Die Medien jubelten: «Joe Biden schreibt Geschichte», titelte die BBC, «beispiellos» war es für die Los Angeles Times und der New Yorker machte «eine starke politische Geste» aus. Die Ehre gilt dem US-Präsidenten Joe Biden. Seine glorreiche Tat: Am Dienstag besuchte er die streikenden Automobilarbeiter in Michigan und schloss sich den Streikposten an.
Anfang September hatte die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) nämlich einen Streik bei Ford, General Motors und Stellantis ausgerufen, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu fordern.
Wie die BBC mitteilt, nehmen US-Gesetzgeber und Präsidentschaftskandidaten häufig an Streiks teil, um ihre Solidarität mit den Arbeitnehmern zu bekunden. Es gelte jedoch als beispiellos, dass ein amtierender Präsident dies tut. Biden sagte, dass die Arbeiter Erhöhungen und andere Zugeständnisse, die sie fordern, «verdienen».
Bidens Besuch erfolgt der BBC zufolge auch vor dem Hintergrund, dass seine Regierung die Produktion von Elektrofahrzeugen in den USA vorantreibt. Darüber seien die Gewerkschaftsmitglieder besorgt, da sie befürchteten, dass für die Herstellung von Elektrofahrzeugen weniger Arbeitskräfte benötigt werden und diese in nicht gewerkschaftlich organisierten Fabriken zu viel niedrigeren Löhnen hergestellt werden könnten.
Einen Tag nach dem US-Präsidenten sprach auch sein potenzieller Herausforderer Donald Trump zu den Autoarbeitern in Michigan. Auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social behauptet Trump, den Besuch des Präsidenten provoziert zu haben:
«Der korrupte Joe Biden hatte nicht die Absicht, die United Autoworkers zu besuchen, bis ich ankündigte, dass ich nach Michigan reisen würde, um bei ihnen zu sein [und] ihnen zu helfen», schrieb er.
Der BBC zufolge wurde Biden vom Präsidenten der UAW, Shawn Fain, eingeladen, der sich gelegentlich kritisch gegenüber Trump geäussert habe.
Am Mittwochabend hielt dann Trump eine Rede in Michigan, um die US-Autobeschäftigten zu umwerben. Der Guardian schreibt, er habe Joe Biden, Elektrofahrzeuge und Barack Obama «aufs Korn genommen», während er «Fragen des Kulturkampfes vorantrieb». Die Kernthemen, die viele Autoarbeiter derzeit in den Streik treiben, habe Trump allerdings nicht unterstützt. Er tat Bidens Besuch als «Fototermin» ab.
Der Guardian weist darauf hin, dass der ehemalige US-Präsident und andere prominente Republikaner die Gewerkschaften immer wieder angegriffen haben. Nun würden jedoch viele den Streik der UAW unterstützen. Michigan und andere Bundesstaaten des «Rostgürtels» würden als entscheidende Schauplätze im Rennen um das Weisse Haus gelten. Trump versprach, «nie wieder etwas Schlechtes» über die Gewerkschaften zu sagen, sollten diese ihn unterstützen. Über den «Pro-Gewerkschaft»-Biden donnerte er hingegen:
«Seine gesamte Karriere war ein Akt des wirtschaftlichen Verrats und der Zerstörung der Gewerkschaften.»
Gemäss Trump haben «miese und korrupte Politiker wie Biden» US-amerikanische Arbeitsplätze und Arbeitnehmer als entbehrlich behandelt. Sie hätten sich zurückgelehnt und seien «reich geworden, indem sie Bestechungsgelder angenommen und andere Länder unsere Arbeitsplätze und unseren Wohlstand vergewaltigen und plündern» liessen. Trump weiter:
«Er [Biden] hat die Gewerkschaften zerstört und Millionen amerikanischer Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, während er persönlich Geld aus dem Ausland kassiert hat, und zwar mit vollen Händen. Schauen Sie sich das Geld an, das er aus China bekommen hat.»
Trump wies darauf hin, dass Biden Freihandelsabkommen unterstützt habe, darunter auch solche, die dazu beigetragen hätten, Millionen amerikanischer Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern:
«Er unterstützte NAFTA, er unterstützte Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation, er unterstützte die schreckliche Transpazifische Partnerschaft, die die amerikanische Autoindustrie zerstört hätte, wenn ich sie nicht gestoppt hätte (...) Biden unterstützte auch einen Herrn namens Barack Hussein Obama und sein grauenhaftes Handelsabkommen mit Korea. Joe Biden hat jeden einzelnen blutsaugenden globalistischen Angriff auf die amerikanischen Autoarbeiter unterstützt.»
Zu erwähnen ist zudem, dass Biden im Dezember 2022 einen Gesetzentwurf unterzeichnete, der einen US-Eisenbahnstreik verhinderte. Reuters zufolge hätte dieser die US-amerikanische Wirtschaft in den Ruin treiben können. Im Entwurf fehlte jedoch eine Massnahme, die den Bahnbeschäftigten bezahlte Krankheitstage ermöglicht hätte. Biden hatte den Kongress gebeten, diesen Vertrag durchzusetzen. Er hatte «eingeräumt»:
«Es war hart für mich, aber es war das Richtige, um Arbeitsplätze zu retten, Millionen von Arbeiterfamilien vor Schaden und Unterbrechungen zu bewahren und die Versorgungsketten um die Feiertage herum stabil zu halten.»
Biden fügte hinzu, dass die Einigung eine «wirtschaftliche Katastrophe» verhindert habe.
Acht von zwölf Gewerkschaften hätten die Vereinbarung ratifiziert, liess Reuters verlauten. Einige Gewerkschaftsführer hätten den «Freund der Arbeitnehmer» Biden für seine Bitte an den Kongress kritisiert.
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