Eine interessante Perspektive auf den Alaska-Gipfel vor einer Woche und das Washington-Treffen von US-Präsident Donald Trump mit der «Koalition der Willigen» am Montag bietet der ungarische Diplomat György Varga. Er war in Russland, der Ukraine und Moldawien diplomatisch tätig, unter anderem als Botschafter, und von 2017 bis 2021 Leiter der OSZE-Beobachtermission in Russland. Aus seiner Sicht hat die US-Außenpolitik «endlich den Kurs eingeschlagen (...), den Präsident Trump bereits im Wahlkampf angekündigt und im Januar begonnen hatte».
György Varga im Februar 2025 in Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Der erfahrene Diplomat erklärte in einem am Dienstag veröffentlichten Podcast-Interview, dass der Gipfel in Alaska und der Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dabei dem diplomatischen Protokoll entsprach. Zu den westlichen Journalisten und Politikern, die das Treffen von Trump und Putin als «Theater» beschreiben, sagte er, dass dies sich in den letzten Jahren in eine Russlandfeindseligkeit hineingesteigert hätten. Deshalb sei für sie der Empfang für Putin durch Trump in Alaska ein «Stich ins Herz» gewesen.
«Das ist eine sehr, sehr schlechte, im Grunde emotional begründete Haltung und keine rationale Außenpolitik.»
Varga sagte, er sehe es mit einer rationalen Haltung für selbstverständlich an, dass Großmächte so miteinander umgehen müssen, wie es in Alaska zu sehen war. In Bezug auf das Treffen Trumps mit Wolodymyr Selenskyj und westeuropäischen Politikern, stellte er fest, dass Bundeskanzler Friedrich Merz als Einziger für die vom US-Präsidenten bereits verworfene Idee eines Waffenstillstands eintrat. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni habe dabei im Weißen Haus mit ihrer Mimik nicht verbergen können, dass Merz gegen die Absprachen handelte.
Der ungarische Diplomat warf dem deutschen Kanzler vor, die Interessen Deutschlands und Europas zu missachten und aufzugeben. Die Politik Berlins und Brüssels schade der eigenen Wirtschaft, während Merz die US-Politik beeinflussen und schon Bundeswehrsoldaten in die Ukraine schicken wolle.
«Er behauptet Unmögliches, plant Unmögliches und gibt die deutschen und europäischen Wirtschaftsinteressen völlig auf.»
Das liege an der Person von Merz, so Varga, der auf dessen Verbindungen zum US-Finanzverwalter BlackRock verwies. Der deutsche Kanzler sei «in seiner Ideologie so sehr mit der globalen Finanzelite, der amerikanischen Demokratischen Partei und der früheren Biden-Regierung verbunden» und könne sich anscheinend nicht davon lösen. Zu den westeuropäischen Vorschlägen, eigene Truppen zur «Friedenssicherung» zu stationieren – was Moskau weiter kategorisch ablehnt –, erklärte Varga, damit würden NATO-Stützpunkte in der Ukraine unter einem Vorwand errichtet.
Damit zeige sich die «Koalition der Willigen» als eine «Koalition der Unruhestifter». Für den Diplomaten ist klar:
«Leider vertreten sie auch in dieser Frage nicht die europäischen Interessen, denn wenn es tatsächlich gelingt, Frieden zu erreichen, und die Ukraine die Neutralität akzeptiert, gibt es keine größere Garantie, als dass die Ukraine ein neutrales Land ist und keine fremden Truppen auf ihrem Territorium stationiert sind.»
Er warf der «Koalition der Willigen» vor, den Krieg ebenso wie die russlandfeindliche Politik nicht stoppen zu wollen, obwohl das zum eigenen Schaden sei. Der EU falle es schwer, zur Normalität zurückzukehren. Sie befinde sich damit «auf einem sehr falschen Weg», stellte Varga fest.
Den europäischen Politikern beziehungsweise denjenigen von ihnen, die nach Washington kamen, wirft er vor, «konkrete Verbrechen in diesem Krieg begangen» zu haben, «bei seiner Vorbereitung und Durchführung». Dazu gehöre die Unterstützung für den Maidan-Putsch im Februar 2014 und das nicht durchgesetzte Minsker Abkommen 2015, obwohl es ein Dokument des UN-Sicherheitsrates war:
«Die Ukraine hat diese Vereinbarung nie umgesetzt, niemand hat sie dazu aufgefordert, also haben sie in schuldhafter Weise die Voraussetzungen für den Krieg geschaffen.»
Varga zählt auch dazu, dass der ehemalige britische Premier Boris Johnson im April 2022 die Kiewer Führung davon abhielt, das mögliche ukrainisch-russische Friedensabkommen zu unterzeichnen. Damit sei verhindert worden, dass der Krieg nach sechs Wochen wieder enden konnte, wozu Moskau und anfangs auch Kiew bereit gewesen seien. Dagegen erkenne Washington inzwischen die Realitäten an und wolle wieder normale Beziehungen zu Russland herstellen.
Es sei offensichtlich, dass die US-Führung erkannt habe, dass der Krieg in der Ukraine verloren ist. Der ungarische Diplomat machte auf die bisher 700 Milliarden Dollar an westlicher Hilfe, vor allem militärischer, für die Ukraine aufmerksam. Davon profitiere die westliche Rüstungsindustrie. Die hätte den Krieg in der Ukraine genutzt, «um die in der Zeit des Kalten Krieges angehäuften Waffenbestände aus den Lagern der Rüstungsunternehmen und der Geldgeber hinter ihnen zu räumen, deren weitere Lagerung oder Vernichtung nur Kosten verursacht hätte».
Der Westen habe alte Technik geliefert, während nun die Rüstungsindustrie auf Hochtouren laufe. Es sei klar:
«Wenn Frieden einkehrt, dann werden die Aktien der Rüstungsunternehmen natürlich fallen. Also werden diejenigen, die moralisch von diesem Krieg betroffen sind, für dessen Fortsetzung stimmen, weil sie der Meinung sind, dass der Aggressor bestraft werden muss.»
Wer nur moralisch auf das Geschehen schaue, suche nicht nach den Gründen für den Krieg und interessiere sich nicht für die Interessen im Hintergrund, so Varga. Aus seiner Sicht verrät die europäische Politikelite die Ukraine erneut, wenn sie sich den territorialen Realitäten verweigert. Russland baue jeden Tag seine militärischen Erfolge und das eroberte Territorium aus.
«Je mehr der Westen also Zeit schindet und sich auf ukrainische Interessen beruft, desto mehr arbeitet er jeden Tag gegen die Interessen der Ukraine. Jeden Tag kommen weitere Quadratkilometer unter russische Kontrolle.»