Ghada war zwölf Jahre alt, als ihr Vater sie an einen viel älteren Mann verheiratete – aus purer Not. Drei Jahre später war sie bereits dreifache Mutter. In einem Land wie dem Jemen, wo Hunger und Krieg den Alltag bestimmen, sehen viele Familien keine andere Wahl: Ihre Töchter werden zu «Verhandlungsmaterial», zu Mitteln des Überlebens.
«Er hat einfach das erste Angebot angenommen – für mich und meine Schwestern», sagt Ghada rückblickend. D
Die Ehe brachte ihr Leid, Missbrauch und Isolation. Nur weil sie einen Sohn gebar, durfte sie ihre Familie kurz besuchen. Als sie nach einem gescheiterten Selbstmordversuch zurück in ihr «Ehe»-Haus musste, war ihre Kindheit endgültig vorbei.
Ghada ist kein Einzelfall. Laut UNICEF haben weltweit über 650 Millionen Frauen Kinderehen hinter sich – viele davon mit massiven gesundheitlichen und psychischen Folgen. Vor allem in Krisenregionen wie dem Jemen, in Teilen Afrikas und Asiens, nimmt das Phänomen erschreckende Ausmaße an.
In Afghanistan etwa sorgte kürzlich ein erschütternder Fall für internationale Empörung: Ein sechsjähriges Mädchen wurde einem 45-jährigen Mann «überlassen» – angeblich als Gegenleistung für Geld. Die Szene war so verstörend, dass sogar die Taliban intervenierten, um die Hochzeit zu verhindern.
Im gleichen Jahr wurde im Nordwesten des Landes ein neunjähriges Mädchen von einer Hilfsorganisation gerettet, nachdem ihr Vater sie für den Gegenwert von rund 1.600 Pfund an einen Fremden verkauft hatte – in Form von Land, Schafen und Bargeld. Ein tragisches Muster, das sich immer wiederholt.
Der Jemen hat kein gesetzlich festgelegtes Mindestalter für Eheschließungen. Zwei von drei Mädchen heiraten dort vor ihrem 18. Lebensjahr. In anderen Ländern ist die Lage nicht besser:
- In Niger sind 76 % der Frauen unter 18 verheiratet.
- In Zentralafrika und Tschad liegt der Wert bei über 60 %.
- In Bangladesch betrifft das Problem 51 % der Mädchen, in Nepal 35 %.
- In Afghanistan stiegen nach dem Taliban-Comeback die Kinderehen um 25 %, Teenager-Schwangerschaften sogar um 45 %.
Und selbst Europa ist nicht immun: In Rumänien, einem EU-Staat, heiratet ein Prozent der Mädchen vor dem 15. Lebensjahr – sieben Prozent sind es vor dem 18. Geburtstag. Die Ursachen: Armut, patriarchale Traditionen und mangelnde Durchsetzung bestehender Gesetze.
Was Ghada letztlich rettete, war das Mitgefühl eines Nachbarn. Gemeinsam mit ihrer Mutter fand sie Zuflucht in einem von den Vereinten Nationen unterstützten Schutzhaus. Dort lernte sie lesen, schreiben und schneidern – zum ersten Mal in ihrem Leben. Mit Hilfe eines Anwalts bekam sie das Sorgerecht für ihre Kinder.
Heute – mit 16 – lebt sie wieder bei ihrem Vater, versorgt ihre Familie selbst und möchte vor allem eines: «Ich will meine Kinder bilden, damit sie frei entscheiden können, wie sie leben wollen.» Die Schule, sagt sie, habe ihr die Freiheit geschenkt, eigene Entscheidungen zu treffen.
UNICEF und UNFPA versuchen, mit globalen Initiativen das Problem zu bekämpfen. Doch es fehlt an Geld, an politischem Willen – und an gesellschaftlichem Wandel. Bildung wird als Schlüssel angesehen: Nur wenn Mädchen zur Schule gehen, können sie den Teufelskreis von Abhängigkeit und Missbrauch durchbrechen.
Neben Friedenssicherung und Entwicklung brauche es vor allem kulturellen Wandel – und den Mut, über ein Thema zu sprechen, das viel zu oft im Stillen geschieht.