Ein CSU-Politiker, der zum ersten Mal auf einer Friedensdemo sprach, eine Gallionsfigur, die deutlich mit der Bundesregierung abrechnete, ein SPD-Vertreter, der Waffen für die Ukraine und Israel rechtfertigte, eine Linken-Politikerin, die das Ende aller Krieg forderte – das gehörte neben anderen zum Programm der bundesweiten Friedensdemonstration am 3. Oktober 2024 in Berlin. Die Erwähnten sprachen dabei auf der Abschlusskundgebung an der «Siegessäule» in der deutschen Hauptstadt.
Circa 50.000 Menschen aus allen Regionen Deutschlands nahmen daran teil, wie die Organisatoren von der Initiative «Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!» mitteilten. Neben den Politikern traten auch Musiker wie der Rapper S.Castro, der Songpoet Tino Eisbrenner und der Liedermacher Pablo Miro auf und setzten sich mit ihren Liedern für Frieden und Verständigung ein.
«Diese Demonstration ist ein Zeichen, dass die Friedensbewegung lebt», erklärte der Friedensaktivist Reiner Braun auf der Abschlusskundgebung. Er rief den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor der Bühne zu: «Ihr seid zu Beginn dieser großen neuen Bewegung dabei, die dieses Land hoffentlich friedfertiger und friedlicher machen wird.»
An der «Siegessäule» mitten in Berlin (alle Fotos: Tilo Gräser)
Das war schon beeindruckend, die Menschenmenge an der «Siegessäule» zu sehen, die einst errichtet wurde, um an preußische und deutsche Siege unter anderem gegen Frankreich 1871 zu erinnern. Aber ehrlich gesagt, war es leider auch nicht die erhoffte wirklich große Demonstration in der Millionen-Hauptstadt des Landes, das nicht nur mehr als 80 Millionen Einwohner hat: Dessen Regierung spielt eine zentrale Rolle bei den aktuellen Kriegen, es ist potenzielles Schlachtfeld eines drohenden großen Krieges – und könnte eine zentrale Rolle spielen, um Frieden zu erreichen.
Doch diese Rolle nimmt die regierende Politik nicht an, wie der CSU-Politiker Peter Gauweiler bei seiner ersten Rede auf einer Friedensdemonstration beklagte. Er wandte sich ausdrücklich dagegen, mit immer mehr finanzieller und militärischer Unterstützung für Kiew «Benzin ins Feuer» zu gießen.
«Das ist heller Wahnsinn!», stellte der streitbare bayerische Politiker fest. Er befand zwar, dass Russland im Februar 2022 nicht zu den Waffen hätte greifen dürfen. Aber zugleich erinnerte er an die Vorgeschichte, für die nicht allein eine Seite verantwortlich sei, «weil das einfach nicht den Tatsachen entspricht».
Am offiziellen Tag der Deutschen Einheit erklärte Gauweiler:
«Niemand hat die Deutschen zu Richtern über die Völker gesetzt. Glaubt das doch endlich!»
Er wandte sich gegen die «täglichen Schuldzuweisungen, Verurteilungen und Verwünschungen gerade von Deutschland» gegenüber Russland. Das sei das Gegenteil einer Politik, die sich für Problemlösungen einsetzen müsse.
Forderung nach Friedenspolitik
Der CSU-Politiker unterstützte ausdrücklich das Anliegen der Demonstration «Die Waffen nieder!» und erinnerte an dessen Urheberin, die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Die Aufgabe angesichts der vielbeschworenen Werte sei «nicht das Waffenmanagement, sondern das wechselseitige Bemühen, die Waffen niederzulegen. Das ist jetzt die Aufgabe der deutschen Politik!»
CSU-Politiker Peter Gauweiler
Er forderte auch die Bundesländer in Deutschland auf, sich für eine Friedenspolitik einzusetzen, da sie dazu über den Bundesrat in der Lage wären.
«Und selbstverständlich sind die Länder gefragt, wenn es darum geht, ob ihre Bevölkerung in Gefahr gerät, atomar zu verbrennen oder nicht.»
