Der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump regiert seit dem ersten Tag seiner erneuten Amtsübernahme mit Hilfe des Ausnahmezustandes. In seinem neuesten Text beschreibt der investigative US-Journalist Seymour Hersh (87), wie Trump dabei nicht nur auf alten Vorstellungen der Republikaner, sondern auch auf Unklarheiten und geheime Regelungen im demokratischen System der USA aufbaut.
Abgesehen davon, dass Hersh anscheinend ein positives Bild der vermeintlichen Entwicklungshilfeorganisation USAID hat, ist sein Beitrag interessant. Er ignoriert, dass diese US-Behörde, die von Trump geschrumpft werden soll, seit ihrer Gründung ein Instrument der imperialistischen US-Interessen war.
US-Präsident Trump verhalte sich jetzt «wie ein Fliegenfischer, der auslotet, was er fangen kann», so Hersh. Dabei seien die Handlungen des Präsidenten nicht neu:
«Seit mehr als fünf Jahrzehnten schwören republikanische Präsidenten bei ihrem Amtsantritt, die Bürokratie zu zerschlagen, notwendige Dienstleistungen für die Bürger abzuschaffen und Wege zu finden, um für ihre Geldgeber viel Geld zu verdienen.»
Der Journalist verweist auf das Buch «The Wrecking Crew: How Conservatives Ruined Government, Enriched Themselves, and Beggared the Nation» des Autors Thomas Frank. Dieser habe darin bereits 2008 «erstaunlich vorausschauend» beschrieben, was derzeit geschehe:
«Oligarchen strömen jetzt in die Zone und übernehmen mit Trumps Segen die Führung in außen- und innenpolitischen Fragen, von denen sie wenig verstehen. Der Aktionsplan, so habe ich bei einer erneuten Lektüre von Franks Buch herausgefunden, hat seine Wurzeln in den Anfängen der Reagan-Regierung.»
Dieser Plan werde heute von Trump wiederholt und sei zuvor von Grover Norquist formuliert worden, einem konservativen «Wunderkind» vor Elon Musk, «nicht so reich, aber genauso einflussreich». Frank zitiert laut Hersh aus Norquists Plan:
«Zuerst wollen wir liberales Personal aus dem politischen Prozess entfernen. Dann wollen wir diese Macht- und Einflusspositionen für Konservative einnehmen. (...) Mit diesem Grundsatz im Hinterkopf müssen Konservative alles in ihrer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass sie Jobs in Washington bekommen.»
Frank zeige in seinem Buch, dass für US-amerikanische Rechte Bundesangestellte bzw. -beamte schon immer «Schurken» seien, die die Gewerkschaften unterstützen und fördern würden. Außerdem würden nach der rechten Mythologie die Beamten die Liberalen sowohl mit Stimmen als auch mit Wahlkampfspenden unterstützen.
Was «ein bisschen paranoid» klinge, habe Elon Musk mit der Aussage auf seiner Plattform X bestätigt, USAID sei eine «kriminelle Organisation», die sterben müsse. Zuvor hatte Musk auf der Plattform behauptet, «USAID war ein Schlangennest radikaler linker Marxisten, die Amerika hassen».
Hersh erinnert daran, dass auch die Administration von George W. Bush, die 2001 ins Amt kam, sich ebenfalls «als politischer Feind der Bundesregierung» sah. Damals sei vorgeschlagen worden, dass die Hälfte aller Posten in der US-Bundesverwaltung «für Angebote aus dem Privatsektor» offen sein müsse.
Die Folge sei laut dem Buchautor Frank, dass bei «jeder der großen Initiativen der Bush-Regierung – Terrorismusbekämpfung, Wiederaufbau nach dem Hurrikan Katrina und Wiederaufbau im Irak – die Privatisierung der Regierung eine Hauptrolle spielte und sich als vergoldeter Pfusch erwies». Die Konsequenz des «unerbittlichen Glaubens der Konservativen an die Schlechtigkeit der Regierung» sei «eine schlechte Regierung».
US-Journalist Hersh berichtet in seinem Beitrag außerdem von Gesprächen mit den Politikberatern Mark Medish und Joel McCleary, die zeitweise für die Mitarbeiter der Präsidenten James Carter (McCleary) und William Clinton (Medish) tätig gewesen seien. Beide Männer würden vor einer «drohenden Krise der Notstandsbefugnisse» warnen.
Das würden sie bereits seit mehr als fünf Jahren tun, als sie vor der US-Präsidentschaftswahl 2020 begannen zusammenzuarbeiten. Anlass sei gewesen, dass Trump damals in seiner ersten Amtszeit Artikel II der US-Verfassung zitierte, der ihm als «Chief Executive» der USA «das Recht gibt, als Präsident zu tun, was immer ich will».
Das sei eine Fehlinterpretation der Verfassung und Politikwissenschaftler seien sich einig, dass der US-Präsident keine solche Autorität hat, so Hersh. Medish und McCleary hätten dazu 2020 einen Aufsatz auf dem Onlineportal JustSecurity.org veröffentlicht, in dem sie argumentierten, dass «die Zukunft der Wahldemokratie in den Vereinigten Staaten ohne Übertreibung gefährdet ist».
