Ausgelöst durch die Entscheidung des derzeitigen US-Präsidenten Joseph Biden, die Huthi-Rebellen im Jemen anzugreifen, hat der investigative US-Journalist Seymour Hersh «Eine einheitliche Theorie der präsidialen Dummheit» aufgestellt. Unter diesem Titel zeigt er, dass die moderne Geschichte der USA von Präsidenten voll ist, «die katastrophale Entscheidungen trafen, als sie mit den Herausforderungen konfrontiert wurden, die sie in Moskau sahen». Die Präsidenten «neigen dazu, zu weit zu gehen, wenn sie glauben, den Kommunismus oder den Terrorismus zu bekämpfen, und die Welt zahlt den Preis dafür», so Hersh.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem die USA und die Sowjetunion gemeinsam kämpften, hat der westliche Antikommunismus und Antirussismus zu einer «tödlichen neuen Rivalität» geführt, wie es Hersh nennt. Obwohl der Kalte Krieg vor mehr als drei Jahrzehnten zu Ende ging, sei diese Rivalität wiederbelebt worden. Die Biden-Regierung fühle sich von Russland, «obwohl nicht mehr kommunistisch», heimgesucht beziehungsweise verfolgt.
«Es ist eine Rivalität, die Amerikas Verstrickungen - ob freundlich oder feindlich - mit China, der Ukraine, Israel und jetzt den Huthis im Jemen prägt.»
Hersh nennt seinen Text einen «Bericht über einige der schlechten Entscheidungen, die von Präsidenten getroffen wurden, die von ihren politischen Unsicherheiten und denen ihrer engen Berater getrieben wurden». Eine Konstante sei dabei «der Mangel an guten Informationen über ihre Gegner».
Kurzwarenhändler und Falken
Er beginnt die Liste mit Harry S. Truman, «der Kurzwarenhändler aus Missouri» und vorherige Vizepräsident unter Franklin D. Roosevelt. «Truman war, gelinde gesagt, in der Aussenpolitik überfordert» und habe sich leicht von den Falken in seinem Kabinett und im Aussenministerium manipulieren lassen.
«Sie waren begierig darauf, die Sowjets anzugreifen», so der Journalist, und hätten Truman überzeugt, im August 1945 statt wie geplant eine Atombombe «irgendwo im Südpazifik», zwei Bomben auf japanische Städte abzuwerfen. Hiroshima und Nagasaki seien für die Medien wissentlich als Zentren von Kriegsaktivitäten falsch dargestellt worden.
Truman habe sich auch danach nicht den Falken widersetzt, als die USA und ihre Verbündeten begannen, den Kommunismus in Schach halten zu wollen, «insbesondere in Europa und Südostasien». Zu diesem Zweck sei 1947 die Central Intelligence Agency (CIA) als Nachfolgerin des Office of Strategic Services (OSS) gegründet worden.
Präsident Dwight Eisenhower, der Ex-General mit Republikaner-Mandat, habe den Brüdern Dulles, John Foster im Aussenministerium und Allen in der CIA, die Vollmacht erteilt, die Franzosen in Vietnam und an anderen Fronten «mit viel mehr Waffen und Geld zu unterstützen, als öffentlich bekannt war». Immerhin habe Eisenhower am Ende seiner Amtszeit vorausschauend vor dem aufstrebenden militärisch-industriellen Komplex gewarnt.
Allerdings habe Eisenhower in den letzten Monaten als US-Präsident einem CIA-Komplott gegen Patrice Lumumba, der erste unabhängige Premierminister des Kongo, zugestimmt. Die Einzelheiten seiner Beteiligung seien offiziell während der berühmten Anhörungen des Church-Ausschusses von 1975 und 1976 über die verdeckten Operationen der CIA bekannt geworden.
«Die Welt wurde in den Kennedy-Jahren nicht sicherer»
Doch am Ende habe Senator Frank Church, der als Demokrat Präsident werden wollte, nach Druck durch die Republikaner einer Erklärung zugestimmt, in der die Verquickungen Eisenhowers ebenso wenig konkret verurteilt wurden wie die seines Nachfolgers John F. Kennedy (JFK). Für Hersh, der mit Enthüllungen über die geheimen Machenschaften die Untersuchungen mit auslöste, war das der Punkt, an dem er begriff, «dass die Mainstream-Medien selbst, wenn es um bestimmte aufsehenerregende Geschichten ging, keinen Eimer warmer Pisse wert waren».
