Viele Geheimnisse und Verschwörungstheorien ranken sich um die Freimaurerei. Der Tessiner Journalist Davide Illarietti hat versucht, in dem Schweizer Südkanton einer Freimaurerloge beizutreten. Im Corriere del Ticino berichtete er darüber.
Ein erstes Treffen habe in einem Immobilienbüro in der Region Locarnese stattgefunden. Der Meister Marcel Beyeler empfange potenzielle Kandidaten nach einer einfachen E-Mail an die auf der Website angegebene Adresse. Es gebe jedoch bestimmte Anforderungen, die erfüllt sein müssen: Nur Männer aus der Region würden akzeptiert. Ein Telefonat habe dann zu einem ersten Gesprächstermin geführt.
Der Beitritt zu einer Freimaurerloge im Tessin gestalte sich jedoch komplizierter als gedacht, insbesondere wenn man den seit Jahren bestehenden Mangel an neuen Mitgliedern berücksichtige, so Illarietti. Er weist dabei auf einen Artikel von 2014 auf der Website der Grande Loggia Alpina hin, der das Problem des Generationswechsels in den Logen des Tessins beschrieb. Trotz des offenen Angebots herrscht anscheinend eine strenge Auswahl für neue Mitglieder.
Im Tessin gebe es offiziell fünf anerkannte Logen in Bellinzona, Lugano, Chiasso und Locarno, mit offiziell insgesamt rund 350 Mitgliedern, erklärt Illarietti. Die Zahl könnte aber nicht aktuell sein. In Locarno gibt es laut Meister Beyeler «etwa dreissig» Mitglieder, aber er gibt zu, dass «manche regelmässiger teilnehmen als andere». Es gebe keine Alters- oder Berufsgrenzen:
«Wir haben Anwälte genauso wie Taxifahrer, Unternehmer und Armeeobersten, die während unserer geselligen Treffen einem Maurer das Mittagessen servieren können. Die Bruderschaft folgt ihrer eigenen Hierarchie.»
Der zweite «Schritt» für angehende Eingeweihte umfasse die Einsendung eines Lebenslaufs und eine vier- bis sechsmonatige Begleitung durch einen anderen Freimaurer. «Wenn die Beurteilung positiv ausfällt, kann man danach an den Versammlungen teilnehmen», erklärt Beyeler. «Aber in den ersten zwei Jahren hat man kein Rederecht.»
Die Diskretion, die jahrhundertelang das Überleben der Bruderschaften garantierte, könnte laut Illarietti heute jedoch ein Hindernis darstellen. Während neue Kandidaten in Locarno willkommen geheissen würden, hätten andere Logen im Tessin eher reserviert auf Interviewanfragen reagiert.
Die Loge «Il Dovere» in Lugano – die grösste und bekannteste im Tessin – habe zwar einem Interview zugestimmt, jedoch um «eine Liste der Fragen» gebeten und das Treffen auf «einen noch festzulegenden Termin» verschoben. Auf eine neue E-Mail des Journalisten, die drei Monate später gesendet wurde, habe die Loge nicht mehr geantwortet.
Dennoch habe sich die Loge in Lugano nicht besonders verborgen gehalten. Das siebenstöckige Gebäude trage sogar die Symbole der Freimaurerei und sei öffentlich zugänglich. Der Tempel sei ein Saal im obersten Stockwerk. Der Rest des Gebäudes gehöre der Loge, sei aber bis vor kurzem an verschiedene Unternehmen und Anwaltskanzleien vermietet worden.
Das Gebäude ist jedoch gemäss Illarietti derzeit im Umbau und könnte bald zu Wohnungen werden. Das Unternehmen, das die Arbeiten durchführt, sei nach einem anderen Freimaurersymbol benannt – der Akazie – und auch dieses reagiere nicht auf E-Mails.
Aber die Beziehung zwischen Freimaurerei und Bauwesen sei kein Geheimnis, ebenso wie die Tatsache, dass das 1971 erbaute Haus teilweise auf einen Freimaurer-Architekten zurückzuführen ist: Giorgio Giudici, der von 1984 bis 2013 Bürgermeister der Stadt Lugano war. Mit 79 Jahren bestätigt er gegenüber dem Journalisten, immer noch Mitglied der Freimaurerei zu sein – «man ist bis zum Ende Freimaurer» – und verleugnet nicht, dass dies schon immer seine Philosophie war:
«Meiner Ansicht nach sollte die Freimaurerei ein offener Verein sein, der sich nicht im Schatten versteckt, wie es einige wollen und wie es lange in Italien getan wurde, wo viele Fehler begangen wurden.»
Die Unentschlossenheit zwischen Offenheit und Verschwiegenheit scheint Illarietti zufolge ein gemeinsames Merkmal der Bruderschaften zu sein, auch in anderen Teilen des Tessins. In Bellinzona und Chiasso würde eine ähnliche Zurückhaltung gegenüber Fremden herrschen wie in Lugano.
Der Journalist meint, dass mehr Transparenz das Potenzial für neue Mitglieder erhöhen könnte.
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