Angesichts der Entwicklung «Konflikte zu Kriegen und Kriegen zu Atomkriegen» rief Gauweiler dazu auf: «Wir müssen dem mit allen Sinnen entgegentreten.» Deshalb hatte er auch kein Problem, unter anderem mit der Linken-Politikerin Gesine Lötzsch, dem SPD-Mann Ralf Stegner und Sahra Wagenknecht auf die Bühne der Friedensdemo zu stehen. Er verwies auch auf seine Freundschaft mit dem ehemaligen SPD- und Linkspartei-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der seine Frau Sahra Wagenknecht nach Berlin begleitet hatte.
Als diese nach dem CSU-Mann die Bühne betrat, bekam sie erwartungsgemäß noch mehr Beifall als Gauweiler. Das geschah auch bei ihren klaren Aussagen, mit denen sie die Kriegspolitik der bundesdeutschen Regierung geißelte. Sie bezeichnete diese Politik bis hin zum Beschluss, US-Mittelstreckenraketen in Deutschland aufzustellen, ebenso als «Schande», wie auch die Tatsache, dass Politik und Medien jene diffamieren, die für Frieden und Diplomatie eintreten.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sei mit ihrer Politik ein «Sicherheitsrisiko für Deutschland»:
«Das sind Leute, die uns immer mehr in Kriege hineinziehen. Die sind ein Sicherheitsrisiko für unser Land. Und um sie zu stoppen, sind wir heute hier.»
Sahra Wagenknecht
Es sei «eine Beleidigung für unsere Intelligenz», wenn Regierung und Medien erklärten, dass mehr Aufrüstung mehr Sicherheit bringen würde, sagte Wagenknecht. Sie widerlegte die offiziellen Erklärungen mit Zahlen, wonach die NATO-Staaten mit zehn Prozent Anteil an der Weltbevölkerung führ mehr als 60 Prozent der globalen Militärausgaben stehen. Die NATO gebe zwölfmal mehr als Russland für Waffen und Militär aus.
«Und da wollen sie uns weismachen, dass wir noch mehr aufrüsten müssen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten? Was glauben die, wie blöd wir sind? Wir lassen uns doch nicht für blöd verkaufen.»
Das Geld sei stattdessen notwendig «für Schulen, Krankenhäuser und unsere Leben – und nicht für den Tod und für Waffen». Die Gallionsfigur des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) warf der westlichen Politik Doppelmoral vor, weil sie die Ukraine aus verkündeten moralischen Gründen unterstütze, aber gleichzeitig keinerlei Mitgefühl mit den Opfern des israelischen Vorgehens im Nahen Osten, in Palästina und nun auch im Libanon habe.
Kritik an Doppelmoral
Das gelte auch für den Konflikt um Palästina selbst, sagte sie und wandte sich gegen den islamistischen Terror, fügte aber hinzu:
«Wer zu den furchtbaren Kriegsverbrechen im Gazastreifen schweigt, wer zu 40.000 Toten schweigt, darunter 20.000 Kinder. der soll mir nicht damit kommen, dass er moralisch ist. Nein, das ist Heuchelei.»
Terroristen würden nie durch Terror gestoppt, stellte sie klar, «sondern sie werden stärker, wenn das Blut fließt». Das schüre nur den «Hass, den die Terroristen brauchen» und sei der «völlig falsche Weg».
Wagenknecht forderte nicht nur Verhandlungen für die Ukraine und den Nahen Osten, um die Kriege dort zu beenden und um das Ausbrechen eines großen Krieges zu verhindern. Sie sprach sich dafür aus, ein «Bataillon der Kriegstüchtigkeitsmaulhelden» aufzustellen und an die Front zu schicken.
So könnten vielleicht Politiker wie Boris Pistorius (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Roderich Kiesewetter (CDU) und Anton Hofreiter (Grüne) erleben, «was Krieg bedeutet und wieviel Leid, Schmerz und Opfer Kriege bedeuten». Wenn sie zurückkämen, würden sie vielleicht begreifen, was Krieg heißt, und sich für dessen Ende und Diplomatie einsetzen.
Die BSW-Frontfrau bekam viel Beifall und Zustimmung, anders als zuvor der SPD-Politiker Ralf Stegner, der immerhin mit zu der Demonstration aufgerufen hatte. Der wurde mehrfach lautstark ausgebuht und als «Lügner» betitelt, unter anderem als er seine Partei als «Teil der Friedensbewegung» bezeichnete.
