Nach den Besuchen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Moskau und Peking wollen einige der EU-Länder Budapest bestrafen. Das berichtete die italienische Zeitung La Repubblica am Mittwoch. Darauf hätten sich die EU-Staats- und Regierungschefs geeinigt, als sie sich in dieser Woche beim Nato-Gipfel in Washington trafen.
Budapest solle unter anderem bestraft werden, indem die informellen Ministertreffen während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft boykottiert werden, heißt es. Grund ist die «Friedensmission» Orbáns, die zu Unmut in den anderen EU-Hauptstädten geführt habe. Die italienische Zeitung sieht den ungarischen Ministerpräsidenten deshalb gar auf der Anklagebank.
Zu den Maßnahmen gegen Budapest gehört demnach der faktische Boykott des ungarischen sechsmonatigen EU-Ratsvorsitzes. Viele Länder würden zu den regelmäßigen informellen Treffen nur Beamte anstatt wie üblich Minister entsenden.
Orbán sei vielen in der EU «ein Dorn im Auge und auch ein Splitter im Atlantischen Bündnis». Deshalb würden mehrere europäische Länder darüber nachdenken, ihm die sechsmonatige Präsidentschaft der Union zu entziehen. Laut der Zeitung handelt es sich dabei um ein mögliches, aber sehr kompliziertes Verfahren.
Dem ungarischen Ministerpräsidenten wird unter anderem vorgeworfen, seine Reisen nach Kiew und Moskau nicht mit den EU-Gremien sowie mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, und dem Hohen Vertreter der EU, Josep Borrell, abgestimmt zu haben. Dabei wird ignoriert, dass Orbán selbst mehrfach erklärte hatte, dass er nicht im Auftrag der EU unterwegs ist.
Polen habe ihn schon ins Visier genommen, berichtete das Blatt, «wegen seiner gefährlichen Freundschaft mit Putin und seiner Feindseligkeit gegenüber der Ukraine». Ebenso wird Orbán vorgeworfen, sich mutmaßlich mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump abgestimmt zu haben. Er handele in dessen Auftrag, wird gar behauptet.
Die italienische Zeitung zitiert aus einem Brief, den Orbán an die EU-Spitzen am 5. Juli geschickt haben soll. Dieser wurde auch dem US-Magazin Politico zugespielt und dort in Auszügen wiedergegeben.
In dem Schreiben machte Orbán demnach keinen Hehl daraus, dass es aus seiner Sicht derzeit «eine größere Chance auf eine positive Aufnahme aller möglichen Vorschläge für einen Waffenstillstand und einen Fahrplan für Friedensgespräche» gibt. Die Zeit sei auf Russlands Seite, so der ungarische Premierminister, weshalb «eine europäische Initiative» unverzichtbar sei.
Die EU solle sich führend um einen Frieden in der Ukraine bemühen, da die USA angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im November zunehmend abgelenkt seien. Die in Washington anwesenden EU-Regierungschefs seien sich daraufhin einig gewesen, «dass Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen», so La Repubblica dazu.
Der außenpolitische Aktivismus Orbáns solle sofort gebremst werden, indem zum Beispiel die Legitimität seiner Besuche in Frage gestellt wurde. Neben dem polnischen Vorschlag, die sechsmonatige ungarische Ratspräsidentschaft zu widerrufen, wird auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, Artikel 7 des EU-Vertrages zu aktivieren.
Diesem zufolge können die Rechte eines Mitgliedstaates ausgesetzt werden, «wenn ein Land die Grundsätze, auf denen die EU gemäß Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union beruht (Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Personen, die Minderheiten angehören) ernsthaft und anhaltend verletzt». Dafür ist eine qualifizierte Mehrheit von vier Fünfteln im Europäischen Rat erforderlich, das heißt 22 von 27 Mitgliedstaaten.
«Die Warnung wird ausgesprochen», heißt es in der italienischen Zeitung. Unterdessen war Orbán am Donnerstag nach Florida geflogen und traf sich dort mit Trump. Dagegen gab es in den letzten vier Jahren kein einziges offizielles Treffen zwischen Ungarns Regierungschef und US-Präsident Joseph Biden. Auch beim Nato-Gipfel in Washington soll es Berichten zufolge nicht zu bilateralen Gesprächen zwischen den beiden gekommen sein.
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