Für die Verhandlungen zwischen den USA und Russland gebe es keinen Zeitrahmen, erklärte am Freitag Grigorji Karasin, Delegationsleiter Moskaus, in einem Interview mit dem russischen Sender Rossija 24. Es wurde nach seinen Worten zwar über «einige Fristen für den Waffenstillstand und einige Sicherheitsmaßnahmen» gesprochen, aber nichts festgelegt. Auch über finanzielle Fragen werde in diesem Zusammenhang diskutiert.
Vom 23. bis 25. März hatten sich Vertreter der USA mit denen Russlands und der Ukraine zu jeweils separaten Gesprächen in Riad getroffen. Thema waren einzelne Schritte, um verschiedene Probleme auf dem Weg zu einer möglichen Waffenruhe zu regeln.
Karasin, Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten des Föderationsrates Russlands, stand an der Spitze der russischen Delegation, an seiner Seite Sergej Beseda, Berater des Direktors des Auslandsgeheimdienstes FSB. Die US-Delegation wurde vom Direktor des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, Andrew Peake, und vom leitenden Beamten des US-Außenministeriums, Michael Anton, angeführt.
Den offiziellen Erklärungen aller drei Beteiligten zufolge haben sie sich in Riad auf einen Waffenstillstand im Schwarzen Meer geeinigt. Damit soll die bereits 2022 gemeinsam beschlossene Schwarzmeer-Initiative für eine sichere Schifffahrt in dem Gewässer wiederbelebt werden.
Die Gespräche zwischen den Vertretern der USA und Russlands am 24. März dauerten den Berichten zufolge mit etwa zwölf Stunden deutlich länger als geplant. Das Thema der Schifffahrt im Schwarzen Meer war ein Vorschlag des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump, hatte Putins Pressesprecher Dmitri Peskow nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur TASS erklärt.
Die gemäß russischen Angaben «technischen Beratungen» in der saudischen Hauptstadt erfolgten hinter verschlossenen Türen, im sogenannten «geschlossenen Format». Deshalb sind kaum weitere Einzelheiten bekannt.
In einer Analyse auf dem russischen Nachrichtenportal RT DE heißt es, dass einige indirekte Anzeichen auf Fortschritte hindeuten. So habe das US-Außenministerium erklärt, dass Russland und die Ukraine gegenwärtig «einer Feuerpause in der Ukraine, einschließlich des Schwarzen Meeres, so nah wie noch nie» seien.
Nervöse US-Amerikaner
Doch der russische Delegationsleiter Karasin äußerte sich in dem TV-Interview am Freitag verhaltener. Das lange Gespräch beider Seiten sei «recht konstruktiv», aber «nicht sehr produktiv» gewesen. «Aber es wäre naiv, gleich beim ersten Treffen bahnbrechende Ergebnisse zu erwarten», fügte er hinzu.
Die Dauer von etwa zwölf Stunden sei dadurch zustande gekommen, dass die Mitglieder des US-Verhandlungsteams neu in diesem Metier sind. Aber zugleich seien es Leute gewesen, «die wissen, wovon sie reden», so Karasin, und die bereit gewesen seien, sich ernsthaft die russische Position anzuhören und erklären zu lassen. Es sei in Riad vor allem um das gegenseitige Kennenlernen gegangen, nachdem solche Gespräche in den letzten Jahren nicht mehr stattgefunden hatten.
Der russische Delegationsleiter beschrieb die US-amerikanischen Vertreter als anfangs «besorgt und ein bisschen nervös». Aber als sie merkten, dass ihnen gegenüber «ein Team von zivilisierten, vernünftigen Gesprächspartnern» saß, sei eine gute Atmosphäre entstanden.
Die US-Amerikaner seien anfangs auch «sehr misstrauisch» gewesen, auch hartnäckig, so dass sehr viel Zeit nötig gewesen sei, sich über bestimmte Aussagen und Passagen in der ursprünglich geplanten gemeinsamen Erklärung zu verständigen. Aber das sei «relativ nützlich» gewesen und habe zu annähernd gleichlautenden Erklärungen beider Seiten nach den Gesprächen geführt (siehe hier und hier).
«Das Hauptziel dieses Treffens war die Sicherheit. Die Sicherheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer besteht darin, unserer Flotte die Möglichkeit zu geben, Häfen für Agrarexporte zu nutzen, das SWIFT-System wiederherzustellen und unsere Rosselchoszbank zu unterstützen.»
«Wir waren uns in unseren Gesprächen mit den Amerikanern in einigen Dingen einig», erklärte der russische Verhandlungsführer im TV-Interview. Es sei «eine interessante, vielschichtige, professionelle politische Arbeit» gewesen, bei der «Erfahrung, Intuition und übrigens auch die Fähigkeit, mit Menschen zu sprechen, mit denen man lange nicht gesprochen hat», eingesetzt werden mussten.
