«Russland darf nicht gewinnen und muss verlieren», erklärte Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München, am Dienstag in Berlin. Er begründete das mit den «Konsequenzen eines russischen Sieges für uns». Diese würden die Kosten für den Westen «so immens erhöhen» im Vergleich zur bisherigen Unterstützung für die Ukraine.
Masala sagte das, als er sein neues Buch «Bedingt abwehrbereit – Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende» gemeinsam mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil vorstellte. Klingbeil zeigte sich dabei nicht weniger kriegsbegeistert, in dem er die bundesdeutsche Gesellschaft vor einem «Rückfall in Friedenszeiten» warnte. Das wolle seine Partei partout nicht, erklärte er.
Bundeswehr-Professor Masala warnte davor zu vergessen, «worum es eigentlich geht» und wovon die Gesellschaft überzeugt werden müsse. Dazu gehören für ihn Fragen wie: «Was passiert eigentlich, wenn Russland diesen Krieg gewinnt? Was sind die Konsequenzen für uns? Was sind die Konsequenzen sozusagen für die internationale Politik?»
Daraus erkläre sich dann, «welche Waffen wir der Ukraine liefern müssen». Ohne dass er es ausdrücklich sagte, stellte er damit klar, dass es nicht nur um Marschflugkörper und Panzer gehen müsste, wenn Russland besiegt werden soll. Für ihn gehe es nicht um die Details der einzelnen Waffen: «Es geht um Politik und es geht um Kosten, die uns entstehen.» Er warf der gegenwärtigen Bundesregierung stattdessen vor, sich in Details zu verlieren.
Das sagte Masala kurz nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz erklären liess, er sei gegen eine Lieferung von «Taurus»-Marschflugkörpern an Kiew. Begründet wurde das mit technischen Details, aber auch mit der Befürchtung, die Waffen könnten gegen russisches Territorium eingesetzt werden. Der Bundeswehr-Professor äusserte seine Kritik im Beisein des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Oleksii Makeiev.
In Berlin wiederholte Masala, was er auch im Buch beschreibt und bemängelt: «Deutschland hatte sich behaglich eingerichtet in der Welt der Globalisierung – einer Welt, die friedlich zusammenzuwachsen und für uns immer sicherer zu werden schien.» Doch diese Welt gebe es spätestens seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 nicht mehr, erklärt er im Buch, das ein ausführliches Gespräch von Verlagslektor Sebastian Ullrich und Matthias Hansl mit ihm wiedergibt.
Darin behauptet Masala unter anderem, Russland habe dem Westen nur vorgegaukelt, «ihr gehe es in dem Konflikt mit Kiew um eigene bedrohte Sicherheitsinteressen». Er nennt als Beispiel die Forderung aus Moskau im Dezember 2021, auf die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu verzichten und alle US-Truppen auf den Stand 1997 zurückzuziehen. Das hätte laut dem Bundeswehr-Professor «nicht weniger bedeutet als die Rückabwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur, zurück auf den Stand von 1990. Die Nato und die amerikanischen Truppen wären dann auf das alte Nato-Territorium beschränkt gewesen».
Carlo Masala bei der Buchvorstellung am 10. Oktober in Berlin (Foto: T. Gräser)
Masala deutet das so: «Alle Staaten, die nach 1999 in die Nato hineingekommen sind, hätten zwar ihre nationalen Streitkräfte gehabt, aber keinerlei Nato-Truppen oder Nato-Infrastruktur. Darauf konnte die Nato nicht eingehen, ohne ihre Sicherheitsgarantien für die neuen östlichen Mitgliedstaaten völlig auszuhöhlen.»
Er habe den Verdacht, dass Moskau «bewusst Forderungen gestellt hat, von denen man wusste, sie können nicht angenommen werden, und diese ganzen Beschwerden über die Nato im Grunde nur vorgeschoben waren». Aus seiner Sicht verfolgt Russland nur imperiale Ambitionen und wolle die Ukraine als Staat vernichten.
Er betätigt sich mit seinem Buch wieder als Stichwortgeber für eine massive Aufrüstung der Bundeswehr sowie für eine Militarisierung der Gesellschaft und beklagt, dass die von Scholz am 27. Februar 2022 ausgerufene «Zeitenwende» höchstens halbherzig umgesetzt werde. Es dürfe nicht nur um 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr gehen, Verteidigung bedeute mehr, so der Bundeswehr-Politologe.
Der 24. Februar 2022 bedeute für Deutschland, «Verteidigung neu zu denken», sagte er in Berlin.
