Die jüngste Salve in der laufenden Schlacht zwischen Elon Musk und der EU kam von seiten des X-Eigentümers. Das Magazin Unherd erinnert daran, dass Musk offengelegt habe, dass X im Vorfeld der Europawahlen ein «illegaler Geheimdeal» angeboten worden sei: Wenn die Plattform der heimlichen Zensur von Online-Beiträgen zustimmen würde, würde die Europäische Kommission sie nicht für Verstöße gegen den Digital Services Act (DSA) bestrafen. X habe die Zusammenarbeit verweigert, aber alle anderen großen Plattformen hätten den Deal akzeptiert, behauptete Musk.
Musks Enthüllungen kämen kurz nachdem die Kommission X verschiedene Verletzungen des DSA, ihres neuen Gesetzes zur «Moderation» von Online-Inhalten, vorgeworfen hatte. Sie habe das Unternehmen dazu aufgefordert, solche Verstöße zu beheben – ansonsten müsse es mit einer Geldbuße von bis zu 6 Prozent seines weltweiten Jahresumsatzes rechnen. Außerdem könnte dies dazu führen, dass X seine Tätigkeit in der EU gänzlich untersagt werde.
Die Kommission behauptet, es gehe ihr um «Transparenz» und den Schutz der Nutzer vor Täuschung und «Desinformation», so das Magazin weiter. Doch in Wahrheit gehe es, wie Musk andeute, um den Wunsch der EU, die Online-Berichterstattung heimlich zu kontrollieren. So viel sei zum Thema Transparenz zu sagen.
Die Sprache und die Anschuldigungen seien indes nicht neu. Die Grundregeln für diesen Kampf seien in dem Moment festgelegt worden, als Musk Twitter übernommen und getwittert habe, «der Vogel ist frei». Thierry Breton, der «Zensurbeauftragte» der EU habe sofort geantwortet: «In Europa wird der Vogel nach unseren Regeln fliegen» – mit einem Verweis auf den DSA, der im selben Monat offiziell in Kraft getreten war.
Es sei schwer vorstellbar, wie Musk diesen Kampf gewinnen könnte, urteilt Unherd. Vor allem, wenn man bedenke, dass er sich mit seinem Einsatz für die Meinungsfreiheit nicht nur mit der EU, sondern auch mit einer Reihe anderer Regierungen in aller Welt angelegt habe, darunter die von Brasilien, Indien, Australien und der Türkei.
In fast allen Fällen habe die Plattform den Forderungen der Regierungen jedoch nachgegeben. Ein Bericht aus dem letzten Jahr habe gezeigt, dass X unter Musk mehr als 80 Prozent der Zensuranfragen von Regierungen genehmigt habe.
Während Musk also öffentlich die EU herausfordere, entferne er – wie viele X-Nutzer beklagt hätten – Beiträge wegen Nichteinhaltung der DSA. Ihn der Heuchelei zu bezichtigen, würde jedoch an der Sache vorbeigehen, verteidigt ihn das Magazin. Die Befolgung dieser Aufforderungen sei oft die einzige Möglichkeit für das Unternehmen, seinen Betrieb aufrechtzuerhalten.
Und zumindest habe Musk, anders als die anderen großen Plattformbetreiber, die Online-Zensur öffentlich gemacht und mit den Twitter Files das schockierende Ausmaß der geheimen Absprachen zwischen der US-Regierung und den Social-Media-Unternehmen aufgedeckt.
Ein systemisches Problem
Der weltweite Angriff auf die Meinungsfreiheit sei keine Laune unkontrollierter, machthungriger Politiker und Bürokraten, erklärt Unherd weiter. Es handele sich um ein systemisches Problem, das mit dem strukturellen Verfall der liberal-demokratischen Institutionen zusammenhänge, insbesondere im Westen.
Während unsere Gesellschaften zu De-facto-Oligarchien verkämen, die von zunehmend delegitimierten politisch-wirtschaftlichen «Eliten» kontrolliert würden, werde die Manipulation der öffentlichen Meinung als unabdingbar angesehen, um diesen Status quo zu schützen. Hinzu komme die zunehmende Militarisierung des geopolitischen Umfelds, die angesichts ihrer politischen und wirtschaftlichen Folgen eine noch willfährigere Bevölkerung erfordere.
Es sei kein Zufall, dass der zensur-industrielle Komplex in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre entstanden sei. Dies sei die Zeit gewesen, als der Westen von einer beispiellosen «populistischen» Gegenreaktion gegen die Globalisierung und die neoliberale Ordnung erschüttert worden sei – Trump, Brexit, die Gelbwesten und der Aufstieg euroskeptischer Parteien und Bewegungen in ganz Europa nennt das Magazin als Beispiele.
Außerdem sei es auch die Zeit gewesen, als in der Ukraine die Weichen für die künftige Konfrontation mit Russland gestellt worden seien. Ebenso habe damals die NATO begonnen, die Doktrin der hybriden oder kognitiven Kriegsführung zu entwickeln, die das Management der westlichen öffentlichen Meinung als integralen Bestandteil der Kriegsführung begreift.
Die Covid-19-«Pandemie», die den ersten massiven Einsatz von Online-Zensur mit sich gebracht habe, habe den westlichen «Eliten» gemäß Unherd etwas Zeit verschafft, wenn auch nicht für lange. Seitdem gebe es einen großen Unterschied: Früher habe Online-Zensur hinter verschlossenen Türen stattgefunden; heute werde sie institutionalisiert und konstitutionalisiert.
Die «Eliten» rechtfertigten ihre Zensur bequemerweise auf zweierlei Art. Erstens durch die ständige Ausweitung des Begriffs «Hassrede» auf fast alles. Und zweitens, was noch bedrohlicher sei, durch die Umbenennung kritischer Meinungen, insbesondere zu außen- und geopolitischen Themen, in «Desinformation» oder Beispiele für ausländische Einmischung.
Diese absichtliche Verwischung der Grenze zwischen illegalen und schädlichen Äußerungen sowie zwischen kritischer Meinung und ausländischer Propaganda ist nach Ansicht des Magazins ein zentrales Element des Zensurregimes. Denn es ermögliche den EU-Technokraten zu bestimmen, was Hunderte von Millionen Europäern online sagen und lesen können oder nicht. Das sei staatlich sanktionierte Zensur, schlicht und einfach.
Diese Art von Massenzensur sollte wirklich als letzte Verteidigungslinie einer verzweifelten Oligarchie verstanden werden, betont Unherd abschließend. Und niemand verkörpere diese Oligarchie besser als Thierry Breton selbst, ein ehemaliger Geschäftsmann und Auftragnehmer des Militärs und des Geheimdienstes, der zum obersten Technokraten geworden sei. Wäre dies ein Film, könne man sich keine bessere Wahl als ihn als Erzfeind des «populistischen Hetzers» Musk vorstellen.
Dies sei aber kein Film, sondern ein Kampf, der die Zukunft der Demokratie für die nächsten Jahre bestimmen werde. Und wenn wir von Elon Musk erwarten würden, dass er für den Rest von uns kämpfe, hätten wir schon verloren.
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