Erfolglose Vermittlungsversuche
Karasin hält weitere Gespräche mit den US-Amerikanern für möglich:
«Sie hören zu, sie nehmen wahr. Sie setzen einige ihrer eigenen Positionen entgegen.»
Aber das sei «gewöhnliche diplomatische Arbeit, ein Vergleich der Positionen, um eine Art modus operandi zu erarbeiten. Das ist ein vergessenes Wort.» Das Wichtigste sei, dass es sich um das erste Treffen seit vielen Jahren zwischen beiden Seiten handelte, bei dem ein ernstes politisches Thema diskutiert wurde.
Die beiden Präsidenten Donald Trump und Wladimir Putin würden den Ton und das Tempo der Verhandlungen zwischen den USA und Russland bestimmen. Und während die russische Linie dabei klar sei und bleibe, hätten die US-Vertreter ihre verändert, «um zuzuhören und zu versuchen, unsere Logik zu verstehen». Das sei bereits eine «gute Sache», stellte Karasin fest und verwies auf die vorherige konfrontative Haltung Washingtons.
Er ging auch kurz auf die Anwesenheit einer ukrainischen Delegation in Riad ein, die ebenfalls mit den US-Amerikanern verhandelte: «Wir haben sie nicht gesehen und wollten sie nicht sehen, wir haben nicht kommuniziert.» Die Ukrainer seien einen Tag zuvor angereist und die Versuche der US-Vertreter, «Vermittler zu spielen, waren nicht sehr erfolgreich».
Laut Karasin wurde in dem Zusammenhang nur darüber gesprochen, welche Probleme beide Seiten sehen und wie diese überwunden werden könnten. Dabei sei es nicht nur um die sichere Schifffahrt im Schwarzen Meer gegangen, «sondern um die Sicherheit im Allgemeinen». Auch das vereinbarte Verbot von Angriffen auf die Energieinfrastruktur der Ukraine und Russlands sei Thema gewesen.
Wachsender Unmut
Es sei aber auch «über die Unberechenbarkeit und Uneinigkeit der derzeitigen Regierung in Kiew» gesprochen worden, die eine Verhandlungslösung erschwere:
«Selenskyj verhält sich, wie Sie sehen, seltsam.»
Zunehmend entwickle sich Unmut über das Verhalten des Kiewer Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auch in den USA und in Europa, so der russische Diplomat. In den russisch-US-amerikanischen Gesprächen sei über die Probleme im Verhältnis zur Ukraine, aber nicht über das Verhalten der Kiewer Führung gesprochen worden. Das könnte aber in Zukunft notwendig sein, schätzte Karasin ein.
Die ukrainische Führung sei «unberechenbar» und gehe von «offenem militärischen Banditentum zu einer Art von Intrige auf der internationalen Arena« über. So werde die Tatsache des vereinbarten Stopps von Angriffen auf Energieanlagen ignoriert.
Es stelle sich die Frage, ob die vermeintliche Führung der Ukraine wirklich die Lage im Land kontrolliere. Diese könne durch «paramilitärische Gruppen von Neonazis» übernommen worden sein, «die tun, was immer sie tun wollen, um zu verhindern, dass sich die internationale Gemeinschaft aktiv mit diesem Thema befasst». Deshalb habe Präsident Putin den Vorschlag einer Art internationaler Kontrolle der Lage in der Ukraine unter der Schirmherrschaft der UNO gemacht.
«Im derzeitigen ukrainischen Haus in Kiew gibt es keinen Herrscher, verstehen Sie das? Leider sind die Streitkräfte der Ukraine Neonazis, Banditen, die nach ihren eigenen Vorstellungen handeln. Und je mehr Schaden sie unserer Zivilbevölkerung, unserem Militär, unseren politischen Positionen zufügen, desto wohler fühlen sie sich.»
Die ukrainischen Militärs würden sich als «Patrioten» sehen, seien es aber nicht, da sie ihr eigenes Land zerstörten. Karasin sagte zu den russischen Zweifeln an Selenskyjs Legitimität, dass diese Frage nach Ablauf seiner regulären Amtszeit im Mai 2024 «ganz akut» sei. Und weiter:
«Über welche politischen Interessen des Volkes kann ein Präsident sprechen, der in alle Länder reist und um Geld, Waffen und Sonderrechte bittet, um weiterhin Menschen in verschiedenen Situationen zu töten?»
