Im Interview mit der Weltwoche teilt der ehemalige Schweizer Bundespräsident und Bundesrat Ueli Maurer seine Erfahrungen mit Weltführern und seine Amtszeit als Bundesrat und spricht über die aktuellen Herausforderungen für die Schweiz. Auf die Frage, wie er die Weltlage betrachtet, antwortet der SVP-Politiker:
«Ich habe eigentlich das Gefühl, ich sitze auf einem Pulverfass. Wir alle sitzen auf dem Pulverfass, und das kann plötzlich explodieren. Und irgendwo helfen alle noch mit. Mir kommt immer ‹Biedermann und die Brandstifter› in den Sinn. Da wird ja auch die Zündschnur ausgemessen und Zündhölzchen werden gegeben. Wir sind ein bisschen in dieser Rolle der Brandstifter. Das macht mir Sorge, und niemand ist offensichtlich in der Lage, das etwas einzudämmen. (…) Die letzten 70 Jahre hatten wir nie eine solche Situation, derart kontrovers, Brandherde überall auf der ganzen Welt. Das ist eine neue Situation für mich und für alle wahrscheinlich. Das gab es noch nie in diesem Ausmaß.»
Begegnungen mit Weltführern: Putin, Xi und Trump
Am meisten Sorge bereitet Maurer das Fehlen von Führungskräften. Es gebe keine Diskussion und keine langfristige Strategie. Man handle getrieben, täglich komme etwas Neues. Dadurch nehme die Gefahr zu, Fehler zu machen. Allerdings sieht Maurer im chinesischen Präsidenten Xi Jinping, den er getroffen hat, eine wichtige Führungskraft. Er betont insbesondere Xis langfristige strategische Vision und Chinas bedeutende wirtschaftliche Erfolge. Der chinesische Präsident sei eine der Persönlichkeiten, die den Überblick haben, aber er werde geächtet. Maurer weiter:
«Amerika ist in einer absoluten Krise, Europa hat keine Leaderfigur, überhaupt nicht mehr. Und vielleicht liegen auch die politische Zukunft oder die Führungsleaderfiguren eher in Asien, gleich wie das bei der Wirtschaft sich ja auch abzeichnet.»
Der ehemalige Bundesrat schildert auch seine Eindrücke von Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Er beschreibt Putin als strukturierten und interessierten Menschen, der stark im Kontrast zu Trumps unkonventionellem und unberechenbarem Stil steht:
«Wir alle, nicht nur ich, sondern meine ganze Delegation war positiv überrascht von der Persönlichkeit von Herrn Putin, auch vom Gespräch und dem Gesprächsklima, das wir hatten. (…) Ich glaube, er müsste einfach ernst genommen werden. Und ernst nehmen, glaube ich, muss man eben auch die Sorgen Russlands um die Sicherheit. Das ist nicht nur gespielt. Aber ich habe das auch damals als Verteidigungsminister erfahren, in Gesprächen mit der russischen Armee, mit den Generälen: Man hat Respekt und auch Sorge um die Sicherheit wegen der EU, wegen der NATO. Und diese Sorgen hat man nicht genügend ernst genommen. Das ist mehr als etwas, das nur gesagt wird, sondern es wird auch so empfunden.»
Den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sieht Maurer als einen unkonventionellen Politiker, der polarisiert und oft bewusst provoziert. Trotz seiner kontroversen Art könne Trump einige Erfolge vorweisen, insbesondere in der Wirtschaftspolitik. Seine direkte Art habe zudem viele Menschen angesprochen, die sich von der traditionellen Politik abgewandt haben. Über einen möglichen Wahlsieg Trumps meint Maurer:
«Also wir haben mit der republikanischen Partei und Administration immer besser zusammengearbeitet als mit den Demokraten. Das ist nun einfach einmal so. Und ob es dann Trump ist oder ein republikanischer Kandidat, der nicht in Sicht ist: Die Schweiz kann sich damit besser arrangieren, glaube ich, als mit einer demokratischen Regierung in Amerika.»
Schweizer Neutralität und geopolitische Spannungen
Maurer geht zudem auf die historische Neutralität der Schweiz und ihre jüngsten Herausforderungen im Zuge geopolitischer Spannungen ein, insbesondere des Konflikts in der Ukraine. Er bedauert die Abkehr der Schweiz von ihrer neutralen Haltung und die Verwirrung, die dies international verursacht hat. Er setzt sich für die Neutralitätsinitiative ein, über die abgestimmt werden wird. Seiner Meinung nach könnte sie dazu beitragen, die traditionelle neutrale Position der Schweiz und das internationale Vertrauen wiederherzustellen.