Er erinnert ebenso daran, dass Eisenhower 1955 mitentschied, «einen antikommunistischen Katholiken namens Ngo Dinh Diem als Präsidenten des überwiegend buddhistischen Südvietnams einzusetzen». Sein Nachfolger Kennedy habe nach seinem Amtsantritt 1961 den antikommunistischen Kreuzzug in Europa, Südostasien, Kuba und anderswo fortgesetzt.
«Die Welt wurde in den Kennedy-Jahren nicht sicherer, wie wir gelernt haben und immer noch lernen.»
Kennedy habe James Reston, dem Star-Kolumnisten der New York Times, erzählt, dass er seinen Mut in Südvietnam unter Beweis stellen wolle. Lyndon Johnson, Amtsnachfolger nach dem Mord an JFK 1963, sei überzeugt gewesen, dass seine Präsidentschaft daran gemessen werden würde, inwieweit er den Krieg in Südvietnam fortsetzt.
Die Folge war der Tod von Millionen Menschen. Hersh bezeichnet es als «unsäglichen Aspekt jener Jahre», dass Johnson sich bei allen ernsthaften Friedensangeboten Nordvietnams weigerte, die ständigen intensiven US-amerikanischen Bombardierungen sowohl in Nord- als auch in Südvietnam einzustellen. Begründet wurde das damit, dass dies als Zeichen der Schwäche gewertet würde. «Erstaunlicher Irrsinn», so der Journalist heute dazu.
Von Nixon bis Carter
Präsident Richard Nixon habe die Bombardierung Nordvietnams fortgesetzt und mit der Bombardierung Kambodschas begonnen. Der Grund laut Hersh: Nixon wollte damit seine Entscheidung verschleiern, ab 1970 die US-amerikanischen Kampftruppen aus dem Krieg abzuziehen.
Nixon und Henry Kissinger sei es zu verdanken, dass die US-Truppen «mit Gewalt – und unter Einsatz vieler vietnamesischer Toter – aus dem Krieg abgezogen wurden». Nixon habe es erreicht, die Führungen der Sowjetunion und Chinas, von ihrer Unterstützung der Nordvietnamesen und des Vietcong abbringen konnte, indem er ihnen Handel und künftige Rüstungskontrollabkommen versprach.
Hersh bezeichnet den Nixon-Nachfolger Gerald Ford als «ein sympathisches Nichts». Dessen Offenheit und Sympathie seien erfrischend gewesen, ebenso seine Einsicht, dass er die US-Niederlage in Südvietnam akzeptieren musste. Zur Amtszeit von James Carter schreibt der Journalist, dass dieser die den US-Geheimdiensten «wohlbekannte Tatsache» verheimlichte, «dass Israel sein im Entstehen begriffenes Atomwaffenprogramm mit Hilfe der Südafrikaner testete».
«Israels Atomwaffenarsenal bleibt ein nie diskutiertes Thema, da der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu weiterhin den Amoklauf seines Landes gegen die Palästinenser in Gaza anführt und wegschaut, wenn israelische Siedler im Westjordanland ihre ständige Gewalt gegen Palästinenser eskalieren lassen.»
Friedensangebote und gebrochene Versprechen
Ronald Reagan habe als US-Präsident der Sowjetunion erst gedroht und dann angeboten, mit ihr Frieden zu schliessen. Er habe es geschafft, obwohl überzeugter Kalter Krieger, die Spannungen zwischen Washington und Moskau zu senken. Aber er habe auch einen von der CIA geführten antikommunistischen Kreuzzug in Mittelamerika gebilligt, erinnert Hersh.
Sein Nachfolger, Präsident George H. W. Bush, habe «Amerikas überzeugendstes aussenpolitisches Engagement zu dieser Zeit» geleitet, den ersten Krieg gegen den Irak 1991. Zugleich habe er den antikommunistischen Feldzug in Mittelamerika fortgesetzt.
Die Amtsjahre von William (Bill) Clinton seien davon geprägt, dass dieser «auf Anregung von Strobe Talbott, einem stellvertretenden Aussenminister und alten Freund» das Versprechen gegenüber Moskau brach und die NATO nach Osten erweitern liess. James Baker, Bushs Aussenminister, habe 1990 Moskau zugesichert, dass es keine solche Bewegung geben würde, wenn die UdSSR die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland akzeptieren würde.
