Serbien wird seit sechs Wochen von Studentenprotesten erschüttert, die nach dem tragischen Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad begannen, bei dem fünfzehn Menschen ums Leben kamen. Zunächst konzentrierten sich die Proteste auf den Vorfall selbst, doch haben sie sich inzwischen zu einer breiteren Rebellion gegen die Regierung von Ministerpräsident Aleksandar Vucic ausgeweitet. Studenten von Universitäten und Gymnasien in ganz Serbien haben sich zu Tausenden versammelt. Viele von ihnen haben den Rücktritt von Vucic und anderen Regierungsvertretern gefordert.
Die Proteste nahmen laut dem serbischen Schriftsteller Nebojsa Malic eine Wende, als die Studenten der Belgrader Universitäten am 21. November den Unterricht verließen. Wie Malic auf der Website des Libertarian Institute berichtet, kam es in der Folge zu täglichen Straßenblockaden und einer Eskalation der Forderungen, darunter die Freilassung von Studenten, die in ein Handgemenge mit Autofahrern verwickelt waren, die Veröffentlichung von Unterlagen über den Umbau des Bahnhofs und eine Erhöhung des Hochschulbudgets um 20 Prozent.
Während die Bewegung zunächst als vorübergehende Reaktion angesehen worden sei, habe sie aufgrund ihres hohen Organisationsgrades und ihrer Medienkompetenz an Zugkraft gewonnen. Dabei hätten die Demonstranten serbische Flaggen und ein Logo mit einer «roten Hand» verwendet, das Blut an den Händen der Regierung symbolisieren soll.
Die vom Westen unterstützte Opposition und NGOs haben Malic zufolge wiederholt versucht, die Proteste zu übernehmen und sie zum Sturz der Regierung zu nutzen. Er verweist auf Ähnlichkeiten mit früheren farbigen Revolutionen. Beispielsweise ähnele das Logo der «roten Hand» dem der von den USA finanzierten albanischen NGO Mjaft! (Genug). Malic erläutert:
«Die Menschen in Serbien sind normalerweise vorsichtig, wenn es um Straßenproteste geht. Sie erinnern sich an den bitteren Nachgeschmack ihrer ‹demokratischen Revolution› gegen den damaligen Präsidenten Slobodan Milosevic im Oktober 2000. Viele der Beteiligten glaubten, an einer spontanen Revolte gegen Milosevics angeblichen ‹Verrat› am Kosovo teilzunehmen – nur um dann festzustellen, dass sie vom National Endowment for Democracy und ihrem ausgeklügelten Plan des Umsturzes, der als ‹farbige Revolution› bekannt wurde, ausgetrickst worden waren.»
Vucic hat gemäß dem Schriftsteller unbeholfen auf die Proteste reagiert und sich schließlich auf eine Beschwichtigungspolitik verlegt, die die Demonstranten nur noch mehr ermutigt hat. Jedes Mal, wenn er kurz davor zu sein schien, sie zu beruhigen, sei die Situation durch einen gewalttätigen Zwischenfall eskaliert.
In der Nacht, nachdem Vucic zur Ruhe aufgerufen und erklärt hatte, er sei allen Forderungen der Studenten nachgekommen, habe beispielsweise eine Gruppe von Demonstranten das Büro der Fortschrittspartei in Novi Sad mit Graffitis besprüht. Sie seien von einigen mit Schlagstöcken bewaffneten Parteimitgliedern angegriffen worden, wobei ein Mädchen einen Kieferbruch erlitten habe. Dies sei der Auslöser für den Rücktritt des Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Fortschrittspartei Milos Vucevic und des Bürgermeisters von Novi Sad gewesen. Malic schließt:
«Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie das Ganze enden könnte. Die Studenten könnten den Sieg erklären und an ihre Hochschulen zurückkehren, nachdem sie die Regierung auf den Plan gerufen haben. Oder sie könnten weitermachen, bis sie von der NGO-Oppositionsachse vereinnahmt werden, die in den Medien bereits Pläne zur Machtübernahme und zur Säuberung der Progressiven gemacht hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass die politische Gewalt zu einem Schießkrieg eskaliert, ist nicht gleich null.
Was auch immer geschieht, der ‹Aufstand der roten Hand› scheint Serbiens Chance auf einen ‹Reset› der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten oder auf die Ausrichtung des Friedensgipfels in der Ukraine zunichte gemacht zu haben. Es handelt sich nämlich um einen wirklich neutralen Ort, der sowohl Donald Trump als auch Wladimir Putin wohlgesonnen ist.»
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Nebojsa Malic ist Schriftsteller, Kolumnist und Übersetzer und schrieb von 2000 bis 2015 exklusiv für Antiwar.com über den Balkan, Europa und Russland. Nachdem er 28 Jahre in den Vereinigten Staaten verbracht hat, lebt und arbeitet er jetzt in Serbien.