Es ging um alles – es ging um «Europa». So tönte es wochenlang bis letzten Sonntag, als ein neues EU-Parlament gewählt wurde. Dabei stimmte nicht, was Mainstream-Politiker und -Medien da ohne Unterlass den Menschen einzureden versuchten.
Es war zum einen schon deshalb falsch, weil Europa mehr ist als die Europäische Union (EU), auch wenn diese immer mehr Länder vereinnahmt. Und zum anderen ging es nur um das EU-Parlament, eine der machtlosesten «Volksvertretungen» auf der Welt.
Nun werden die Wahlergebnisse diskutiert und der politische und mediale Mainstream deutet, warum der der bis zuletzt geführte «Kampf gegen rechts» so grandios scheiterte. Dieses Scheitern wird allein am Abschneiden der AfD in Deutschland deutlich.
Zu den klaren, aber meist übersehenen Ergebnissen gehört: Die Mehrheit der Menschen in der EU will mit der herrschenden Politik nichts zu tun haben und hat sich abgewandt. Davon zeugte die den Angaben nach EU-weite Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent. Nicht nur, dass damit die Nichtwähler eigentlich die stärkste Kraft darstellen, auch die hohen Stimmenanteile für EU-kritische, rechtskonservative Parteien zeigen das.
Zu den klaren Ergebnissen gehört auch, dass mit einer Kurskorrektur der EU-Politik nach dieser Wahl nicht im Ansatz zu rechnen ist. Denn aufgrund des Wahlsystems stellen die Parteien, die sich in der «Europäischen Volkspartei» (EVP) zusammengeschlossen haben, wieder die stärkste Fraktion. Das sind jene, die dafür sorgen wollen, dass die deutsche CDU-Politikdarstellerin Ursula von der Leyen weiterhin die EU-Kommission führt.
EVP-Chef Manfred Weber will, dass die Sozialdemokraten und die Liberalen im EU-Parlament das unterstützen. Das heißt, die EU wird weiter militarisiert und aufgerüstet, folgt weiterhin den US-Vorgaben, macht die Ukraine weiter zur westlichen Kolonie – notfalls bis zum letzten Ukrainer –, schottet sich von Russland und China ab, bekämpft weiter Flüchtlinge anstatt eine vernünftige Migrationspolitik zu gestalten und Migrationsursachen zu bekämpfen, opfert die eigene Industrie, setzt die Zensur gegen kritische Stimmen fort und so weiter und so fort. Die EU-Politik wird damit weiterhin so weit rechts sein, wie es zum Teil nicht einmal in den Programmen der rechtskonservativen und -nationalistischen Parteien gefordert wird.
Da können sich die AfD und ihre europäischen Partner eigentlich zurücklehnen. Allein ihre Existenz treibt die regierende Politik nach rechts, was mit diesem Wahlergebnis noch mehr der Fall sein dürfte.
Mit Blick auf Deutschland zeigt sich auch: Keine Partei hat in dem Sinne gewonnen, dass sie eine deutliche Mehrheit für sich hätte verzeichnen können. Die Union hat nur ein Drittel der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen können – real sind das nur 19,4 Prozent der am Sonntag in Deutschland 64,9 Millionen Wahlberechtigen (einschließlich ausländischer Bürger). Für die Parteien dahinter bedeutet das, angesichts der Wahlbeteiligung von knapp 65 Prozent hierzulande, noch geringere Anteile, als es die durch das Wahlsystem «verschönerten» Ergebnisse vortäuschen.
Natürlich ist das Abschneiden der bundesdeutschen «Ampel»-Parteien eine Quittung für deren Regierungspolitik. Dazu gehört auch der absolut und relativ gewachsene Stimmenanteil für die AfD. SPD und Grüne konnten wahrscheinlich gerade mal ihre Stammwähler mobilisieren.
Sie haben die Oppositionspartei AfD mit allen Mitteln bekämpft – demokratisch war das nicht, was da im Namen der «Demokratie» abgeliefert wurde. Auch das hat eine ganze Reihe derjenigen, die am Sonntag wählen gingen, entsprechend quittiert.
Besonders in Ostdeutschland haben sich die Wahlgänger mehrheitlich nicht einreden lassen, wem sie ihre Stimmen geben sollen, und selbst entschieden. Davon kündet auch das Ergebnis der Kommunalwahlen in Brandenburg. Das gilt ganz unabhängig von der Frage, welche wirkliche Alternative die AfD denn politisch zu bieten hat.
Auch sie ist aus meiner Sicht nichts weiter als eine Partei des herrschenden Systems. Sie ist und bleibt «Fleisch vom Fleische des deutschen Bürgertums und seiner politischen Vertretung», wie es der Politikwissenschaftler Erhard Crome einmal formulierte. Die AfD bleibt die politische Reserve des bürgerlichen Lagers, nicht nur für den Crash der EU, sondern auch für den Fall, dass der gesellschaftliche Protest weiter anwächst.
Sie profitiert von dem Versagen der etablierten Parteien ebenso wie vom Versagen der Linkspartei, die das Feld des gesellschaftlichen Protestes schon lange den Rechten überlassen hat. Ob das «Bündnis Sahra Wagenknecht» (BSW) das auf Dauer wettmachen kann, muss sich nach dem ersten Achtungserfolg am Sonntag zeigen.
Aber vorerst wird sich auch an der deutschen Politik nichts ändern und der Bundestag nicht aufgelöst, um Neuwahlen zu ermöglichen. Und selbst wenn Kanzler Olaf Scholz (SPD), wie von der CDU gefordert, den Misstrauensantrag stellen würde und es zu Neuwahlen käme: Mit der CDU wäre auch nichts anders. Der Kriegskurs würde genauso wenig korrigiert wie die Deindustrialisierung des Landes, der Sozialabbau genauso wenig wie die fortschreitende gesellschaftliche Repression.
Es bleibt also alles wie es war: Eine wirkliche Alternative ist auch in der EU weiterhin nicht in Sicht. Die haben anscheinend die Wähler mehrheitlich nicht gewollt oder nicht gesehen – unabhängig von der machtlosen Stellung des EU-Parlaments und der Frage, was Wahlen wirklich verändern können. Ein grundlegend notwendiger gesellschaftlicher Aufbruch, getragen von den Bürgern, ist nicht in Sicht.
Hingegen gerieren sich jene als Wahlsieger, die den Laden in den Abgrund führen, egal aus welcher Partei sie kommen. Um Europa, das größer ist als die EU, ging es am Sonntag nicht. Und nebenan ist weiter Krieg, auch wegen der EU.
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