«Der Verrat dieses Versprechens durch die nachfolgenden Präsidenten des Weissen Hauses kann als Auslöser für den Krieg angesehen werden, den die Ukraine jetzt gegen das Russland von Wladimir Putin verliert.»
Hersh bezeichnet den Vizepräsidenten von George W. Bush, Dick Cheney, als den «bei weitem klügsten und mächtigsten Vizepräsidenten» in der modernen US-Geschichte. Er sei der Hauptverantwortliche für Bushs Kriege. Trotz seiner eigenen Berichte über Cheneys Machenschaft habe er dessen Hardlinertaktik «oder seine verfassungswidrigen Machtübernahmen» nicht verhindern können.
Barack Obama als weiterer Kriegspräsident
Barack Obama habe in seiner ersten Amtszeit Hillary Clinton als Aussenministerin «in Libyen Amok laufen» lassen, in dem sie einen Aufstand anzettelte, bis hin zur brutalen Ermordung von Muammar Gaddafi. «Seitdem herrscht dort ein ständiges Chaos», so der Journalist.
Obama sei entgegen der Hoffnung, die er darauf machte, der israelischen Unnachgiebigkeit nicht entgegengetreten und habe Israel und die Palästinenser nicht zu ernsthaften Friedensgesprächen zusammengebracht. Er habe auch sein frühes Versprechen nicht eingelöst, das US-Gefängnis in Guantánamo zu schliessen, «das im gesamten Nahen Osten zu einem Sammelbecken für Antiamerikanismus geworden war».
Nach seiner Wiederwahl 2012 sei er zu einem weiteren US-Präsidenten geworden, der die Probleme im Ausland nicht auf politischem Weg bekämpfte, die zu Terrorismus führten. Stattdessen habe er sich zunehmend auf militärische Massnahmen verlassen, «indem er Dienstagssitzungen abhielt, in denen er und sein nationales Sicherheitsteam entschieden, welche Feinde in dieser Woche getötet werden sollten».
«Man könnte argumentieren, dass das politische Versagen Obamas und Hillary Clintons im Ausland während ihrer Amtszeit den Weg für Donald Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 geebnet hat.»
Donald Trump hat aus Sicht von Hersh in Bezug auf Russland und Israel die Politik fortgesetzt, die seine Vorgänger, Demokraten wie Republikaner, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Gründung Israels als Staat im Jahr 1948 verfolgt haben.
Biden verweigert Blick auf Realität
Biden weise nun als US-Präsident «alle schlechten Eigenschaften seiner Vorgänger aus der Nachkriegszeit» auf. Als Senator sei er «als eitel, faul und nicht sehr intelligent» angesehen worden und habe «eine durchweg ablehnende Haltung zur Aussenpolitik» gezeigt. Es sei nicht überraschend, dass Biden Israel in seinem derzeitigen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen eifrig unterstützt.
Er zeige keine Anzeichen dafür, die Lieferung US-amerikanischer Waffen an Israel zu stoppen. Biden schliesse sich nicht den vielen führenden Politikern der Welt an, «die laut und deutlich in der Öffentlichkeit darauf bestehen, dass Israel seine mörderischen Angriffe im Gazastreifen und die zunehmende Gewalt israelischer Siedler, unterstützt von der israelischen Armee, gegen Palästinenser im Westjordanland einstellen muss».
Biden werde durch die Unterstützung der Ukraine und Israels in ihren Kriegen und die Angriffe auf die Huthi weltweit zunehmend verachtet – wie Israels Premier Benjamin Netanjahu und der Kiewer Präsident Wolodymyr Selenskyj. «Die Ironie an Bidens Amtszeit ist, dass Putin und Xi Jinping aus China ausserhalb des Westens immer mehr Respekt entgegengebracht wird», stellt Hersh fest.
US-Präsidenten bis hin zu und einschliesslich Obama seien einst trotz der «unnötigen Kriege» in der Welt mit Respekt gesehen worden. Die von Biden befohlenen Angriffe auf die Huthi im Jemen deutet der US-Journalist als «Anzeichen von politischer Panik».
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