Corona ist in der breiten Öffentlichkeit kein Thema mehr. Wenn man noch mit Freunden und Bekannten über einen Krankheitsfall redet, dann hört man vielleicht noch Sätze wie: «Aber es ist kein Corona» − als würde das die Schwere der momentanen Krankheit relativieren.
Hinzu kommt, dass mit dem Krieg in der Ukraine, mit den Bombardements im Nahen Osten durch die USA, mit den barbarischen Akten der Hamas, mit ihren Potenzierungen im Gaza-Streifen längst neue Krisen das Virus vom ersten Platz der Angstmacher verdrängt haben.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass in den letzten Jahren ein grosser Teil der Bevölkerung systematisch ausgegrenzt wurde. Diese Menschen hatten für ihre Gesundheit und ihre körperliche Unversehrtheit eine Entscheidung getroffen, die eben nicht auf der Linie des allgemein Wünschenswerten lag.
Das Buch «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen» dokumentiert dieses unsägliche Geschehen. Ich konnte es nicht an einem Stück lesen, weil ich selbst zu diesen Ausgegrenzten und Diffamierten gehörte. Zu viele böse Erinnerungen kamen in mir hoch, die ich nur wohldosiert ertragen konnte.
Hier wird noch einmal in aller Deutlichkeit zusammengetragen, mit welchen menschenverachtenden Aussagen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Corona-Zeit geradezu verschwenderisch um sich geworfen haben.
«Wir werden einander viel verzeihen müssen», titelte der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn sein Buch, in dem er sich mit den Folgen der Pandemie auseinandersetzte. Aus der Sicht dessen, der maßgeblich an der Ausgrenzung beteiligt war, verstehe ich seinen Wunsch. Wenn er von den Ausgegrenzten Vergebung einfordert, auf der Seite der Ausgrenzenden aber die Reue und das Umdenken fehlt, was dann? Vielleicht hat es zum Beispiel von Herrn Spahn, der thüringischen Ministerpräsidenten Ramelow oder von der sogenannten Komikerin Frau Bosetti (viele erinnern sich noch an ihren Blinddarm-Vergleich) Signale dieser Art gegeben. Bekannt sind mir keine.
Dann aber staut sich der Wunsch, doch endlich gehört, endlich wahrgenommen zu werden. Auf der anderen Seite stösst der aber vielfach auf eine Mauer des Schweigens und Wegsehens. Das kann zu Wut und letztlich zu Hass führen, der sich tief in die Seele frisst. Doch Hass, so sagt uns ein chinesisches Sprichwort, ist ein Gift, welches man in den eigenen Tee träufelt in der Hoffnung, es möge dem anderen schaden.
Biblisch betrachtet: Schuld macht krank. Vergebung heilt. Körper und Seele bedingen einander. Das wird besondern in der Geschichte von dem Lahmen deutlich, den seine Freunde durch ein Dach zu Jesus herunterlassen. Der Heilungsprozess beginnt dort mit den Worten Jesu: «Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.» (Markus 2,5)
Wo könnte denn bei uns selber die Schuld liegen? Wer sollte wem vergeben? Kann ich mit Jesus einfach sagen: Du hast mir Schlimmes angetan, aber «deine Schuld ist dir vergeben, nimm dein Bett und geh»?
Das ist nicht ganz einfach. Seit drei Jahren haben wechselseitige Schuldvorwürfe unsere gesamte Gesellschaft krank gemacht, haben uns kollektiv gelähmt. Die einen sagen: «Ihr habt uns diffamiert und ausgegrenzt». Die anderen sagen: «Aber ihr habt doch Menschenleben riskiert.»
Selbstkritik keimt auf. Evangelische wie katholische Kirchen haben in dieser Zeit ebenfalls schwere Schuld auf sich geladen. Obwohl schnell bekannt war, dass die «Impfung» eben nicht vor einer Ansteckung schützt oder vor dem Weitergaben eines Virus, sind auch in meiner direkten Nachbarschaft 2G-Gottesdienste abgehalten worden. Menschen sind vom Abendmahl ausgeschlossen worden. Das nannte man früher Exkommunikation.
Man wähnte sich auf der Seite der Guten, was nicht anderes hiess als: Man hatte Angst, das Falsche zu tun. Aus dieser Angst heraus sind Kolleginnen und Kollegen schuldig geworden. Angst und Schuld sind finstere Geschwister.
Man hat getan, als gäbe es Menschen, die der liebenden Hinwendung nicht wert sind. Doch kirchliches Handeln basiert doch gerade auf der Einsicht, dass jeder Mensch, auch wenn er schwere Schuld auf sich geladen haben mag, der Hinwendung in Liebe wert ist. Warum sonst würden wir uns auch in Gefängnissen seelsorgerlich um Straffällige kümmern?
Es ist und war immer Aufgabe der Kirchen, genauer: Aufgabe der Menschen, die in den Kirchen für ihren Glauben eingestanden sind, den Menschen zu helfen; Menschen, die ihre Schuld nicht mehr tragen, die aber auch ihrer Angst nicht mehr Herr werden können. Mir ist natürlich klar, dass dieses Thema allzu lange missbraucht worden ist: Mit einem Fegefeuer wurde den Menschen Angst gemacht, um ihnen dann mit einem gar generösen Ablass zur Seite zu stehen.
Schauen wir jedoch auf die mittelalterlichen Pestwellen, dann waren es gerade auch Priester und Diakone, die zu den Kranken hingingen, um ihnen beizustehen. Sie haben sich eben nicht abgewendet und die Menschen in ihrer Angst alleine gelassen. Ich empfehle hierzu den wirklich grossartigen Youtube-Kanal «Geschichtsfenster». Neben einem sehenswerten neuen Beitrag über die Inquisition findet sich dort über auch die Pestzeiten viel Erhellendes.
Den Menschen die Angst nehmen, das heisst auch immer: die Nebelwand zerreissen, die uns von Gott trennt. Mit der Schuld verhält es sich ebenso.
Hinschauen, das halte ich darum für das Gebot der Stunde. Auch wenn das weh tut. Denn man blickt immer auch in die Abgründe der eigenen Seele. Ganz zart beginnt das in der einen oder anderen Landeskirche. Das eigene Verhalten in der Corona-Zeit wird zumindest in seiner Radikalität hinterfragt. Der Blick in den Spiegel legt die eigene Beteiligung offen. Vergebung kann dann von beiden Seiten beginnen, die Gräben können sich langsam füllen. Doch nach wie vor denke ich, wir sollten auch Einsicht und Umdenken von seiten der Ausgrenzenden erwarten können.
Eine solche Selbstkritik könnte mit der Erkenntnis beginnen, dass die Wahrheit in Gottes Hand liegt, nicht in unserer, und wir unsere Fragen, unsere Angst und unsere Schuld in seine Hände legen können.
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