Deutsche Militärs haben Mitte Februar darüber diskutiert, wie die Marschflugkörper vom Typ «Taurus» am besten in die Ukraine geliefert und dort eingesetzt werden können. Dabei ging es auch darum, ob damit die Krim-Brücke bei Kertsch und russische Munitionsdepots angegriffen werden können.
Das ergibt sich aus einem Mitschnitt eines Gespräches hochrangiger Bundeswehr-Offiziere vom 19. Februar dieses Jahres. Darin geht es um die Vorbereitung auf ein Treffen mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zur Frage, ob und zu welchen Bedingungen die «Taurus» an Kiew geliefert werden können
Das ins Russische übersetzte Transkript hat die Chefredakteurin des russischen staatlich finanzierten Mediums RT, Margarita Simonjan, am Freitag veröffentlicht und den Mitschnitt vollständig in ihrem Telegram-Kanal zur Verfügung gestellt. Die Aufnahmen stammen den Angaben nach von der russischen Aufklärung.
Danach nahmen an dem Gespräch Brigadegeneral Frank Gräfe, Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando Luftwaffe der Bundeswehr, der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, und zwei Mitarbeiter des Weltraumkommandos der Bundeswehr, Oberstleutnant Fenske und Oberstleutnant Florstedt, teil. Die Militärs beschäftigen sich mit den Fragen, die sich aus der möglichen «Taurus»-Lieferung ergeben, deren Zeitpunkt unbekannt sei und worauf sie auch keine Hinweise hätten. Alle verwendeten Zitate basieren auf dem Audio-Mitschnitt.
Es sei nicht bekannt, warum Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Lieferungen blockiere, so Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz. Neben den Folgen der politischen Entscheidungen sprachen die Militärs auch über die Probleme der Umsetzung. Das reichte von den Zeiträumen, bis die Ukrainer ausgebildet sind und die Marschflugkörper einsetzen können, bis hin zur Frage, wie eine Beteiligung der Bundeswehr vertuscht werden kann.
Zusammenarbeit mit Briten
Laut Brigadegeneral Gräfe würde es mehrere Wochen bis Monate dauern, bis die «Taurus» von der Ukraine eingesetzt werden könnten. Er sagte auch, dass ein «Falscheinsatz» verhindert werden müsse, durch den beispielsweise ein Kindergarten getroffen und zivile Opfer verursacht würden. Laut seinen Worten könnten die ukrainischen Bedienmannschaften in Deutschland ausgebildet werden.
Gräfe verweist auch auf die mögliche Zusammenarbeit dabei mit den Briten, deren Know-how genutzt werden könnte und denen Datenbanken, Satellitenbilder und Planungsstationen zur Verfügung gestellt würden. Grossbritannien hat bereits einen ähnlichen Marschflugkörper vom Typ «Storm Shadow» an die Ukraine geliefert, der schon mehrfach eingesetzt wurde.
Deshalb könnten für «Taurus» die von den Briten vorbereiteten ukrainischen Flugzeuge vom Typ Su-24 genutzt werden. Gerhartz macht in dem Zusammenhang folgende Äusserung:
«Die sind iteilweise in einer Kriegsführung unterwegs, die mehr Hightech ist wie unsere gute alte Luftwaffe.»
Der Luftwaffen-Inspekteur macht gegenüber den anderen deutlich, dass es keine direkte Verbindung zur Bundeswehr geben darf, wenn die Ukrainer für die «Taurus»-Waffen und ihren Einsatz vorbereitet werden. Das könne als direkte Verwicklung in den ukrainischen Konflikt verstanden werden. Deshalb solle alles über das Unternehmen MBDA Deutschland in Schrobenhausen ablaufen, dass das Marschflugkörper-System herstellt.
Zivilisten mit amerikanischem Akzent
Der Mitarbeiter namens Fenske schlägt vor, die von der Bundeswehr in Büchel ausgewerteten Satellitenbilder und andere notwendige Informationen für den «Taurus»-Einsatz notfalls per PKW nach Polen zu bringen. Von dort aus könnten sie an die Ukraine übermittelt werden. Das wird auch von Brigadegeneral Gräfe als unmöglich abgelehnt.
