebe Leserinnen und Leser
Vor über 30 Jahren studierte ich an einer englischen Universität. Es handelte sich um eine Campusuniversität, wo man auf dem Unigelände wohnt, arbeitet und lebt. Die Uni hat in gewissen Fächern einen sehr guten Ruf.
Man kommt sich auf diese Art nahe und lernt einiges über die Mitstudenten. Was mir schnell auffiel: Im Vergleich mit der Schweizer Maturität war das Niveau der englischen Erstsemestrigen eher bescheiden. Obwohl sie sich in der Mittelschule auf die Fächer, die sie dann studieren, konzentrieren können, waren sie auch dort recht weit vom Schweizer Niveau entfernt. Und es handelte sich bei diesen Studenten um die Elite des Landes. Die Dozenten waren hingegen Klasse.
Weiter fiel der im Vergleich zur Schweiz extrem hohe Ausländeranteil auf. Englische Unis sind ein Wirtschaftsfaktor. Viele Länder, vor allem ehemalige Kolonien, schicken ihre besten Mittelschulabsolventen nach England zum Studium. Sie kehren dann in Kaderjobs zurück in ihre Heimat – oder bleiben gleich in England.
Ich reiste in dieser Zeit viel im Land herum und lernte einiges, sowohl über die soziale wie auch die regionale Schichtung. In vielen Großstädten gab es schon damals eine ausgeprägte Ghettoisierung. Vom einen Straßenzug zum anderen sah es ärmlicher aus und man wähnte sich in Indien oder Pakistan. Auch die wirtschaftliche Transformation von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft traf nicht alle Landesteile gleichmäßig.
Zusätzlich gibt es immer noch den Adel, die Mittelschicht und auch heute noch eine ausgeprägt arme, weiße Unterschicht. Ich hatte einen Mitstudenten, einer der ganz wenigen, die aus dieser Schicht stammten. Er sprach mit dem Cockney-Akzent der ärmeren Schicht aus dem Osten Londons.
Wer es nicht an die Universität schafft, hat nicht viele Aufstiegsmöglichkeiten. Es gibt dort kein duales Bildungssystem mit Berufsbildung und entsprechenden Aufstiegschancen. Es gibt die Uni oder gar nichts. Dass jemand wie UBS-Chef Sergio Ermotti sich in eine solche Position hocharbeitet, wäre in England undankbar. Der Tessiner hat eine Banklehre mit entsprechender Weiterbildung gemacht. Eine Uni hat er nie von innen gesehen.
Diese Entwicklung in Großbritannien hat zwei verheerende Folgen: Erstens verfestigen sie die sozialen und einkommensmäßigen Unterschiede. Und zweitens sorgt dieses System für eine stetige Einwanderung von Fachkräften, weil das eigene Bildungssystem diese nicht zur Verfügung stellt. Der polnische Spengler war dafür sprichwörtlich.
Dann kam der Brexit. Populistische Kreise von in- und außerhalb der konservativen Partei präsentierten ihn als Lösung gegen die ungeliebte Einwanderung, ohne auf deren Ursache einzugehen. Allerdings hat sich diese seit dem Brexit-Referendum von 2016 nicht abgeschwächt, sondern sogar verdoppelt. Und die konservative Regierung hat die Finanzkrise mit Sparmaßnahmen ohne sozialen Ausgleich bekämpft.
Nicht nur geringe Erwerbsquoten, religiöse Arroganz und überproportional hohe Gewalt- und Sexualkriminalität von Einwanderern aus gewissen Herkunftsländern, sondern auch die Tatsache, dass Flüchtlinge auf Unterstützung zählen können, die der weißen Unterschicht verschlossen bleibt, hat im Vereinigten Königreich zu einer großen Wut geführt.
Das Pulverfass zum Explodieren brachte dann der Mord an drei Mädchen in einer Tanzschule im nordenglischen Southport. Die Falschmeldung, wonach es sich um einen muslimischen Einwanderer handelte, wurde schnell korrigiert. Es handelte sich um einen in England geborenen Mann mit ruandischem Migrationshintergrund. In den Folgetagen kam es dann zu massiven Ausschreitungen. Viele Medien weigerten sich zuerst, die Umstände der Gewalt in England zu benennen. Es geht um grenzenlose Migration, die einer perspektivlosen weißen Unterschicht wie eine ständige Provokation vorkommt.
Die neue Labourregierung, angeführt vom ehemaligen Staatsanwalt Keir Starmer, hatte den Schuldigen schnell gefunden: Rechtsextreme. Die Regierung reagierte mit Härte und die Liste der Angeklagten wird immer länger und umfasst sogar einen Zwölfjährigen. Außerdem lässt sich Starmer die goldene Gelegenheit nicht entgehen, von sozialen Netzwerken zu verlangen, gegen «Hassbotschaften» und «Fake News» vorzugehen. Sie kritisiert auch Elon Musk persönlich.
In der Zwischenzeit sind die Unruhen etwas abgeflaut. Auch die Presse berichtet differenzierter. Hier erklärt Oxford-Professor Paul Collier, warum diese Menschen allen Grund haben, wütend zu sein und die Demonstranten zu Unrecht als «Rechtsextreme» und «Rassisten» abgetan werden.
Klar ist, dass sich die Geschichte wiederholen wird, wenn die Regierung den Armen und Abgehängten keine Perspektiven bietet.
Herzlich
Daniel Funk
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