Wichtig sei, dass sich die Position Washingtons gegenüber Kiew «dramatisch verändert» habe. Zu den Versuchen der US-Vertreter, in Riad als Vermittler aufzutreten und die ukrainische Sicht einzubringen, sagte der russische Delegationsleiter, «es ist schwierig, auf diese Weise mit uns zu sprechen, also haben sie diesen Ton schnell aufgegeben». Das sei zum Scheitern verurteilt, weil Kiew nicht zu Kompromissen bereit sei.
Orientierungslose EU
Die Positionen der EU-Politik seien in Riad aber nicht besprochen worden, «weil die Europäer sich von den Vereinigten Staaten entfernt haben». In Washington sei die vorherrschende Meinung, «dass Europa seinen neuen Platz im gesamten Koordinatensystem der heutigen Welt finden muss».
Zum «Ukraine-Gipfel» in Paris am 27. März sagte er, der Begriff «Koalition der Willigen» klinge im Russischen «komisch». Es habe sich gezeigt, dass es bei den EU-Staaten «lange dauern wird, bis sie aus diesem tief verwurzelten Hass auf alles Russische, auf Russland und so weiter herauskommen». In Paris seien allgemeine Phrasen verkündet, aber keine Entscheidungen getroffen worden.
Er habe den Eindruck, dass die Öffentlichkeit in den EU-Ländern «die Nase voll hat, denn nicht nur in der Slowakei und in Ungarn hört man bereits unzufriedene Stimmen». Solche Stimmen gebe es auch in anderen Ländern, so in Spanien und sogar in Frankreich.
«Die öffentliche Meinung beginnt aufzuwachen und zu erkennen, dass Europa, die Europäische Union und die NATO sich in einer schwierigen Sackgasse befinden, aus der sie nur sehr schwer wieder herauskommen werden. Aber sie müssen den Mut und vor allem die Intelligenz haben, zu erkennen, dass es notwendig ist, aus dieser Sackgasse herauszukommen.»
Auf die Frage von Moderator Alexander Karejewski, was die von einigen europäischen Regierungen geforderten «Friedenstruppen» in der Ukraine bewachen sollen, antwortete Karasin: Die Lagerstätten der Metalle und Seltenen Erden. Die britische Regierung hatte am 16. Januar mit Kiew eine 100 Jahre dauernde Partnerschaft vereinbart. Teil der Vereinbarung ist unter Punkt 5 der Zugriff auf die begehrten Mineralrohstoffe der Ukraine.
Moskau sei gegen die Stationierung jeglicher militärischer Einheiten fremder Länder auf ukrainischem Gebiet, bei denen es sich nur um Einheiten aus NATO-Ländern handeln könne, betonte der Delegationsleiter. Zugleich bezeichnete er die NATO-Osterweiterung ab den 1990er Jahren als «größten strategischen Fehler des Westens».
Ausländische Truppen in der Ukraine würden nicht helfen, die Probleme zu lösen, und den Konflikt nur in die Länge ziehen sowie zu «neuen militärischen Abenteuern» führen und neuen Kummer bringen. Angesprochen auf die anhaltende Einschätzung Russlands als Gefahr für die US-Interessen durch die CIA, sagte Karasin, dass sich an der antirussischen US-Strategie nicht viel geändert habe.
Verständnisvolle Trump-Regierung
Aber die derzeitige Regierung unter Trump sei «sensibler» für die eigenen Interessen und «auffallend verständnisvoll». Sie sei an einem Dialog mit Russland und «an der Suche nach gemeinsamen Ansätzen und Lösungen interessiert». Diese Phase sollte «so konstruktiv wie möglich» genutzt werden, was Moskau versuche.
Die jetzige US-Führung sei der Meinung, dass sich die Europäer um ihre eigenen Probleme kümmern sollten, was der EU-Elite nicht gefalle. In Moskau werde das beobachtet und analysiert, erklärte Karasin. Er rechnet dennoch damit, «dass Europa langsam zum gesunden Menschenverstand, zu einer Art Realismus in seinen Angelegenheiten zurückkehren wird».
Es gebe derzeit auf westlicher Seite in Folge der neuen US-Politik «ein wenig Verwirrung und Aufruhr in der Europäischen Union und in der NATO«. Die Nervosität in Europa wachse, aber es dürfe nichts überstürzt werden.
Karasin rechnet mit Blick auf den Ukraine-Krieg damit, «dass es zu entsprechenden Ergebnissen kommen werde. Vielleicht nicht sofort. Vielleicht nicht in diesem Jahr oder am Ende dieses Jahres», aber es werde eine Lösung geben. Er könne sich auch einen Waffenstillstand zum 20. April, dem diesjährigen Osterfeiertag aller christlichen Religionen, vorstellen.