Michael von der Schulenburg im Juni dieses Jahres in Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Von Michael von der Schulenburg
In der Nacht zum Samstag fand das persönliche Treffen der Präsidenten Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska statt – also der Präsidenten jener beiden Staaten, die auch heute noch auf ukrainischem Territorium um die politische und militärische Vorherrschaft in dieser geostrategisch wichtigen Region Krieg führen: Russland direkt, die USA indirekt über die Ukraine als Proxy. Dieses Treffen erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die Ukraine zunehmend vor einer vernichtenden militärischen Niederlage steht, die auch durch zusätzliche Waffenlieferungen oder finanzielle Unterstützungen nicht mehr abgewendet werden kann.
Das erhöht die Versuchung vor allem unter europäischen NATO-Staaten, diese Niederlage durch eine gefährliche Eskalation und ein immer direkteres Eingreifen der NATO in diesen Krieg noch abwenden zu wollen. Vor dem Hintergrund der Gefahren, die eine solche Eskalation mit sich bringen würde, gewinnt das Trump-Putin Treffen eine enorme Bedeutung – für uns alle.
Für eine umfassende Beurteilung der Ergebnisse ist es sicherlich noch zu früh. Beide Präsidenten haben sich auch verständlicherweise bei der gemeinsamen Pressekonferenz bedeckt gehalten. Dennoch zeichnen sich mit diesem Treffen bereits vier überaus wichtige Entwicklungen ab, die zwar so in keiner Abschlusserklärung stehen, aber den Verlauf des Krieges zugunsten einer friedlichen Lösung beeinflussen werden.
Erstens:
Nachdem die USA in der Vergangenheit Putin immer als internationalen Paria dargestellt haben und im Ukraine-Krieg das Ziel verfolgten, Russland zu einer kleinen Regionalmacht herunterzustufen, wird Putin nun als Präsident einer Großmacht zu Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten Trump auf Augenhöhe in Alaska empfangen. Dies symbolisiert bereits das vielleicht entscheidendste Ergebnis des Ukraine-Krieges.
Zweitens:
Mit dem direkten Treffen der Präsidenten der USA und Russlands haben die Chancen, den Ukraine-Krieg diplomatisch zu lösen, deutlich zugenommen. Die Gefahr, dass sich der Krieg in einen Strudel aus Gewalt und Gegengewalt bis hin zu einer nuklearen Auseinandersetzung entwickelt, scheint vorerst gebannt.
Drittens:
Mit ziemlicher Sicherheit ist davon auszugehen, dass sich die USA nach diesem Treffen militärisch aus dem Krieg zurückziehen werden. Ohne die USA werden die EU-Staaten und das Vereinigte Königreich nicht in der Lage sein, den Krieg weiterzuführen, geschweige denn ihn zu eskalieren. Der Bruch zwischen den USA und der EU/Großbritannien wird sich dadurch vertiefen.
Viertens:
Die USA haben ihre Forderung nach einem Waffenstillstand zwar nicht aufgegeben, signalisieren aber Verständnis dafür, dass zunächst eine grundsätzliche Lösung für die Ursachen gefunden werden muss, die zu diesem Krieg geführt haben.
Gerade der vierte Punkt ist besonders problematisch, denn zwischen den USA und Russland einerseits und der Ukraine und den meisten EU-Staaten andererseits besteht keine Einigkeit darüber, worin diese Ursachen eigentlich bestehen. In Alaska wurden daher keine konkreten Vorschläge für einen Waffenstillstand oder einen Verhandlungsfrieden gemacht. Da es aber keine Hinweise gab, dass Trump weiter auf einen sofortigen bedingungslosen Waffenstillstand pocht, scheint es beiderseitig eine Bereitschaft zu geben, über die zentralen Anliegen der Russen zu verhandeln.
Für Präsident Putin wären diese Vorentscheidungen ein großer Gewinn. Russische Sicherheitsbedenken hinsichtlich einer NATO-Erweiterung in die Ukraine und eines Vorrückens der USA in die Schwarzmeerregion würden weitgehend anerkannt – wenn auch noch nicht gelöst. Gleichzeitig würden große Teile der pro-russischen Bevölkerung unter russische Souveränität fallen.
