Im Ausschuss für Justiz, Migration und Verbraucherschutz des Thüringer Landtags wird derzeit ein bemerkenswerter Gesetzentwurf verhandelt: Mit dem sogenannten Thüringer Coronamaßnahmen-Unrechtsbereinigungsgesetz will das Land Menschen entschädigen, die während der «Corona-Zeit» Buß- oder Verwarngelder zahlen mussten – etwa wegen Verstößen gegen Abstandsgebote, Maskenpflicht oder Ausgangsbeschränkungen. Auch Anwalts- und Gerichtskosten, die in diesem Zusammenhang entstanden, sollen rückwirkend aus dem Landeshaushalt erstattet werden.
Dieses Vorhaben markiert den Versuch, juristische und politische Konsequenzen aus den vielfach als unverhältnismäßig kritisierten Corona-Maßnahmen zu ziehen. Als eine von mehreren Organisationen wurde auch das Netzwerk KRiStA (Kritische Richter und Staatsanwälte) zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. In ihrer ausführlich dokumentierten Eingabe begrüßt die Initiative den Gesetzentwurf ausdrücklich – sieht ihn jedoch lediglich als «ersten Schritt» in einem notwendigen Prozess der politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Aufarbeitung.
In der Stellungnahme kritisieren die Verfasser, darunter Juristen wie Christian Dettmar und Werner Bergholz, nicht nur die konkreten Maßnahmen während der «Pandemie», sondern vor allem die Grundhaltung staatlichen Handelns. «Viele der damals verhängten Bußgelder», so KRiStA, «beruhten auf Verordnungen, deren Verhältnismäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit von Anfang an zweifelhaft war». Das Netzwerk fordert eine umfassende rechtliche Bewertung der Corona-Maßnahmen – und warnt davor, die Aufarbeitung auf rein finanzielle Entschädigungsfragen zu beschränken.
Besonders kritisch sieht KRiStA den Umgang der Behörden und Gerichte mit Zweifeln und abweichenden Meinungen während der «Pandemie». Die faktische Gleichschaltung rechtlicher Bewertung mit politischen Vorgaben habe, so das Netzwerk, «dem Prinzip der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz schweren Schaden zugefügt». In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle der Medien, der Anwaltskammern und medizinischer Fachgesellschaften thematisiert – und ein Diskurs eingefordert, der den gesellschaftlichen Ausnahmezustand während der Pandemie in seiner ganzen Tiefe analysiert.
Der Entwurf aus Thüringen – bundesweit bislang einzigartig – könnte damit Signalwirkung entfalten. Denn was hier als «Wiedergutmachung» für Unrecht in der Corona-Zeit beginnt, berührt zentrale Fragen des Rechtsstaats: Wie umgehen mit politischen Maßnahmen, die rückblickend als überzogen oder gar grundrechtswidrig eingestuft werden? Und wie weit darf der Staat in Krisenzeiten gehen, ohne die freiheitliche Ordnung selbst zu gefährden?
Das Netzwerk KRiStA fordert in seiner Stellungnahme die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission, die nicht nur einzelne Maßnahmen, sondern das gesamte politische Krisenmanagement in den Blick nimmt. Nur so könne verlorenes Vertrauen wiederhergestellt und eine Wiederholung ähnlicher Fehlentwicklungen verhindert werden.
Ob Thüringen diesen Weg konsequent geht, bleibt abzuwarten. Die nun eingeleitete Anhörung jedenfalls bringt Bewegung in eine Debatte, die lange Zeit politisch unerwünscht schien – und könnte der Startpunkt sein für eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem rechtlichen Erbe der Corona-Krise.
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