Auftritt eines SPD-Politikers
Seine Aussagen sorgte unter einigen Demonstrationsteilnehmern für Kontroversen, die zum Teil handgreiflich ausgetragen wurden, bis andere dazwischen gingen. Insgesamt blieb die Abschlusskundgebung wie zuvor die drei Sternmärsche durch Berlin, die zu ihr führten, friedlich. Auch die lautstarken pro-ukrainischen Gegendemonstranten konnten nicht provozieren.
Ralf Stegner
Stegners Auftritt auf der Friedensdemonstration, der im Vorfeld für verbale Angriffe und Vorwürfe gegen ihn sorgte, verlangt Respekt. Das betonten auch die anderen Rednerinnen und Redner auf der Bühne, während die Demoteilnehmer lautstark ihren Widerspruch kundtaten, als er die deutsche Unterstützung für die Ukraine und Israel rechtfertigte und Russland für den Ukraine-Krieg verantwortlich machte.
Der SPD-Politiker sprach sich aber dafür aus, die Konflikte und Kriege mit sofortigen Verhandlungen zu beenden. «Diplomatie ist nicht Appeasement», stellte er klar, «die ist notwendig, weil es die Alternative zu Krieg ist». Stegner wandte sich auch deutlich gegen die geplante Aufstellung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Er wandte sich dagegen, den Eskalationskurs gegenüber Russland fortzusetzen, ließ aber kaum klare Kritik an der SPD-geführten Bundesregierung unter Olaf Scholz vernehmen. Dabei trifft für diese genau das zu, was Stegner von der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner zitierte, die kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 starb:
«Sie haben Ohren und hören nicht. Sie haben Augen und sehen nicht. Sie haben ein Gehirn und denken nicht.»
Für die vielen Tausende, die in Berlin dabei waren, trifft das nicht zu. Mit Transparenten und Fahnen, selbstgemalten Schildern und Sprechchören forderten sie Frieden und Diplomatie, Solidarität und Freundschaft unter den Völkern.
Engagiert in Augsburg
Wie CSU-Politiker Gauweiler war Franz Egeter extra aus Bayern angereist, um dabei zu sein. Er engagiert sich seit Jahrzehnten in Augsburg in der dortigen Gruppe der «Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen» (DFG-VK). Er sei nicht das erste Mal nach Berlin gekommen, um für Frieden zu demonstrieren, erklärte Egeter.
Franz Egeter in Berlin
Zuvor hatte die Landesgruppe Berlin/Brandenburg der DFG-VK Stimmung gegen die Demonstration am Samstag gemacht und den Organisatoren unter anderem «russische Propaganda» vorgeworfen. Doch dabei handele es sich nur um «eine kleine Splittergruppe» innerhalb der Organisation, sagte Egeter dazu.
Es gehe darum, «dass die Regierung unter Druck genommen wird, aufhört mit ihren Waffenlieferungen und Verhandlungen anstrebt, wo immer es Krieg gibt», beschrieb er das Motiv für sein Dabeisein in Berlin. Seine Gruppe in Augsburg mache das seit Jahrzehnten nicht nur, indem sie junge Menschen berate, wie der Kriegsdienst, der wieder angekündigt worden sei, vermieden werden kann. Ebenso würden Veranstaltungen zu Themen wie Krieg und Frieden oder zu den aktuellen Konflikten in der Welt organisiert.
Auch Egeter vermisste bei der Demonstration in der Hauptstadt vor allem jüngere Menschen. Der Blick von der Bühne zeigte viele grau- und weißhaarige Köpfe, hauptsächlich Menschen in der zweiten Hälfte des Lebens.
«Die Friedensbewegung muss stärker werden», befand zuvor die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch auf der Bühne.
«Und ich finde, Friedensbewegung und Umwelt und Klimabewegung sollten sich zusammenschließen. Denn Krieg ist das größte Verbrechen an der Natur. Kriege zerstören unsere natürlichen Lebensgrundlagen.»
Ein interessanter Vorschlag
Sie verwies auf die Kosten für einen «Leopard 2»-Panzer, der mit etwa 27,5 Millionen Euro mehr koste als eine Grundschule in ihrem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg, für die 25 Millionen Euro nötig seien.
«Ein Panzer hat im Krieg eine Lebenserwartung von wenigen Monaten. Eine Schule aber von vier Jahrzehnten. Lasst uns weniger Panzer und mehr Schulen bauen!»