«Verteidigung heisst wesentlich mehr als 100 Milliarden für die Bundeswehr auszugeben, eine voll ausgerüstete Bundeswehr zu haben, sondern Verteidigung heisst, dass diese Gesellschaft so resilient werden muss, dass diese Gesellschaft wehrhaft werden muss und dass dieser Staat permanente Strukturen etablieren muss, mit denen er Krisen und Konflikte bewältigen kann.»
Im Buch bezeichnet er gleich zu Beginn in einer Antwort auf eine entsprechende Frage einen russischen Angriff auf Deutschland «rein geografisch als ein irreales Szenario», um dann umso ausführlicher darauf einzugehen. Auf meine Frage, wer Deutschland derzeit konkret bedroht, sagte Masala, das geschehe «nicht durch Panzer, Kampfflugzeuge oder Fregatten».
Die Bedrohungsszenarien seien dagegen «Desinformation», potenzielle Anschläge auf unsere kritischen Infrastrukturen, Cyberattacken und «Versuche, gesellschaftliche Spaltung herbeizuführen durch fremde Mächte». Deshalb sei «Verteidigung neu zu denken» und die Gesellschaft müsse «resilient» werden.
Er fügte dann noch hinzu: «Wenn sich die Russische Föderation in der Ukraine durchsetzen sollte, wissen wir alle nicht, was uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch militärisch passiert.»
Unabhängig vom fehlenden Realitätssinn zeigte der Bundeswehr-Professor damit, dass er anscheinend von Staatskunst wenig versteht. Zu deren Regeln gehört, einen Krieg am besten dadurch zu vermeiden, indem die Befürchtungen und Missstände, die ihn auslösen, verringert oder beseitigt werden.
Masala machte bei der Buchvorstellung zumindest auf einen interessanten Aspekt aufmerksam: Nur Sozialdemokraten könnten die Gesellschaft mitziehen bei politischen Entscheidungen, «die wirklich wehtun». Hätte eine CDU-geführte Regierung Milliarden an Euro für den Krieg in der Ukraine bewilligt, würden grosse Teile der Gesellschaft «sofort auf die Strasse gehen», auch die SPD.
Aber mit einem Kanzler Scholz und gerade mit den Grünen sei es gelungen, das eigene Klientel ruhig zu halten, wenn auch vielleicht «zähneknirschend». Deshalb falle sein «Urteil über die sozialdemokratische Politik durchaus milde oder nicht so schlecht aus, wie man es erwarten würde», so der Bundeswehr-Professor.
Was er als «eine der grossen Ironien» in der bundesdeutschen Geschichte sieht, ist am Ende nur die Fortsetzung der alten sozialdemokratischen Tradition, die mit dem Ja zu den Kriegskrediten 1914 und dem «Bluthund» Gustav Noske 1919 begann. Dazu gehört ebenso der Sozialabbau der «Agenda 2010» unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der auch zustimmte, dass die Bundeswehr mit der Nato 1999 Jugoslawien überfiel.
Der heutige SPD-Ko-Vorsitzende Klingbeil beeilte sich denn auch bei der Buchvorstellung, alle Zweifel an der sozialdemokratischen Treue zu zerstreuen. Er stellte klar, dass die SPD einer CDU-Regierung auf dem Kriegskurs gefolgt wäre, wäre sie in der Opposition gewesen: «Die SPD ist eine staatstragende Partei. Man hat immer wieder in internationalen Krisen auch gesehen, dass, selbst wenn wir nicht in Regierungsverantwortung waren, für uns wirklich die Messlatte galt: Erst das Land, dann die Partei.»
Insofern war in Berlin kaum wirklich überraschend Neues zu hören wie auch das vorgestellte Buch nichts wirklich Neues zu bieten hat, wenn es um Aufrüstung und Verteidigungsbereitschaft, die besser Kriegsbereitschaft zu nennen ist, geht. Es ist die Fortsetzung einer Politik, die in der Zeit der Entspannungspolitik im «Kalten Krieg» pausieren musste. Dafür wird nun auch durch den gegenwärtigen Nachfolger von Willy Brandt dessen einstige «Ost-Politik» diffamiert.
Und so überrascht es auch nicht, dass das Buch vom Lektor des herausgebenden Verlages C.H. Beck Sebastian Ullrich, bekennender Sozialdemokrat, als «Weckruf in einer Zeit, in der Deutschland nach einem ersten Schock wieder in den Friedensmodus zurückzufallen scheint“, bezeichnete. Das dürfe nicht passieren, waren sich alle drei auf dem Podium bei der Buchvorstellung einig. So etwas von einem Verlagslektor zu hören, ist eher ein trauriges und beklemmendes Zeichen.
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