Das Glockenspiel auf Schlag 5 mussten wir schon noch abwarten. Geschätzte zweihundert Touristen hatten sich erwartungsvoll gegenüber dem Münchner Rathaus aufgestellt, alldieweil die Leute von «München Steht Auf» ihre Stände, Kabel und Pavillons hergerichtet haben. Ab 18 Uhr sollte wieder deren wöchentliche Kundgebung beginnen.
Unsere monatlichen «Impulse zur Zeit» haben wir jeweils eine Stunde vorher angesetzt. Gedacht sind sie als ein Brückenschlag für zeitkritische Menschen, die sich bei allem Kirchenabstand ein Gespür für das bewahrt haben, was einmal Glaube war oder noch und wieder Glaube werden könnte.
Das Team von «Christen auf der Straße − München» hatte für diesmal das Thema «Schuld» gewählt, zugespitzt auf die Frage: «Mensch, wo bist du?»
Übers Drumherum gibt es nicht viel zu erzählen. Die Bewilligung hatten wir sogar kurzfristig noch erhalten. Nach dem Glockenspiel begann unser Part mit dem eigenen Gong: «Herr, gib uns deinen Frieden» Zu diesem Frieden möge dann auch die Betrachtung beigetragen haben, die hier nachgezeichnet sei.
Die Frage am Offenen Mikrofon bezieht die Besucher und Umstehenden jeweils ein ins Geschehen. Diesmal lautete sie: «Wofür fühle ich mich verantwortlich?» Über die Folgefrage konnte ich die Voten aufnehmen, nämlich: «Und was ist, wenn das schiefgeht? Wenn man selber seiner Verantwortung nicht gerecht wird oder andere sie vorsätzlich von sich weisen und missbrauchen?»
In seinem persönlichen Umfeld trägt jeder seine Verantwortung, und sei es «nur» für die eigene Gesundheit. Je weiter oben die Position, desto umfangreicher ist auch die Zuständigkeit. Wenn die dann aber nicht wahrgenommen, sondern sogar missbraucht wird, dann sprechen wir zu Recht von Schuld; sei es in weitreichenden Gesundheitsfragen oder − wie wir es derzeit ebenfalls erleben − in aktiver Kriegstreiberei. Da müssen wir dann Rechenschaft einfordern, und das sage ich bewusst vor dem Rathaus, das mir hier stellvertretend steht für «noch höhere Häuser».
Umso mehr atmen wir auf, wenn jemand von «da oben» wenigstens im nachhinein Reue zeigt und sich öffentlich zu einer, zu seiner Schuld bekennt. Das war im vergangenen Jahr der Fall, als der damalige Innenminister von Japan vor die Kameras trat und um Verzeihung bat für das unsägliche Leid, das die Covid-Spritzen übers Land gebracht hätten. Über eine halbe Million Tote seien das inzwischen.
Zu einer Schuld stehen heißt ja: dem eigenen Versagen standhalten. Ob das taktisch oder ehrlich gemeint ist, erkennt man recht leicht daran, ob der Betreffende die Konsequenzen dieses Schrittes offen lässt oder ob er ins Beschwichtigen übergeht. Nur wer sich in diesem Sinne aus der Hand gibt, darf auf eine Ent-Schuldigung hoffen, auch wenn die Taten an sich noch eine Sühne verlangen.
«Mensch, wo bist du» − wenn es nicht geklappt hatte, weder mit der Verantwortung selber noch mit dem Täuschen? Dreierlei Strategien sind mir im Lauf der Zeit aufgefallen:
- Man gleitet in dauernde Selbstvorwürfe. «Hätt ich doch …» oder «Hätt ich bloß nicht ....»
- Die Anklagen anderen gegenüber verhärten sich. «Warum hat der / haben die nur …»
- Man geht über ins stumme Abtauchen und Leugnen. «Macht ja eigentlich nichts» und «Wird schon gutgehen.»
Die Rückfrage bleibt: «Mensch, wo bist du?» Wo bist du selber, brutto, mitsamt deinen Schattenseiten, eigenen und eingefangenen? Die Frage stammt aus der Bibel, von deren ersten Seiten. Adam hatte gerade seinen großen Mist gebaut, und sein schlechtes Gewissen drückte ihn. Also versteckte er sich vor seinem Gott. Der aber sucht ihn: «Adam, wo bist du?» 1. Mose 3,9
Der Zusammenhang zeigt, dass hier niemandem die Pistole an die Brust gesetzt wird: «Jetzt aber hab ich dich!» Sondern diese Frage heißt soviel wie: «Komm heraus aus deinem Versteck, deiner Lebensdämpfung. Ich suche dich weiterhin als mein Gegenüber.» Adam hatte geantwortet; zwar mit Ausflüchten etc., aber er war wieder ansprechbar.
Schuld anerkennen ist ein Weg in die Freiheit: des eigenen Gewissens, des erneuerten Miteinander und eines gesegneten Lebens.
Da sagt Jesus zu ihr: «Wo sind sie[, deine Ankläger]? Hat dich keiner von ihnen verurteilt?» − «Niemand, Herr», antwortete sie. «Dann verurteile ich dich auch nicht», erklärte Jesus. «Geh und sündige nicht mehr.» Johannes 8,10-11
Denn Evangelium heißt, ganz kurz gefasst: Es kann immer noch einmal anders weitergehen.
Fast pünktlich, um 10 vor 6, beendeten wir unsere Versammlung auf dem Marienplatz und konnten mit einigen Menschen ins Gespräch kommen. Der nächste Anlass von «Christen auf der Straße − München» ist geplant für Mittwochnachmittag, 10. September, um 17 Uhr auf dem dortigen Rotkreuzplatz.