Gerhartz sagt zur Frage, ob die Ukraine alles allein machen kann:
«Man muss ja immer davon ausgehen, was die Ukrainer da mittlerweile sonst alles machen. Wir wissen ja auch, dass da viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten rumlaufen. Dass man dann auch sagt, dazu sind sie dann auch relativ schnell selbst in der Lage, weil die Satellitenaufnahmen, die haben sie alle.»
Fenske bestätigt, dass die notwendigen Satellitenbilder von der Bundeswehr kommen. Im weiteren Verlauf des Gespräches wird festgestellt, dass es keinen Einfluss auf den Krieg in der Ukraine hätte, wenn nur 50 «Taurus» geliefert würden. Deshalb müssten mehr geliefert werden, so Gerhartz, der sich dabei auf die Erfahrungen mit den britischen und französischen Lieferungen der Marschflugkörper «Storm Shadow» und «Scalp» bezieht.
Oberstleutnant Florstedt vom Bundeswehr-Weltraumkommando nennt in dem abgehörten Gespräch «zwei interessante Ziele» für den «Taurus»-Einsatz in der Ukraine: Die Krim-Brücke bei Kertsch sowie die russischen Militärbasen und Munitionsdepots. Die Brücke sei zwar schwer zu erreichen, aber dieses Ziel könne der Marschflugkörper treffen.
Florstedt sagt, dass «Taurus» allein nicht ausreichen würde, um die Brücke zu zerstören. Sein Kollege Fenske fügt hinzu, «dass die Brücke aufgrund ihrer Grösse wie eine Landebahn ist». Um sie zu zerstören seien 10 bis 20 Marschflugkörper nötig. Mit einem «Taurus» würde es nur gelingen «ein Loch zu schlagen und die Brücke zu beschädigen».
«Direkte Beteiligung vermeiden»
Der Bundeswehroffizier erklärt, er werbe nicht für die Brücke als Ziel, es gehe nur darum, die ukrainischen Wünsche zu verstehen und wie sie umsetzbar seien. «Ich meine, wir alle wissen, dass sie die Brücke zerstören wollen», so Gerhartz. Es sei auch allen klar, was das bedeute, weil sie nicht nur militärisch und strategisch wichtig ist, sondern auch politisch. Russland habe inzwischen auch eine Landverbindung zur Krim, erinnert er. Und der Luftwaffen-Inspekteur sagt laut dem Mitschnitt:
«Aber da hat man eben Angst, wenn da der direkte Link der Streitkräfte in die Ukraine geht, da wär halt dann immer die Frage, kann man im Grunde genommen den Trick pullen, dass man unsere Leute abstellt zur MBDA, dass nur eine Directline zwischen MBDA und der Ukraine ist. Dann ist es weniger schlimm wie wenn die Directline unserer Luftwaffe zu ihnen ist.»
Brigadegeneral Gräfe betont demnach,«wir müssen halt aufpassen, dass wir nicht gleich zu Beginn ein Zielkriterium formulieren.». Das sei als rote Linie benannt worden, weshalb die Bundeswehr sich nur um die Ausbildung kümmern solle und die Briten gebeten werden sollen, beim Einsatz der Marschflugkörper zu helfen.
«Stell dir mal vor, das kommt an die Presse: Wir haben unsere Leuten in Schrobenhausen oder wir fahren irgendwie mit dem Auto durch Polen», so der General zu seinen Gesprächspartnern. Das sei «inakzeptabel».
«Dann müsste man sehen, denn wenn es die Vorgabe ist, es gibt ja keine direkte Beteiligung, wir können nicht die Missionsplanung in Büchel machen und sie rüberschicken. Da könnte ich mir fast vorstellen, dass das für Deutschland eine rote Linie ist.»
Die Ukrainer würden dann zwei Monate lang an «Taurus» ausgebildet und nicht alles lerne. Dann müsse die Bundeswehr dafür sorgen, dass die Ukraine die ganze Datenbasis, die Missionsdaten, zur Verfügung haben, damit sie diese auch bearbeiten können, so Gräfe.
