«Trumps Job wird es sein, die Niederlage der USA gegen Russland zu verwalten» – das hat der französische Historiker und Anthropologe Emmanuel Todd in einem Interview erklärt. In einem am 6. Januar veröffentlichten Video-Interview mit Vincent Roux von der französischen Zeitung Le Figaro sagte er, Donald Trumps Wahlsieg täusche über die tatsächliche Situation der USA hinweg:
«Er ist siegreich in einer Gesellschaft, in einer Wirtschaft, die auseinanderbricht, und die vor allem einen weltweiten Krieg gegen Russland verliert.»
Todd ist sich bewusst, dass das überraschend klingt, weil «alle im Rausch der Hypermacht Trumps als magisches Individuum sind». Doch er werde als «der Präsident der Niederlage der Vereinigten Staaten in die Geschichte eingehen». Trump bleibe nur, die Niederlage der USA gegen Russland zu verwalten, «was wir in diesem Jahr erleben werden».
Trumps Wiederwahl ist für den französischen Historiker kein Zeichen für einen positiven Schub der US-amerikanischen Gesellschaft hin zu einer neuen Hoffnung. Das sei eher möglich geworden durch den Zusammenbruch der Wählerschaft der Demokraten, durch den Vertrauensverlust in diese.
Zu den aufgeregten Debatten um die US-Wahlen und ihr Ergebnis im westlichen Europa sagt Todd:
«Wir sind Untertanen der Vereinigten Staaten auf geopolitischer Ebene. Wir gehorchen und erwarten von unseren Herren, dass sie für uns entscheiden. Und wir regen uns unermüdlich über den amerikanischen Machtwechsel auf. Wir denken: Wird das gut für uns sein? Wird es schlecht für uns sein und so weiter?»
Dabei werde die historische Grundtendenz übersehen: der Niedergang der USA. Er verweist gegenüber Le Figaro auf sein jüngstes Buch «La défaite de l’Occident» (deutsch: «Der Westen im Niedergang»), in dem er beispielsweise die industrielle und militärische Unfähigkeit der USA beschreibt, genügend Rüstungsgüter zu produzieren, um die Ukraine im Krieg zu unterstützen.
Unumkehrbare Prozesse
Das sei begründet in der Unfähigkeit, ausreichend Ingenieure auszubilden, verbunden mit dem Fall des Bildungsniveaus und dem Zusammenbruch der protestantischen Ethik, «die die Stärke nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern des Westens war». Der Aufstieg des Westens sei mit dem Aufstieg des Protestantismus verbunden gewesen, der ein hohes Bildungsniveau hervorgebracht habe.
Es handele sich um Prozesse, «die nicht umkehrbar sind» und die auch «ein schlecht erzogener Typ» wie Trump nicht aufhalten könne. Doch die US-dominierte westliche Welt glaube weiterhin, «dass es wichtig ist, mit den Bossen gut zu sein».
Doch in der Welt außerhalb des US-amerikanischen Herrschaftsbereiches werde klar gesehen, dass sich die USA im Niedergang befinden. Es sei beim Krieg in der Ukraine wahrgenommen worden, «dass Russland die Stellung hielt», weshalb der vom Westen bislang ausgebeutete Rest der Welt «den Sieg Russlands als Befreiung» erwarte.
Aus Sicht von Todd gibt es zwei Dimensionen der Opposition der übrigen Welt gegenüber den Vereinigten Staaten: Das betreffe die gesellschaftlichen Werte, «die vom Rest der Welt als eher abwegig angesehen werden». Wichtiger sei aber die Dimension der Macht und der wirtschaftlichen Ausbeutung, so zum Beispiel im Fall von Brasilien als BRICS-Mitglied, das in seinen Werten «ganz nah am Westen» sei.
Der französische Historiker widerspricht der vermeintlichen Gemeinsamkeit zwischen dem neuen rechten Nationalkonservatismus in europäischen Ländern und dem russischen Konservatismus unter Wladimir Putin, dem «Putinismus». Die neokonservativen oder volkstümlich-konservativen Parteien in Europa hätten keine gemeinsamen Werte mit Putin.
Entscheidender Faktor
Die russische Grunddoktrin sei nicht konservativ, sondern folge dem Ideal der absoluten Souveränität. Der Westen gebe stattdessen seine jeweilige nationale Souveränität auf, erinnert Todd, was für andere Länder nicht anziehend sei. Zugleich gebe es in Russland keine Islamophobie, da es fünfzehn Prozent Muslime in der Bevölkerung habe.
Das sei für arabische oder muslimische Länder von entscheidender Bedeutung, wenn sie Russland gegen die USA unterstützen. Deshalb habe der jüngste BRICS-Gipfel in Kasan stattgefunden, «wo es eine wunderschöne Moschee gibt», in der Hauptstadt Tatarstans, einer muslimischen Teilrepublik Russlands.
Das sei von grundlegender Bedeutung, während einer der Ausgangspunkte des konservativen Populismus in Europa die Islamophobie sei. Entscheidend sei für den wachsenden globalen Widerstand gegen den Westen die Beziehung von Macht zu wirtschaftlicher Ausbeutung, stellt der Historiker in dem Interview klar.
Erscheinungen in Folge des Krieges in der Ukraine wie die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Russland oder die Rolle Chinas bei der Annäherung zwischen den Saudis und dem Iran wahrzunehmen, falle im Westen schwer. Dieser habe Schwierigkeiten «die Welt durch die Augen der Menschen zu betrachten, die wir seit der industriellen Revolution beherrscht haben».
Bei diesen gebe es einen starken Ruf nach Freiheit von der Herrschaft des Westens und von der Ausbeutung durch diesen. Dazu habe auch die Globalisierung der jüngsten Vergangenheit nach 1989/90 beigetragen.
