Nach der Flucht der Armenier aus ihrer angestammten Heimat im Herbst 2023 wird die Hauptstadt von Bergkarabach ab September von Aserbaidschan besiedelt.
Der aserische Präsident Ilham Alijew hat erklärt, dass Baku ab September mit der Besiedlung der Hauptstadt von Berg-Karabach beginnen wird, die von der mehrheitlich armenischen Bevölkerung verlassen wurde.
Die aserischen Streitkräfte hatten im vergangenen Jahr mit dem zweiten Blitzkrieg seit 2020 die vollständige Kontrolle über die armenische Enklave übernommen.
Die gesamte autochthone armenische Bevölkerung der Bergregion, deren Hauptstadt Khankendi in Armenien als Stepanakert bekannt ist, floh ins armenische Mutterland. Etwa 120.000 Menschen wurden von ihrer Scholle vertrieben. Armenien bezichtigt Aserbaidschan der ethnischen Säuberung, was von Baku bestritten wird. Dieses hat angekündigt, dass ethnische Armenier, die in der Enklave lebten, in seinem Hoheitsgebiet willkommen sind.
Die Armenier aus Karabach behaupten, sie hätten die Enklave verlassen, weil sie sich unter aserischer Oberhoheit nicht sicher fühlten. Diese Einschätzung ist nur zu verständlich, wenn man sich an die wiederholten Pogrome erinnert, die sowohl in den frühen 1990er Jahren als auch nach dem Ersten Weltkrieg – vor allem in Baku – gegen Armenier stattgefunden haben.
Alijew, seit 2003 an der Macht, ist in diesem Jahr wiedergewählt worden. Die diesjährigen Wahlen wurden von westlichen Beobachtern als weder frei noch fair kritisiert. Von der nationalen Presseagentur Aserbaidschans wurde er zitiert, als er bei einem Treffen mit Einwohnern in Chodschali, einer Stadt in Bergkarabach, über das verlassene Stepanakert sprach.
«Die ersten, die umziehen, werden die Studenten und ihre Lehrer sein», sagte Alijew und ergänzt, dass «die Universität von Karabach ihre Arbeit aufnehmen wird».
Alijew fügte hinzu, dass die Besiedlung der Geisterstadt Aghdam ebenfalls im September beginnen wird. Aghdam war seit dem Waffenstillstand von 1994 verlassen, da die Demarkationslinie in unmittelbarer Nähe verlief. Dort befand sich dann seit 2020 das gemeinsame russisch-türkische Zentrum zur Überwachung des Waffenstillstands, das im vergangenen Monat im Zuge des Abzugs der russischen Friedenstruppen aus der Region geschlossen wurde.
Stepanakert ist wegen des Krieges und der nachfolgenden Flucht fast leer. Einen Monat nach dem Massenexodus der Zivilbevölkerung lebten nur noch einige hundert Menschen in der Stadt, sagte ein Beamter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.
Die Krankenhäuser arbeiteten nicht mehr, und die armenischen Behörden haben die Stadt verlassen. Die verlassenen Straßen der Stadt, in der einst bis zu 75.000 Menschen lebten, boten ein «surreales» Bild, so der Beamte im vergangenen Oktober. Im März strahlte das aserbaidschanische Staatsfernsehen Aufnahmen von Baggern aus, die das Gebäude zerstörten, in dem sich einst das armenische Regionalparlament befand.
Quellen berichteten der Nachrichtenagentur Reuters im vergangenen Jahr, dass die Rückeroberung des Gebiets ein persönlicher Kreuzzug für Alijew war. Dessen Vater, der damalige Präsident Haidar Alijew, hatte dort während eines früheren Krieges 1988-1994 eine schmachvolle Niederlage erlitten. Der jüngere Alijew trat die Nachfolge seines Vaters nach dessen Tod im Jahr 2003 an.
Die Friedensgespräche zwischen Baku und Eriwan dauern an. In der Zwischenzeit hat Armenien vier unbewohnte Grenzdörfer an Aserbaidschan zurückgegeben, was in diesem Monat zu massiven Protesten auf den Straßen von Eriwan und zu Forderungen nach dem Rücktritt von Premierminister Nikol Paschinjan führte.
Kommentar von Transition News
Die Vertreibung der Armenier aus Bergkarabach, wo sie tausende von Jahren gelebt hatten, scheint nach dem gleichen Muster abzulaufen wie alle anderen Vertreibungen und Genozide, die Aserbaidschan und ihre Bundesgenossen in der Türkei während und seit dem Ersten Weltkrieg organisiert haben. Seien es die Armenier in Anatolien, die Pontosgriechen am Südufer des Schwarzen Meeres, die Smyrnagriechen oder die Armenier in der aserischen Enklave Nachitschewan – das Drehbuch ist ähnlich.
Die Protagonisten sind manchmal, aber nicht immer, anders. Auch zeitlich geht es nicht immer derart ratzfatz wie jetzt in Bergkarabach. In Nachitschewan dauerte es unter dem damaligen sowjetischen Statthalter Alijew (Vater) Jahrzehnte.
Das Resultat ist aber immer gleich. Nach der Vertreibung der Bevölkerung folgt die Wiederbesiedlung durch Türken respektive Aseris. Dann folgt die Zerstörung der Kirchen und Kulturgüter.
Eine weitere Konstante ist die Tatsache, dass dies unter dem Auge der Weltöffentlichkeit geschieht, der «Wertewesten» aber keinen Finger rührt.
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