Hinweis auf «rote Linien»
Gerhartz erklärt im weiteren Gespräch, wichtige Daten für die volle Nutzung der «Taurus»-Einsatzmöglichkeiten seien «im Moment German Eyes only». Er werde nicht an dem vorgesehenen Treffen mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zum Thema teilnehmen. Es sei ihm wichtig, nüchtern aufzutreten und keine «Showstopper reinzuknallen», die nicht glaubwürdig seien, wenn andere Länder «Storm Shadow» und «Scalp« liefern.
Bundeskanzler Scholz hat bisher (noch) die Lieferung von «Taurus» an die Ukraine ablehnt, wie er unter anderem am Montag erklärte. Der Bundestag hatte am Donnerstag davor, am 22. Februar, zwar einen Antrag der Unions-Fraktion, «Taurus» zu liefern abgelehnt. Dafür wurde aber ein Ampel-Antrag mehrheitlich angenommen, «weitreichende Waffen» an Kiew zu liefern, wozu auch Marschflugkörper gehören können.
Militärexperten zufolge können die «Taurus» nur von Bundeswehr-Fachleuten vorbereitet werden und nur mit Hilfe deutscher Daten ihr Ziel erreichen. Dafür dürften übrigens die neuen, zentimetergenauen Karten von Russland für die Bundeswehr angefertigt worden sein, über die im Herbst 2021 berichtet wurde.
Der Inhalt des veröffentlichten Abhörmitschnitts des Gespräches der Bundeswehr-Offiziere ist weniger überraschend als es scheint. In der aktuellen Ausgabe 2/2024 der Zeitschrift Europäische Sicherheit & Technik beschreibt Heinrich Fischer, Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr, die Brücke zur Krim als «Achillesferse der russischen Logistik» und lohnendes Ziel für eine ukrainischen Angriff.
Der Ex-General beschäftigt sich dabei auch ausführlich mit den «Bekämpfungsoptionen» der etwa 19 Kilometer langen Brücke. Diese müsse «punktgenau getroffen werden, damit bei einem Raketenangriff der Sprengkopf nicht an der Oberfläche verpufft oder erst unter der Brücke detoniert». Die «Bekämpfungsmittel mit der grössten Erfolgswahrscheinlichkeit» seien das US-amerikanische ATACMS-System, das schon an die Ukraine geliefert wurde, und «Taurus».
Fischer fordert von Kanzler Scholz, den Marschflugkörper endlich an Kiew freizugeben. Das sei notwendig, weil nur ein «baldiger militärischer Erfolg der Ukraine», so durch die Zerstörung der Krim-Brücke, den Krieg beenden könne.
Reaktionen aus Moskau
In Moskau wurde bereits auf den geleakten Mitschnitt reagiert. So forderte laut Berichten der stellvertretende Sprecher des Föderationsrates, Konstantin Kosatschew, Berlin müsse eine umfassende Antwort zu den Gesprächen hochrangiger deutscher Offiziere über den Angriff auf die Krim-Brücke geben.
Die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, schrieb auf ihrem Telegram-Kanal, dass die deutsche Presse nun einen Grund habe, ihre Unabhängigkeit zu beweisen und Aussenministerin Annalena Baerbock Fragen zu stellen. Das Thema werde auf der nächsten Sitzung der russischen Staatsduma besprochen werden, sagte Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin laut der Nachrichtenagentur Tass.
Wolodin sagte danach, dass das offizielle Berlin erklären müsse, «von welcher deutschen Entscheidung sich die Bundeswehrmitarbeiter bei der Besprechung der Schläge auf Russland leiten liessen», ob und wie sie bestraft werden. Es müsse beantwortet werden, ob die Bundestagsabgeordneten sich dessen bewusst sind und ob Bundeskanzler Scholz erkenne, dass «diese Aktionen Russland dazu zwingen werden, Gegenschläge durchzuführen».
Offizielle Aussagen der Bundesregierung zu dem Bundeswehr-Gespräch waren zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Beitrages nicht bekannt. Unterdessen wird gemeldet, die Nachrichtenagentur DPA habe die Echtheit des Mitschnitts bestätigt. Medien zufolge hat das Bundesverteidigungsministerium den Militärischen Abschirmdient (MAD) aufgefordert, zu klären, wie das Abhören möglich war.
aktualisiert am 2.3.24, 13:44 Uhr
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