Transition News: Der Verfassungsschutz Berlin hat Ihnen einen Vergleich angeboten, alle Informationen, die man seit 2020 über Sie gesammelt hat, zu löschen – der Redaktion liegen die Schriftstücke vor – die Frist läuft bis zum 28. Mai. Haben Sie sich darauf eingelassen?
Dietmar Lucas: Ich habe mich nicht auf diesen Vergleich eingelassen.
Warum nicht? Was sollten Sie als Gegenleistung dafür tun, oder geht es Ihnen um ganz etwas anderes?
Ich bleibe zum einen auf mehreren Hundert Euro Gerichtsgebühren sitzen. Mir geht es aber ganz grundsätzlich darum, dass der neu geschaffene Phänomenbereich der Delegitimierung des Staates, unter dessen Prämisse der Verfassungsschutz mich beobachtet, vor Gericht als das entlarvt wird, was er in meinen Augen ist: Eine Resterampe, mit der jeder bürgerschaftlich engagierte Staatsbürger als angeblich verfassungsfeindlicher Extremist nicht nur beobachtet werden kann, sondern auch massive gesellschaftliche Nachteile erleiden kann.
Bürgerschaftliches Engagement darf nicht unter einem permanenten Damoklesschwert einer möglichen staatlichen Ausspähung agieren müssen. Einen Generalverdacht staatsfeindlichen Handelns gegenüber allen Bürgern eines Staates kann es in einer Demokratie nicht geben.
Wie und wann kamen Sie eigentlich auf die Idee, beim Verfassungsschutz Berlin nachzufragen – also Auskunftserteilung und Akteneinsicht zu verlangen? Warum hatten Sie so eine Ahnung, dass der Nachrichtendienst Sie beobachtet?
Die Vermutung, dass der Verfassungsschutz auch mich auf seinem Radar haben könnte, kam mir schon 2021. Damals wurde die neue Beobachtungskategorie der «Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung» geschaffen – extra um den Protest gegen die Corona-Maßnahmen und jegliche Kritiker mit geheimdienstlichen Mitteln ausforschen zu können. Den konkreten Hinweis, dass auch ich beobachtet werde, bekam ich Anfang 2023, als ich ein Schreiben des Verfassungsschutzes an eine andere Behörde sah, in dem mir unterstellt wurde, dass ich Bestrebungen verfolgt hätte, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien.
Warum sind Sie 2020 auf die Straße gegangen? Wie haben Sie auf Ihre Grundrechte bestanden?
Ich habe mit meinem Protest gezeigt, dass die Maßnahmen im Jahre 2020 immer absurder und totalitärer wurden. Ich wollte beispielsweise Informationen über die Genauigkeit des damals allgegenwärtigen PCR-Tests bekommen und habe eine Mahnwache vor dem Robert Koch-Institut in Berlin ins Leben gerufen, die übrigens noch immer stattfindet und auf der jetzt seit über dreieinhalb Jahren Transparenz gefordert wird.
Sie haben auch für die Partei «Die Basis» kandidiert. Wurden Sie auch deswegen vom Verfassungsschutz beobachtet?
Hierüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Die Verfassungsschützer erwähnen in ihrem Auskunftsschreiben, dass ich für «Die Basis» eine Rede gehalten habe. Dass ich der Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Berlin wurde, habe ich noch nicht in den Daten des Verfassungsschutzes gefunden.
Der Verfassungsschutz meldete sich auf Ihre Anfrage also schriftlich bei Ihnen und hatte tatsächlich Informationen über Sie gesammelt. Was hatten die Verfassungsschützer denn gefunden? Wodurch sahen sich die Beamten veranlasst, Sie zu beobachten?
Liste der Sacherkenntnisse aus dem Verfassungsschutz-Schreiben vom 30. November 2023.