In der Diskussion über die militärischen Fähigkeiten der Schweiz betont Maurer die Bedeutung einer starken nationalen Verteidigung. Im Laufe der Zeit kann sich Maurer eine Zusammenarbeit in Teilbereichen mit der NATO vorstellen, «aber sicher nicht im Voraus»:
«Das ist wirklich falsch, das stärkt die Sicherheit der Schweiz nicht, sondern es schwächt sie sogar.»
Der SVP-Politiker äußert Bedenken über die nachlassende Motivation der Jugend für den Militärdienst, die die Verteidigungsbereitschaft der Schweiz beeinträchtigen könnte.
Aufarbeitung der Corona-Politik
Das Gespräch geht dann auf die Corona-«Pandemie» über. Maurer kritisiert dabei die spaltende Atmosphäre, die dadurch entstanden ist. Menschen seien oft aufgrund ihrer Meinungen und Handlungen polarisiert worden. Er findet es notwendig, die Corona-Politik umfassend zu überprüfen, einschließlich des Zusammenspiels zwischen Politik und Medien sowie der Transparenz wissenschaftlicher Informationen. Insbesondere bei Leuten in der Covid-Task-Force müsse aufgearbeitet werden. Er fordert künftig kritisches Denken und Verantwortung im Umgang mit solchen Krisen:
«Man müsste einmal einfach noch nachvollziehen, aufgrund welcher Daten man entschieden hat, weil ich das immer relativ faktenfrei erlebt habe. Im Wochenrhythmus kamen neue Horrormeldungen, und man hat sofort irgendwo reagiert. Man hat die langfristigen Ziele etwas aus den Augen verloren. (..) Die Aufarbeitung muss aber nicht nur in der Politik erfolgen, sie muss ebenso in der Wissenschaft erfolgen, auch weil die Wissenschaft meiner Meinung nach nicht nur gut gearbeitet hat, auch das müsste hinterfragt werden. (…) Letztlich müsste man auch die Medien und ihr Verhältnis mit der Politik noch einmal aufarbeiten. Die Medien waren nicht die kritische vierte Kraft in diesem ganzen Prozedere, sondern sie waren die Staatsmedien und haben nach- oder vorgebetet, was zu tun sei.»
Maurer konstatiert, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weitgehend den Takt angegeben hat. Er fordert für die Schweiz eigenständige Lösungen:
«Wir sind klug genug, oder besser, klüger als eine WHO, weil wir uns kennen, weil wir zusammenarbeiten. Und alles, was international auf die Schweiz loskommt, ist in der Regel schlechter als das, was wir selbst erarbeiten, sei das WHO, sei das EU, sei das NATO. Die Unabhängigkeit und die Möglichkeit selbst zu entscheiden in unserer Demokratie, ist immer die bessere Lösung als eine internationale Lösung.»
Der föderalistische Ansatz und bürokratische Herausforderungen
Der ehemalige Bundespräsident hebt die Herausforderungen für die Schweiz hervor, die durch wachsende Bürokratie und eine «risikoarme» Verwaltung entstehen. Diese würden oft eine effektive Regierungsführung behindern. Trotz dieser Probleme empfindet er seine Zeit im Bundesrat als erfüllend, da sie einzigartige Möglichkeiten bot, mit einflussreichen Führungspersonen in Kontakt zu treten und wertvolle Einsichten zu gewinnen. Er verteidigt den föderalistischen Ansatz in der Schweizer Politik.
Auf einer Skala von eins – nicht sehr demokratisch – bis zehn – sehr demokratisch – wertet Maurer die Schweizer Demokratie als sechs bis sieben. In der Regel funktioniere die Demokratie, «wenn man die Wähler informieren kann».
In Bezug auf die breiteren gesellschaftlichen Herausforderungen äußert Maurer seine Besorgnis über den möglichen Verlust von Identität und Geschichte aufgrund zunehmender Migration. Er erachtet es als notwendig, dass die Schweiz ihren Werten und Traditionen treu bleibt.
Finanzielle Belastungen müssen laut Maurer ohne Steuererhöhungen oder erhöhte Verschuldung gemeistert werden. Dies, so glaubt er, sei entscheidend für die Aufrechterhaltung der nationalen Stabilität und Kohäsion.
Maurer erklärt, als Politiker sei es wichtig, sich selbst treu zu bleiben, wobei das nicht bedeute, unkritisch gegenüber sich selbst zu sein. Der größte Fehler in seinem Leben ist Maurer zufolge, dass er Bundesrat wurde. Man verliere dadurch einen Teil seiner Identität. Man sei plötzlich eine öffentliche Person, die nirgendwo auftauchen kann, ohne dass sie angesprochen wird. Das sei positiv, aber auch negativ. Die Familie leide jedenfalls darunter.
Abschließend legt der Alt-Bundesrat Wert auf die christliche Tradition, obwohl er die Kirche und ihre Vertreter kritisch betrachtet.
Kommentare