Die beiden Politikberater würden auf das «größte Geheimnis der Vereinigten Staaten» aufmerksam machen, das nicht bekannt sei: die Notstandsbefugnisse, die Trump und jeder andere Präsident hätte, wenn Amerika einem schweren Angriff ausgesetzt wäre. In ihrem Essay schreiben sie, dass «die meisten Notstandsbefugnisse des Präsidenten im Rahmen einer Reihe von Gesetzen wie dem National Emergencies Act von 1976 und dem International Emergencies Economic Powers Act von 1977 genutzt wurden».
Darin sei es darum gegangen, die Notstandsbefugnisse zu definieren und einzuschränken, beispielsweise durch die Forderung einer formellen Notstandserklärung durch den Präsidenten und die Festlegung bestimmter Verfahren für die Umsetzung. Doch in einem Bericht des Congressional Research Service sei festgestellt worden, dass die Ausübung von Notstandsbefugnissen in der Realität von der Sichtweise des jeweiligen Präsidenten selbst abhinge.
So ergebe sich trotz der ausdrücklichen gesetzlichen Beschränkungen ein Handlungsspielraum für den US-Präsidenten, mit oder ohne den US-Kongress zu entscheiden, zitiert Hersh aus dem Aufsatz von Medish und McClearly. Die beiden würden vermuten, Trumps Rechtsberater «haben wahrscheinlich sein Vertrauen gestärkt, dass er das Recht hat, viele Dinge zu tun, von denen die Menschen nichts wissen. (...) Es wurde noch nie ein Dokument über Maßnahmen des Präsidenten veröffentlicht oder ist durchgesickert. Und es scheint, dass noch nie eines geltend gemacht wurde».
Hersh schreibt, dass Medish, jetzt als Anwalt in Washington tätig, früher die Abteilung für russische, ukrainische und eurasische Angelegenheiten des Nationalen Sicherheitsrats leitete. Die Covid-Krise im Jahr 2020 habe den Politikberater und McCleary dazu veranlasst, «sich mit ‹unkonventionellen Bedrohungen› – wie das Virus sicherlich eine war –» und dem Innenleben der US-Verfassungsarchitektur zu befassen. Dazu hätten auch eine Reihe von Planspielen gehört, was bei einer zukünftigen Wahl schiefgehen könnte und welche Kontrollmechanismen zur Verfügung stehen würden.
Medish und McCleary seien bei ihren Recherchen von William Miller unterstützt worden, einem ehemaligen Berater des US-Senats und Botschafter in der Ukraine. Miller sei als leitender Berater eines Sondergremiums des Geheimdienstausschusses des Senats unter der Leitung des demokratischen Senators Frank Church aus Idaho tätig gewesen, der Mitte der 1970er Jahre die verdeckten Aktivitäten der CIA untersuchte, wozu damalige Beiträge von Hersh den Anstoß gaben.
Medish habe dem US-Journalisten erzählt, schreibt dieser, dass Miller ein Experte für die Geschichte des Englischen Bürgerkriegs war, der «davor warnte, dass die Partei des Königs immer versuchen würde, der Partei des Parlaments die Macht zu entreißen». Das Fazit von Hersh:
«Es scheint offensichtlich, dass Trumps Machtübernahme – und nicht nur seine – gerade erst beginnt.»
In dem Zusammenhang ist ergänzend zu dem Bericht des US-Journalisten auf eine Einschätzung des Politikwissenschaftlers Erhard Crome zu verweisen, der in der Ausgabe 25/2024 der Onlinezeitschrift Das Blättchen schrieb:
«Trump war schon immer ein Meister der symbolischen Politik. Insofern zelebriert er seine Ernennungen wie ein König: Trump – mit oder ohne MAGA-Mütze – empfängt den Kandidaten, umarmt ihn, klopft ihm auf die Schulter, der steht in devoter Haltung vor ihm und empfängt den Ritterschlag, bedankt sich. Das heißt, zwischen ihnen besteht nicht nur eine institutionelle Beziehung, zwischen dem Präsidenten und seinem Minister, sondern eine persönliche, wie zwischen dem König und seinem Vasallen. Der westliche Spätkapitalismus nimmt symbolisch Formen des feudalen Absolutismus an.»
Crome stellt klar, worum es sich bei dem handelt, was Hersh beschreibt, und bestätigt, dass Trump eine weitere Reduzierung der staatlichen Kontrolle und eine neue Stufe der Privatisierung durchsetzen wolle.
«Die dies durchsetzen sollen, sind allesamt Multimillionäre und Milliardäre. In diesem Sinne bedeutet die Trump-Regentschaft nicht nur symbolisch, sondern auch praktisch die Feudalisierung des Spätkapitalismus: die Oligarchen lassen nicht mehr die sogenannte Politische Klasse für sich regieren. Sie regieren selbst.»
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