Nein zu Bundeswehr und Aufrüstung
Dass die Jugend aber nicht völlig desinteressiert ist, wenn es um Krieg und Frieden geht, zeigte nicht nur der Auftritt von Andrea Hornung vom «Jugendbündnis gegen Wehrpflicht» bei der Auftaktkundgebung. Auch Joshua Müller von der IG Metall-Jugend in Frankfurt/Main wandte sich gegen jene, die «versuchen, uns Kriege schmackhaft zu machen».
Joshua Müller von der IG Metall-Jugend auf der Bühne
Seine Gewerkschaft ist auch in Rüstungsbetrieben wie der Panzerschmiede Rheinmetall zu finden und gibt dort oftmals dem Erhalt von Arbeitsplätzen den Vorrang vor dem Engagement für Frieden. «Diese Kriege füllen nur die Taschen weniger Konzerne und zerstören das Leben von vielen», machte Müller klar. Er kritisierte, dass mehr Geld für die Aufrüstung und weniger für Soziales und Bildung ausgegeben werden soll.
«Und während im Bundestag über diese Aufrüstung entschieden wird, wird gleichzeitig Stimmung gegen die Ärmsten gemacht, indem über Kürzungen beim Bürgergeld diskutiert wird. Das Bürgergeld reicht doch jetzt schon nicht aus, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Diese Diskussion soll nur von den Ausgaben für neue Kriege ablenken.»
Er forderte, die Bundeswehr müsse raus aus Schulen und den Universitäten. Ebenso sprach er sich dagegen aus, durch eine migrantenfeindliche Politik von den Ursachen für Flucht und Vertreibung abzulenken.
Kritik an Israels Völkermord
Leider erging es ihm wie zuvor der jüdischen Psychoanalytikerin Iris Hefets und der palästinensischen Rechtsanwältin Nadija Samour. Ihr gemeinsamer Auftritt wie schon vor knapp einem Jahr war eines der beeindruckendsten Zeichen für Verständigung und Frieden bei der gesamten Veranstaltung.
Iris Hefets (links) und Nadija Samour
Doch ihr Aufruf, den israelischen Völkermord an den Palästinensern zu stoppen und sich für Frieden im Nahen Osten einzusetzen, fand nur noch deutlich weniger Zuhörer und mediale Aufmerksamkeit. Nach dem Auftritt der Politprominenz wurden nicht nur die meisten der vielen TV-Kameras abgebaut, sondern verließen auch immer mehr Teilnehmer den Platz an der «Siegessäule».
Ein klares Bekenntnis
Auch der ehemalige palästinensische Botschafter in Deutschland, Salah Abdel-Shafi, hatte zuvor in einer Videobotschaft an die Kundgebung den israelischen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser angeprangert:
«Was uns aber schockiert, ist das Schweigen der Welt und insbesondere das Schweigen der westlichen Welt. Diese Welt, die uns immer gerne belehrt über Menschenrechte, über Völkerrecht, über das humanitäre Völkerrecht dieser Welt, schweigt.»
Doch die westliche Welt würde nicht nur schweigen, sondern weiterhin Waffen und Geld an Israel liefern, und Israel politisch und diplomatisch unterstützen. Das geschehe angesichts eines Völkermords vor laufenden Kameras. Arafeh betonte:
«Wer schweigt, ist ein Mittäter und auf der falschen Seite der Geschichte.»
Für die Organisatoren war die Demonstration am deutschen Nationalfeiertag ein Erfolg, aber auch ein «Anfang», wie Mitorganisatorin Wiebke Diehl erklärte. Die Organisatoren hatten nach eigenen Angaben mit etwa 25.000 Teilnehmern gerechnet, während etwa doppelt so viel gekommen seien. Zum Schluss der Kundgebung verlas Michael Müller von der Organisation «NaturFreunde Deutschland» den «Berliner Appell – Gegen neue Mittelstreckenwaffen und für eine friedlich Welt».
Die Musiker Tino Eisbrenner (links) und Pablo Miro sangen zum Abschluss mit den Friedensdemonstranten das Lied «We shall overcome»
In dem Appell wird von 40 Erstunterzeichnern gegen die Aufstellung neuer US-Mittelstreckenwaffen protestiert. Ebenso fordern sie, «Konflikte und Rivalitäten nicht militärisch zu lösen, sondern alles zu tun, Kriege zu vermeiden oder zu beenden. Dieser Aufgabe darf sich niemand entziehen.»
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