Für Präsident Trump bedeutet dies, dass sich die USA den Konsequenzen einer sich abzeichnenden militärischen Niederlage der Ukraine entziehen könnten. Ähnlich sind die USA bereits in früheren Konflikten vorgegangen – etwa in Vietnam, unter Trumps Präsidentschaft in Afghanistan, aber auch im Irak und in Libyen.
Damit käme er dem Wunsch vieler US-Amerikaner nach, dass sich die USA nicht mehr in ferne Kriege verwickeln lassen sollte, sondern sich um die Innenstädte, Straßen, Schulen, Arbeitsplätze und den Erhalt von Industriestandorten, usw. kümmern müsse. Er könnte so auch dem Druck der politischen und militärischen Eliten in Washington entgehen – schließlich wurde er bewusst als Anti-Establishment-Präsident gewählt.
Für die Europäer – gemeint sind eigentlich nur die EU Staaten, und auch hier nicht alle, sowie das Vereinigte Königreich (UK) – stellt sich dass alles ganz anders dar. In dem unter der Führung von Merz, Macron und Starmer zusammengestellten fünf-Punkte-Gegenvorschlag für die Verhandlungen verstricken sich diese europäischen Staaten weiterhin in ihrer eigenen Kriegspropaganda.
Sie bleiben dabei, dass es sich im Ukraine-Krieg um einen unprovozierten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands handle und man daher auf keinen Fall nachgeben dürfe. Zur NATO-Erweiterung weiterhin kein Wort. Auch die Entwicklungen im Krieg werden völlig ausgeblendet.
Mit dieser Haltung wird der Ukraine-Krieg nun die Verantwortung dieser europäischen Länder. Doch diese werden den Krieg weder militärisch noch finanziell führen können. Die enormen Beträge für die geplanten Aufrüstungsmaßnahmen der eigenen Armeen, die Gelder für die Wiederbewaffnung und den Wiederaufbau der Ukraine sowie für eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Stagnation werden die ohnehin brüchige Solidarität der EU-Staaten weiter belasten. Die EU könnte daran sogar zerbrechen.
Den Ukrainern sollte spätestens jetzt klar sein, dass Europa sie nicht retten wird – und auch nicht retten kann. Wenn ihnen von Merz, Macron und Starmer ständig eingeflüstert wird, es sei besser, den Krieg fortzusetzen als einem «unfairen» Frieden zuzustimmen, vergessen diese Politiker, dass es nicht ihr Blut oder das ihrer nder ist, das hier vergossen wird.
Die Behauptung, man müsse die Ukraine weiter militärisch unterstützen, um eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen, ist reiner Unsinn. Die Verhandlungsposition der Ukraine hat sich in all dieser Zeit nur stetig verschlechtert.
Die Ukraine sollte es nicht zu einem Zusammenbruch ihrer Armee kommen lassen und verhindern, noch weitere Gebiete zu verlieren. Sie muss das unermessliche Leiden seiner Bürger und die zunehmende Zerstörung des Landes beenden. Die Ukraine braucht daher den Frieden, um den Staat Ukraine zu erhalten.
Die Verhandlungen zwischen den Präsidenten der USA und Russlands bieten deshalb eine Chance für die Ukraine, selbst die Initiative zu ergreifen und sich diesen Gesprächen anzuschließen. Aber das wird nur möglich sein, wenn die Ukraine bereit ist, die aus dem Krieg entstandenen Realitäten anzuerkennen und zu beginnen, sich auf ihre Zukunft zu konzentrieren.
Dazu müsste die Ukraine gute Beziehungen zu allen ihren Nachbarn aufbauen. Eine solche Haltung könnte sich auszahlen, wie durch die Finanzierung des Wiederaufbaus, durch vermehrte öffentliche und private Investitionen, der Öffnung von Handelswegen und auch durch eine bessere Sicherheit. Aus unterschiedlichen Gründen brauchen sowohl Russland als auch die USA Frieden – das eröffnet einen Spielraum, den die Ukraine für sich nutzen sollte.