Die «Sacherkenntnisse», die aus Sicht des Verfassungsschutzes eine Beobachtung als «verfassungsfeindlicher Extremist» rechtfertigen sollen, haben mich schon verblüfft. Es war eine dünne Aufzählung von ganz normalen bürgerschaftlichen Aktivitäten. Ich hätte zwei Versammlungen angemeldet, eine davon mit mehreren Tausend Demonstranten, die dann sogar im Verfassungsschutzbericht auftauchte. Die Verfassungsschützer hatten mich auch in einem Video über diese Demo entdeckt. Auf der anderen Kundgebung habe ich eine Rede gehalten, auch davon gibt es ein Video. Der letzte Punkt hat mich dann aber wirklich erschüttert: Als Beweis für meinen «verfassungsfeindlichen Extremismus» wird dort ernsthaft aufgeführt, ich hätte ein Auto auf meinen Namen angemeldet.
Sie haben auf dieses erste Antwortschreiben Klage beim Verwaltungsgericht auf vollständige Auskunft eingereicht, da Sie annahmen, es müsse doch mehr Daten über Sie geben?
Ich habe Anträge gestellt, meine Daten zu sperren – sie also nicht mehr weiterzugeben – sowie die über mich gesammelten Informationen mir gegenüber vollständig offenzulegen, die Beobachtung einzustellen und außerdem die Daten zu löschen. Ich wollte mich wieder als unbescholtener Bürger fühlen können, ohne dass ich befürchten muss, dass der Verfassungsschutz hinter meinem Rücken andere gegen mich aufhetzt.
In der Erwiderung erwähnt der Justiziar des Verfassungsschutzes Dr. Ziehten – der Vorname ist in dem Schreiben leider nicht vermerkt –, dass Sie sich als Teil einer «Revolution» bezeichnet hätten?
In dieser zweiten Antwort hat der Verfassungsschutz dann versucht, die dürftigen Sacherkenntnisse etwas ausführlicher zu erläutern. Diese Stellungnahme war allerdings voller Mängel, es wurden beispielsweise Parolen falsch wiedergegeben und aus meiner Sicht willkürliche Behauptungen aufgestellt. Das Wort «Revolution» habe ich am Rande der Großdemo am 1. August 2022 in den Mund genommen. Wörtlich habe ich allerdings gesagt:
«Eine Revolution, bei der nicht getanzt und gelacht wird, muss ohne mich auskommen.»
Daraus hat der Verfassungsschutz dann gedreht, dass ich mich als Teil einer Revolution dargestellt hätte.
Aus der Klagerwiderung vom 24. Januar 2024.
Wie sind Sie weiter vorgegangen?
Ich habe dann die Behauptungen der Behörde noch einmal ausführlich richtiggestellt und habe dem Verfassungsschutz damit wohl nachweisen können, dass alle seine Behauptungen ins Leere laufen.
Und wie erklären Sie sich diese Neubewertung? Was hatte sich seit Ihrem ersten Schreiben an den Verfassungsschutz geändert?
Ich vermute, dass aufgrund meiner Anfrage deutlich geworden ist, wie dünn das Eis des neuen Phänomenbereichs tatsächlich ist. Wenn die «Sacherkenntnisse» über einen in Berlin durchaus sichtbaren Maßnahmenkritiker so mager sind, was ist dann mit den weiteren Beobachteten? Mit einem Vergleich, wie ihn der Verfassungsschutz mir jetzt angeboten hat, also der Löschung der Daten, kann man diese Peinlichkeit dann am schnellsten begraben.
Was glauben Sie, wozu dient der Phänomenbereich «Delegitimierung des Staates»?
Es kann natürlich keine Delegitimierung des Staates sein, wenn man fehlerhaftes und potenziell schädliches Verhalten von Regierungsvertretern öffentlich benennt.
Diese neue Beobachtungskategorie dient aus meiner Sicht hauptsächlich der Einschüchterung derer, die mit einer offiziellen Politik nicht einverstanden sind und sich überlegen, auch politisch aktiv zu werden. Sie ist so schwammig definiert, dass sich jeder, der sich politisch engagiert, dort wiederfindet. Und eine solche Einstufung kann ganz konkrete Nachteile haben, denn der Verfassungsschutz zögert offensichtlich nicht, seine Einschätzungen auch mit anderen Behörden zu teilen.
