Letzte Woche trafen sich Menschen von überall her, tauschten sich aus, assen, lachten, gaben sich einander ihre Adressen und sagten am Schluss: «Wir sehen uns wieder.» Ich erlebte eine offene, friedvolle Diskurs-Kultur in der Corona-Krise. Mich beeindruckte ganz einfach das Aufeinandertreffen von verschiedenen Menschen aus verschiedenen Regionen der Schweiz.
Bild: Suma Lommen
Als Einstimmung wurden einige Lieder gesungen, die sehr viele Emotionen auslösten. Doch sie sorgten auch für Stimmung. Stimmung, um sich nach langer Zeit wieder einmal mit Menschen auszutauschen, die zufällig aufeinandertrafen. Ich war tief beeindruckt. Es waren keine resignierten Menschen, die im Widerstand verharren, sondern aktiv etwas an ihrem Leben verändern möchten. Eigenverantwortung und Handlung sind angesagt. Das ist für viele Menschen anstrengend. Doch ohne Eigenverantwortung und selbständiges Handeln kommen wir nicht weiter.
Seit bald anderthalb Jahren verharren wir in einer Starre, die Untätigkeit hervorruft. Viele Menschen haben sich aus meinem Freundeskreis zurückgezogen, ich werde sie wohl nicht mehr sehen. Dabei habe ich ihnen kein Schmerz und kein Leid zugefügt. Nein, sie haben Angst. Es sind Menschen, die mit mir zur Schule gingen, für die Freiheit oberste Priorität hatte. Doch jetzt sind sie verstummt.
Letzte Woche besuchte ich «Shiatsu». Die Therapeutin sagte mir, dass sie noch nie so viel über Menschen gelernt habe wie in Corona-Zeiten. Was ihr besonders auffiel: die verschiedenen Seiten eines einzelnen Menschen. Ihre Aussagen bestätigten meine Erfahrungen: Es gibt Leute, bei denen ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass die Angst sie dermassen lähmen würde. So lähmen würde, dass sie nicht einmal mehr aus dem Haus gehen, geschweige denn, sich mit mehreren anderen treffen. Schade! Doch aus den neuen Kontakten sprüht auch Leben, es entstehen andere Meinungen, Tatendrang und ein Miteinander, dass ich so noch nie erlebt habe. Das sind Geschenke, die mich aufbauen und stärken.
Was möchte ich noch erleben? An diesem Abend ergab sich zu später Stunde eine Runde, die sich lange über Themen unterhielt, die nichts mehr mit Corona zu tun hatten. Diese Themen berührten mich zutiefst, da sie mit dem Leben jedes einzelnen Menschen zu tun hatten. Plötzlich stand ich da und fragte mich, was möchte ich eigentlich in den nächsten Jahren erleben, erreichen? Wen möchte ich gerne wiedertreffen? Mit wem möchte ich mich weiter austauschen?
Der Homöopath, den ich im März 2020 aufsuchte, hatte wohl doch recht. Damals wollte ich es nicht wahrhaben, als er sagte:
«Suna, Du wirst erleben, dass viele Menschen deinen Lebenszug verlassen. Es werden Menschen sein, von denen du nie gedacht hättest, dass sie den Weg nicht mehr mit dir gehen werden. Das Leben ist wie ein Zug. Es steigen Menschen aus, es steigen welche zu. Manche sind nur flüchtig bei dir, andere begleiten dich länger, gar ein Leben lang.»
Mir gefiel das damals gar nicht. Da ich mich sehr verbunden fühlte mit vielen meiner Freunde. Ich traf sie regelmässig, mochte sie sehr gerne, konnte mir nichts anderes vorstellen. Doch es wurde zur bitteren Wahrheit. Allerdings hat es sich auch gezeigt, dass neue Menschen in mein Boot oder in meinen Lebenszug eingestiegen sind. Keine Menschen, die einfach nur Widerstand leisten und darin verharren, nein, Menschen, die bereit sind, für sich selbst und andere zu handeln. Das gefällt mir. Genauso, wie mir Begriffe gefallen, die viele nicht mehr hören möchten, da sie mit Arbeit verbunden sind: Eigenverantwortung und Eigeninitiative.
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Lied: Sag mir, wo die Freiheit ist, wo ist sie geblieben?
«Sag mir, wo die Freiheit ist?
Wo ist sie geblieben?
Sag mir, wo das Lachen ist? Was ist geschehen?
Angst schüren, Singverbot: Viele Menschen in Not!
Wann wird man je verstehen?
Sag mir, wo die Vielfalt ist?
Wo ist sie geblieben?
Sag mir, wo der Austausch ist? Was ist geschehen?
Andre Meinung wird zensiert, ausgegrenzt und diffamiert. Wann wird man je verstehen?
Sag mir, wo die Wahrheit ist?
Wo ist sie geblieben?
Sag mir, wo die Klarheit ist? Was ist geschehen?
Kein Vertrauen in Politik, Forschung, Medien und Justiz. Wann wird man je verstehen?
Sag mir, wo die Echtheit ist?
Wo ist sie geblieben?
Sag mir, wo das Menschsein ist? Was ist geschehen?
Edle Werte sind verdreht, wie auch Solidarität. Wann wird man je verstehen?
Sag mir, wo die Würde ist? Wo ist sie geblieben?
Sag mir, wo die Liebe ist? Was ist geschehen?
Wie viel Leben opfern wir, für Sicherheit und Macht und Gier?
Wann wird man je verstehen?
Sag mir, wo die Narren sind?
Wo sind sie geblieben?
Sag mir, wo die Weisen sind? Was ist geschehen?
Menschen müssen dienen, den Zahlen und Maschinen.
Wann wird man je verstehen?
Holen wir uns all das zurück, mutig, offen, mit Vertrauen.
Schaffen wir gemeinsam Glück!
Dann wird’s geschehen!
Freudvoll packen wir das an!
Sind uns treu und bleiben dran!
Dann werden wir verstehen ...»