«Das war die Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung des Rests der Welt. Eine Ausbeutung, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte.»
Der Westen habe seine Arbeiterklasse ausgelagert, nach China, Bangladesh und andere Länder mit Niedriglöhnen. Er ließ die Menschen dort für sich arbeiten.
Wichtigster Trend
Todd sagt zu den USA und Personen wie Elon Musk, dass diese immer noch ausreichende Ressourcen haben und Ideen, um Dinge in Gang zu setzen, auch neue Produktionen. Doch entscheidend sei nicht der Umsatz von Musks Firma Starlink mit etwa neun Milliarden Dollar Umsatz im Jahr, sondern der Zusammenbruch des Boeing-Konzerns mit 65 Milliarden Umsatz.
Der Historiker sieht als einen der wichtigsten Trends in der Welt den «russischen Sieg im Osten».
«Wir sind dabei, eine Niederlage zu erleiden. Das westliche Lager erleidet eine Niederlage und wir sind dabei, uns aufzulösen.»
So befinde sich Europa in einem «Zustand unglaublicher wirtschaftlicher Stagnation» und zugleich seien seine politischen Systeme blockiert. In Asien, in Korea oder Japan, sehe es nicht anders aus. Überall im US-geführten Westen zeigten sich «ungeordnete Bewegungen», Erscheinungen eines Bruch- beziehungsweise Zerfallsprozesses.
Elon Musk sieht Todd als «erstaunlichen Typ», der als reichster Mann der Welt ungefiltert Dinge sage, «die uns abwegig erscheinen» Seine Einmischungen in die Politik europäischer Länder wie in Deutschland oder England zeigten offen, «was die Amerikaner über uns denken»: «Die Amerikaner verachten uns für unsere Unterwürfigkeit.»
Todd sieht die USA nicht in der Lage, wegen Taiwan einen Krieg gegen China zu führen, was durch den Ukraine-Krieg deutlich geworden sei. Mit Blick auf letzteren schätzt er ein, dass es keine Verhandlungen dazu mit Russland geben werde, da die US-Außenpolitik «genderfluid», also zu unkalr und wechselhaft, sei.
Das zeige sich durch eines der Prinzipien der US-Außenpolitik, nämlich die Unzuverlässigkeit: «Ein Präsident unterschreibt etwas und der nächste hebt den Vertrag auf.» Das habe sich unter anderem bei Obama und Trump beim Atomabkommen mit dem Iran gezeigt.
Doppelter Schock
Die russische Außenpolitik wisse, dass sie den US-Amerikanern nicht trauen kann und dass selbst ein unterschriebener Vertrag nicht eingehalten werde. Das habe Folgen im Fall der Ukraine und für die angekündigten Bemühungen Trumps, den Krieg zu beenden.
Für Moskau sei klar, dass ein Waffenstillstand durch US-bestimmte Verhandlungen mit der Ukraine «nur dazu diene, die Ukraine wieder zu bewaffnen und in zehn Jahren wieder loszulegen, so wie beim letzten Mal». Todds Schlussfolgerung:
«Das bedeutet, dass es keine Verhandlungen geben wird. Es wird keine geben.»
Russland werde «alles nehmen müssen, was sie brauchen, um in Sicherheit zu sein», was bedeute, dass Odessa erobert werde und die russische Armee bis zum Dnjepr vordringe. Zur Frage nach den Ereignissen in Syrien sagt der Historiker, dass es sich um einen «unbestreitbaren Misserfolg für Russland» handele. Zugleich sei das Geschehen dort aber für Moskau nebensächlich geworden, so dass man sich gegebenenfalls ohne großes Aufhaben zurückziehe, wenn sich eine Niederlage abzeichne.
«Eigentlich ist Deutschland für mich der Schlüssel», sagt Todd auf eine entsprechende Frage des Moderators. Die Frage, die sich für den Westen stelle, sei, ob er seine Niederlage akzeptiert oder nicht.
«Die Russen werden bis zum Dnepr vorrücken, bis nach Odessa und dann werden sie das Szenario abbrechen.»
Die Folge sei ein «doppelter Schock für den Westen. Erstens: Die Russen haben gewonnen. Und dann ist alles, was man uns über die russischen Offensiven in Europa erzählt hat, absurd, denn sie werden sich nicht mehr bewegen.»
Entscheidendes Deutschland
Der erzeuge einen «Effekt der Delegitimierung unserer herrschenden Klassen in Bezug auf ihre Kompetenz oder Ehrlichkeit». Todd bezeichnet das als «absolut spektakulär». Aber die USA und die «sekundären Oligarchien in Europa» würden diese Niederlage nicht akzeptieren.
Das einzige Land, das die industrielle Kapazität habe, um Russland ein militärisches Problem zu bereiten, sei Deutschland. Dieses sei in finanzieller Hinsicht einer der großen Beitragszahler zum Haushalt der Ukraine, aber nicht bei offensiven militärischen Waffen.
Der bisherige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei zumindest so vorsichtig, immer noch keine Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern. Doch wenn die USA es schaffen würden, dass eine neue deutsche Regierung in den Krieg eintritt, drohe eine nukleare Katastrophe.
Moskau habe eine entsprechende Reaktion angekündigt und halte sich an das, was es sagt. «Die Russen waren sehr geduldig mit Deutschland», sagt Todd und warnt vor den Folgen, wenn Deutschland sich vollständig in der Ukraine engagieren würde.
Er verweist auf die Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland einschließlich der mehr als 25 Millionen Toten im Zweite Weltkrieg auf sowjetischer Seite:
«Da denke ich, wenn Deutschland da mitmacht, da werden die Russen gnadenlos sein.»
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