Unfall oder Anschlag? Das ist die Frage, die sich zunehmend über den Untergang der Luxusjacht «Bayesian» vor der Küste Siziliens am 19. August stellt. Das rund 35 Millionen Dollar teure Schiff gehörte Mike Lynch, einem Unternehmer, der als «britischer Bill Gates» bekannt ist. Dass er etwas auf dem Kasten hatte, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass er gleichzeitig Physik, Mathematik und Biochemie studiert hat.
Der 59-jährige Milliardär kam bei dem Untergang seiner Jacht ums Leben, wie auch Chris Morvillo, ein Anwalt aus einer milliardenschweren New Yorker Kanzlei, und der 70-jährige Vorstandsvorsitzende von Morgan Stanley International, Jonathan Bloomer. Die drei Männer verband ein hochkarätiges Gerichtsverfahren in den USA, bei dem Lynch auf der Anklagebank saß. Vor dem Untergang feierten sie auf der Jacht den Freispruch. Lynch konnte den Prozess trotz minimaler Erfolgschancen gewinnen. Entscheidend war dabei Bloomers Aussage. Morvillo war Lynchs Anwalt.
Der Hintergrund des Prozesses: 1996 gründete Lynch die Softwarefirma Autonomy, die Unternehmen dabei half, große Mengen von Daten zu strukturieren. Im Jahr 2011 verkaufte er seine Firma für elf Milliarden Dollar an Hewlett-Packard. HP behauptete jedoch später, dass Autonomy buchhalterische Unregelmäßigkeiten verwendet hätte, um seine Finanzdaten vor der Übernahme zu verbessern. Lynch bestritt das. Nach zwölf Jahren endete der Fall im vergangenen Juni, als ein Bundesgericht in San Francisco Lynch für unschuldig befand.
Freigesprochen wurde in dem Verfahren auch der ehemalige Finanzmanager bei Autonomy, Stephen Chamberlain. Und «zufällig» wurde Chamberlain am 17. August in England von einem Auto angefahren. Am 19. August erlag er seinen Verletzungen.
Fragen wirft zudem der Untergang der 56 Meter langen Luxusjacht auf. Obwohl Wetterwarnungen vor möglichen Windhosen ausgegeben wurden, schien die Crew unvorbereitet, sodass nur 15 der 22 Personen an Bord in ein Rettungsboot flüchten konnten. Die übrigen sieben Personen, darunter Lynch, seine 18-jährige Tochter Hannah, Bloomer und Morvillo, überlebten nicht und wurden später in verschlossenen Kabinen gefunden.
Gegen den Kapitän laufen nun Ermittlungen wegen Totschlag. Der 51-jährige Neuseeländer James Cutfield machte von seinem Recht zu schweigen Gebrauch, als er am Dienstag zum dritten Mal von italienischen Staatsanwälten befragt wurde. Über den Sturm sagte er zuvor Berichten zufolge: «Wir haben ihn nicht kommen sehen.»
Giovanni Costantino, Gründer und Mehrheitseigentümer des Jachtherstellers The Italian Sea Group (TISG), erhebt schwere Vorwürfe gegen den Kapitän der «Bayesian». Laut Costantino hätte der Sturm bereits am Abend zuvor vorhergesehen werden können, doch anstatt die Jacht sturmsicher zu machen, habe man offenbar an Bord eine Party veranstaltet, erklärte er in einem Interview mit dem Corriere della Sera.
Vermutlich seien einige Luken offen geblieben, was es dem Wasser ermöglichte, in das Schiff einzudringen. Wäre die Crew jedoch sorgfältiger gewesen und hätte alle Türen, Luken und Bullaugen geschlossen, die Motoren gestartet, den Anker gelichtet, das Schwert vollständig ausgefahren, den Bug in den Wind gedreht und die Passagiere an einem zentralen Ort versammelt, dann wäre die «Bayesian» laut dem TISG-Chef «am nächsten Morgen ohne jeglichen Schaden weitergefahren». Zu TISG gehört auch die Werft Perini Navi, die für den Bau der Yacht verantwortlich war.
Neben dem Kapitän wurden auch gegen zwei weitere Besatzungsmitglieder der Superjacht Haftbefehle erlassen. Es handelt sich um den 56-jährigen britischen Ingenieur Tim Parker Eaton, der in der Nacht des Untergangs für den Maschinenraum zuständig war, und den 22-jährigen Matthew Griffith, ebenfalls aus Großbritannien, der in dieser Nacht Wache hatte.
Der ehemalige britische Inspektor der Seeunfalluntersuchungsbehörde Marine Accident Investigation Branch, Gavin Pritchard, betonte in einem Interview mit dem Wall Street Journal:
«In den vielen Jahren, in denen ich Unfälle untersuche, kann ich mich nicht an einen ähnlichen Fall erinnern. Es besteht kein Zweifel daran, dass nach den bereits vorliegenden Informationen die Witterungsbedingungen eine Rolle spielten, aber bei Unfalluntersuchungen geht es nie nur um eine einzige Ursache.»
Der Wirtschaftsjournalist und Autor Ernst Wolff vermutet einen Anschlag. Die Geschehnisse würden auf einen Machtkampf innerhalb der Elite hindeuten:
«Das Ganze ist eine solche Häufung von Zufällen, dass man sich wirklich an den Kopf fassen und irgendwie davon ausgehen muss, dass da möglicherweise etwas anderes im Hintergrund gewesen ist.»
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