Eine freiheitliche demokratische Grundordnung, die sich von friedlich vorgetragener Kritik extremistisch attackiert und verfassungsfeindlich bedroht fühlt, verdient wohl mindestens eins der beiden Attribute nicht. Eine robuste freiheitliche demokratische Grundordnung muss es ertragen können, wenn an Handlungen von Vertretern der öffentlichen Hand Kritik geübt wird, gerade eine vielleicht unbequeme Kritik, die sich als sachlich untermauert zeigt.
Soll jede andere Meinung, egal zu welchem Thema – sei es Impfung, Ukraine, Klima oder Palästina – unterbunden, die Opposition kriminalisiert und zensuriert werden?
Ich kann mir vorstellen, dass der Protest gegen die Corona-Maßnahmen, den breite gesellschaftliche Schichten getragen haben, die Politik überraschte und sie darauf mit verschiedenen Abschreckungsstrategien reagiert hat. Und wo ein Framing als «rechtsextrem» wirklich nicht funktionieren konnte, musste halt ein neues Stigma her.
Jetzt, wo dieses praktische Instrument der «Delegitimierung des Staates» erst mal in der Welt ist, kann man damit natürlich jegliche Kritik am Regierungshandeln erfassen und aktiv bekämpfen.
Wie bewerten Sie als Psychologe und Psychotraumatherapeut dieses Vorhaben, beziehungsweise Vorgehen?
Ich sehe nicht nur hier die Angst vor Macht- und Bedeutungsverlust als zentrales Motiv. Wer Angst hat, versucht, sich nach allen Seiten abzusichern, und schlägt auch schon mal wild um sich. Und die Maßnahmenkritiker drohten, das schöne Geschäft mit den Gen-Spritzen zu ruinieren, und mussten mit allen Mitteln kleingehalten werden.
Der Verfassungsschutz soll begonnen haben, Datensätze von Menschen, die sich so wie Sie während des Corona-Regimes für die Grundrechte eingesetzt haben, zu löschen. Die einzige Möglichkeit, diese absurden Bespitzelungen für die Nachwelt zu erhalten, ist, beim Verfassungsschutz einen Antrag auf Auskunftserteilung zu stellen. Können Sie das empfehlen? Wie sollen Bürger genau vorgehen?
Ich kann sehr empfehlen, Auskunft über die Daten, die über die eigene Person gespeichert sind, anzufragen. Diese Beobachtungen müssen dokumentiert werden und das ist der einzige Weg. Dieser neue demokratiegefährdende Phänomenbereich muss wieder eingestampft werden.
Man kann schnell im Internet recherchieren, welcher Paragraf für Auskunftserteilung in welchem Bundesland gilt, und sich darauf berufen. Das geht dann mit einem Dreizeiler und einer Briefmarke.
Vertrauen Sie noch auf den Rechtsstaat? Wer oder was gefährdet in Ihren Augen die Demokratie?
Die Demokratie war immer schon eine Art Tauziehen zwischen den Interessen einiger weniger und dem Allgemeinwohl. Aktuell scheint es, dass die wirtschaftlichen Interessen der Industrie sehr den Ton angeben. Die Pharmaindustrie hat sich eine goldene Nase verdient, jetzt profitiert die Rüstungsindustrie, demnächst kommt dann eine Klimaindustrie ganz groß raus. Der Rechtssaat ist in diesem Tauziehen immer gefährdet, im Matsch zu landen, und muss auch dadurch gestärkt werden, dass die absurdesten Maßnahmen immer wieder aufs Neue hinterfragt und angegangen werden.
Die größte Gefahr für die Demokratie sehe ich darin, dass Menschen sich aus Angst vor unangenehmen Folgen wegducken und alles mit sich machen lassen.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
Kommentare