Das georgische Parlament hat ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, das sogenannte «Gesetz über ausländische Agenten». Dieses Gesetz verlangt von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Medien, ihre ausländische Finanzierung offenzulegen, wenn diese mehr als 20 Prozent ihres Budgets ausmacht. Das Gesetz sieht vor, dass solche Organisationen als «ausländische Agenten» registriert werden müssen. Es steht in der Kritik, da es an ein ähnliches russisches Gesetz erinnert, das zur Unterdrückung kritischer Stimmen verwendet wird (wir berichteten hier).
Am 23. Mai behauptete der georgische Ministerpräsident Irakli Kobachidse, ein ungenannter EU-Kommissar habe versucht, ihm wegen der Verabschiedung dieses Gesetzes zu drohen. Kobachidse sagte, der Kommissar habe Maßnahmen aufgelistet, die westliche Politiker ergreifen könnten, falls das Veto der Präsidentin gegen das Gesetz überstimmt würde.
Dabei habe der Kommissar auf ein Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico hingewiesen, was Kobachidse als «schreckliche Drohung» bezeichnete. Er sah sich verpflichtet, die georgische Gesellschaft über diese Bedrohung zu informieren.
EU-Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi – um diesen handelte es sich – bestritt diese Vorwürfe. Er erklärte, dass sein Gespräch mit Kobachidse aus dem Zusammenhang gerissen und missinterpretiert worden sei. Der Ungar betonte, er habe lediglich vor einer weiteren Polarisierung und möglichen unkontrollierten Situationen in Georgien gewarnt, sollte das Gesetz verabschiedet werden. Zudem wiederholte er die Forderung der EU, das Gesetz zurückzuziehen.
Várhelyi ist für seinen ruppigen Umgangston bekannt und berüchtigt. Zusätzlich kommt er aus der ungarischen Fidesz-Partei von Ministerpräsident Orban, die an sich ein gutes Verhältnis zur gegenwärtigen georgischen Regierungspartei pflegt.
Die Regierungspartei «Georgischer Traum» (GD) hat wiederholt das Narrativ einer «globalen Kriegspartei» verwendet, um westliche Politiker und zivilgesellschaftliche Akteure zu diskreditieren, die die georgische Regierung kritisieren. Diese Kriegspartei würde angeblich darauf hinarbeiten, Georgien in den Ukraine-Krieg zu verwickeln und eine zweite Front gegen Russland zu eröffnen.
Die EU hat wiederholt davor gewarnt, dass das Gesetz die Bemühungen Georgiens um eine EU-Mitgliedschaft untergraben könnte. Kritiker betonen, dass das Gesetz der georgischen Regierung ermöglichen könnte, kritische NGOs und Medien zu unterdrücken. Die Venedig-Kommission des Europarats hat ebenfalls die Aufhebung des Gesetzes gefordert. Es könne negative Folgen für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie das Recht auf Privatleben und gesellschaftliches Engagement haben.
Neben der EU haben auch die USA auf das Gesetz reagiert. US-Außenminister Antony Blinken kündigte Visa-Beschränkungen für Personen an, die für die Untergrabung der Demokratie in Georgien verantwortlich seien. Zudem werde die bilaterale Zusammenarbeit zwischen den USA und Georgien auf den Prüfstand gestellt.
In einer zweiten Lesung hat diese Woche das georgische Parlament das Veto von Präsidentin Salome Surabischwili überstimmt und dieses kann in Kraft treten. Die Verabschiedung des Gesetzes trotz massiver internationaler Kritik und massiver Proteste in Georgien zeigt die Spannungen zwischen der georgischen Regierung und ihren westlichen Partnern.
Die EU und die USA sehen in dem Gesetz eine Gefahr für die Demokratie und die europäische Integration Georgiens, während die georgische Regierung es als notwendigen Schritt zur Transparenz und zur Kontrolle ausländischer Einflüsse darstellt.
Die georgische Präsidentin ist in Frankreich geboren und kann auf eine Karriere im diplomatischen Dienst der «grande nation» zurückschauen. Mit der gegenwärtigen Regierung in Tiflis verfolgt sie nicht die gleichen Interessen. Sie stellte sich aber in einem Video auf den Standpunkt, Konsequenzen von westlicher Seite seien zum gegenwärtigen Zeitpunkt kontraproduktiv und hoffe, dass solche Maßnahmen vorläufig unterlassen werden.
Die auf den Herbst angesetzten Wahlen würden jedoch zu einer Richtungswahl. Die Politikerin beklagte auch, man würde proeuropäische Demonstranten einchüchtern. Sie betont den weiten Weg, den ihr Land seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit gegangen ist – weg von einem Untertanenverhältnis zu Russland und hin zu einer unabhängigen Nation.
Auf der anderen Seite beklagt die Regierung massive westliche Drohungen – nicht nur von Seiten des EU-Kommissars. Das Agentengesetz sei nach dem Muster eines amerikanischen Gesetzes verfasst und würde Transparenz schaffen. Weitere Maßnahmen seien nicht geplant. Somit scheinen die westlichen Befürchtungen weit hergeholt.
In der Tat ist es so, dass das Gesetz nicht mehr verlangt als die Offenlegung von Geldflüssen bei NGOs. Eingeschränkt werden diese aber nicht. Auf der anderen Seite kann ein solches Gesetz verschärft werden, oder die Transparenz kann dazu benutzt werden, NGOs ohne gesetzliche Grundlage zu gängeln.
Obsiegt im Herbst die Opposition, kann sie zeigen, dass sie wirklich ein unabhängiges Georgien will und dass die heutigen Proteste nicht gesteuert sind. Die EU kann zeigen, dass sie wirklich ein ehrlicher Makler ist, indem sie nicht ständig Forderungen stellt, die mit dem «acquis communautaire» nichts zu tun haben. Und die USA können zeigen, dass sie keinen zweiten Maidan planen.
In der Zwischenzeit ist dem Land zu wünschen, dass die Spaltung sich nicht weiter vertieft und der Wahlkampf einigermaßen gesittet verläuft.
Der Infosperber hat heute das kritisierte Gesetz im Wortlaut in Auszügen veröffentlicht. Darin ist es, was die westlichen Medien unterschlagen, der Regierung ausdrücklich verboten, die Tätigkeit einer registrierten Organisation einzuschränken. Gegen welche europäischen Normen das Gesetz verstößt, sagen die Medien ebenfalls nicht.
Grundsätzlich geht es also um Meinungsfreiheit. Dazu gehört auch Transparenz. Ist es vielleicht diese geforderte Transparenz der Geldflüsse, die die in Georgien tätigen westlichen NGOs stört?