Die heute von Russland beanspruchten Ostgebiete wurden erst 1922 der Ukraine zugeordnet, die Krim erst 1954. Ihr Verlust würde die Ukraine nicht zerstören. Im Gegenteil: Die Ukraine könnte dadurch zu einem kohärenteren Staat zusammenwachsen. Es lohnt sich nicht, für diese Ostgebiete mit einer der Ukraine überwiegend feindlich gegenüberstehenden Bevölkerung ganze Generationen junger Menschen zu opfern oder eine weitere Entvölkerung durch Flucht und Abwanderung zu riskieren.
Und es lohnt sich nicht, dafür eine weitere Zerstörung des Landes in Kauf zu nehmen. Einen gerechten Frieden gibt es leider nie, es kann und muss nur darum gehen, das Bestmögliche für die zukünftigen Generationen der Ukrainer in Verhandlungen herauszuholen.
Auch ohne diese Ostgebiete wird Kiew immer eine der großen europäischen Kulturmetropolen bleiben, mit Wurzeln, die bis ins Byzantinische Reich reichen. Odessa wird weiterhin eine wichtige europäische Hafenstadt bleiben, die die Ukraine mit Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Südeuropa verbindet. Charkiw wird in friedlicheren Zeiten die Verbindung zum großen Nachbarn Russland herstellen, und Lwiw wird das Tor zur Europäischen Union bleiben.
Eine gesicherte friedliche Zukunft der Ukraine sollte im Interesse aller sein, seien es nun die USA oder Russland oder seien es die Europäische Union oder China und Indien. Um das durch eine friedliche Lösung zu erreichen, sollten für alle Kriegsparteien gelten: «Слава Україні!» (Ruhm der Ukraine).
Michael von der Schulenburg arbeitete für die Vereinten Nationen sowie für die OSZE und war für sie an vielen Krisenherden eingesetzt, unter anderem in Haiti, Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Syrien, auf dem Balkan, in Somalia und Sierra Leone. Seit 2024 vertritt er als parteiloser Abgeordneter das Bündnis Sahra Wagenknecht im EU-Parlament.
Anmerkung von Tilo Gräser:
Die interessante Analyse von Michael von der Schulenburg wird etwas durch die letzten Worte beeinträchtigt. Dafür steht die Geschichte des zitierten nationalistischen Grußes «Слава Україні!» («Slawa Ukraïni!» – «Ruhm der Ukraine!»), der vor allem von jenen verwendet wird, die nicht für friedliches Zusammenleben des Landes mit seinen Nachbarn eintreten.
Diese Losung wird üblicherweise erwidert mit «Slawa herojam!» («Ruhm den Helden). In der ab 2014 neu aufgestellten und vom Westen ausgerüsteten und ausgebildeten ukrainischen Armee gilt die Kombination seit 2018 als offizielle Grußformel.
Sie geht auf die nationalistische Bewegung im 19. Jahrhundert zurück und wurde vor allem von der 1929 in Wien gegründeten «Organisation ukrainischer Nationalisten» (OUN) und deren bewaffnetem Arm UPA verwendet. Sie arbeiteten unter anderem nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion mit den Faschisten zusammen und begingen schwere Kriegsverbrechen, auch auf polnischem Gebiet.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion waren diese Parolen die Schlachtrufe nicht nur der verbliebenen Nationalisten in der Westukraine, sondern auch in der ukrainischen Emigration verbreitet. Sie wurden von den Exilländern aus mit tatkräftiger Hilfe westlicher Stiftungen und Staaten wieder in die unabhängige Ukraine re-exportiert und mit dem Maidan-Putsch 2014 durch ukrainische Nationalisten und Rechtsextreme wieder massiv verbreitet.
Diese aus welchem Grund auch immer vom BSW-Abgeordneten zitierte Parole ist das Rezept für Unfrieden und Zerstörung der Ukraine anstatt für einen von ihm angestrebten Frieden für das Land. Es ist der Schlachtruf derer, die, unterstützt vom Westen, Hass gegen Russland und alles Russische säen und den Krieg auf ukrainischem Territorium provoziert haben. Ob die Parole eines Tages von ihrem negativen Zusammenhang befreit werden kann, ist fraglich.