Transition News: Anfang 2020 waren Sie 22 Jahre alt und hatten sich eben Ihren Traum erfüllt, in Berlin zu studieren ...
Ronja Palmer: Ich konnte Anfang 2020 von Köln nach Berlin wechseln, in die Stadt, in die ich eigentlich immer wollte, und hatte viele Hoffnungen. Aber dann kam «Corona» und ich stand total alleine da. Ich war ja eben erst in Berlin angekommen, und es war die ganze Zeit verpönt, überhaupt Fragen zu stellen – da war eine Hemmschwelle. Ich kannte keine Gleichgesinnten oder überhaupt jemanden in Berlin.
Ich war in der sogenannten «Pandemie» in die deutsche Hauptstadt gezogen und hatte nur Online-Unterricht. Ich habe die Freie Universität – die noch immer völlig zu Unrecht diesen Titel trägt – nie betreten, obwohl ich dort meinen Abschluss gemacht habe. Ich habe zwei Jahre an dieser Universität studiert, war aber nie physisch dort. Auch online habe ich keine Gleichgesinnten kennengelernt. Das Thema wurde im Onlineunterricht immer umschifft, und wenn man mal was angeschnitten hat, dann wurde überhaupt nicht darauf reagiert oder eher negativ. Von daher war ich ziemlich auf mich allein gestellt.
Und ich lebte zwar in einer Wohngemeinschaft mit einer anderen deutschen Studentin, die hat mich dann aber nach einem Jahr rausgeschmissen, nachdem sie die Wochenzeitung Demokratischer Widerstand auf dem Küchentisch liegen gesehen hatte. Sie selbst arbeitete im Impfzentrum.
Und wie konnten Sie als Neuankömmling im «Lockdown» in Berlin überhaupt Gleichgesinnte kennenlernen?
Die ersten Mitstreiter habe ich auf den Demonstrationen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz gefunden. Von der Uni habe ich leider niemanden kennengelernt – man hatte uns total die Möglichkeit genommen, uns überhaupt zu treffen. Das durften wir gar nicht.
Und online konnte man sich nicht besprechen, weil es ja kaum private Räume gibt. Das ist nicht so, als wenn man in der Cafeteria sitzt und sich privat austauscht. Das war wirklich reduziert auf den Unterricht, eine Stunde lang, und dann schaltet jeder seinen Computer aus.
Was haben Sie studiert?
Sozial- und Kulturanthropologie. Das eignet sich eigentlich perfekt, um mal solche Thematiken anzusprechen. Als wir Foucault und Herrschaftstechniken besprachen, habe ich die undemokratischen Vorgänge in Deutschland auch direkt angesprochen, aber die Professorin tat das alles als Verschwörungstheorien ab und damit war das abgehakt.
Und ich weiß noch, ich habe nach dem 1. August 2020 auf Facebook ein Foto der Großdemonstration gepostet. Und es wurde zensiert. Ich hatte vorher noch nie groß politische Inhalte geteilt, das war das erste Mal, dass ich online wegen etwas Politischem zensiert wurde. Ich musste ziemlich schlucken.
Da hat es dann angefangen, dass mir diese Dimension der Deformation bewusst wurde: dass wir hier Diffamierung und gedankliches Sperrgebiet betreten.
Sie waren vor 2020 eher unpolitisch?
Mit meinen Eltern war ich als Kind auf Anti-Atomkraft-Demos, aber später überhaupt nicht mehr. Ich war politisch relativ uninteressiert und dachte, man könne eh nichts groß bewegen. KenFM zum Beispiel kannte ich zwar schon vorher durch meinen Vater, aber ich war jung, mit dem Studium beschäftigt und hatte andere Prioritäten. Die Dringlichkeit, auf die Straße zu gehen, war für mich nicht so offensichtlich.
«Corona» hat mich absolut politisiert. Es ging gar nicht anders. Ich bin aus Not politisch geworden, weil die Geschehnisse mein persönliches Leben so extrem beeinflusst haben. Ich kann bei einem Wahnsinn, der passiert, ja nicht die Augen verschließen. Ich bin in der Verantwortung. Ich kann mich nicht einfach in meine kleine Hütte zurückziehen und auf Biedermeier tun. Ich fühle mich verantwortlich, und das geht auch jetzt weiter.
Ich bin jetzt politisiert, und das kann ich nicht mehr abschalten. Irgendwie ist mein Leben ernster geworden. Das war ein Schubs in die Realität.
Es hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass sich das in den Jahren abgespielt hat, als ich ins Erwachsenenalter reingekommen bin, wo man so ein bisschen Naivität ablegt. Aber es hat mich auf jeden Fall nachdenklicher und kritischer gemacht.
Dieser Schubs in die Realität, wie Sie es nennen, führte dazu, dass Sie in der Freiheitsbewegung sehr aktiv waren.
Richtig los ging es im ersten Winter. Ich war den ganzen Winter hindurch auf den Demonstrationen auf dem Berliner Alexanderplatz aktiv, habe Musik gemacht und Reden gehalten. Ich hatte diese Energie, weil ich die richtigen Leute gefunden hatte, die an meiner Seite kämpften. Später habe ich beim Demokratischen Widerstand mitgearbeitet. Ich bin in die Vollen gegangen – statt Lethargie, gab es volle Aktion. Und ich hatte für zwei Jahre auch die Kraft dazu.
Hotel am Berliner Alexanderplatz im Januar 2021; Foto: Sophia-Maria Antonulas
Hatten Sie bei all dem politischen Engagement denn noch Zeit zu studieren?
Irgendwie habe ich die Uni fertiggebracht. Ich bin Ende 2021 für einige Wochen nach Schweden und habe meine Bachelorarbeit aus dem Ausland eingereicht. Ich habe das irgendwie noch unter einen Hut bekommen, auch wenn mein Interesse natürlich ganz woanders lag.
Und ich weiß noch: Ich war am 18. November 2020 auf der Demonstration gegen die Verabschiedung des neuen Infektionsschutzgesetzes, bei der die Polizei Wasserwerfer einsetzte. Eigentlich musste ich für die Uni eine super wichtige Präsentation machen, aber ich konnte nicht:
Was soll ich über politische Anthropologie diskutieren, wenn ich doch auf der Straße sein muss? Das war doch eigentlich das Wichtige. Das Wissen muss gelebt werden, erst dadurch lernt man.
Ende des zweiten Winters war ich an einem toten Punkt angekommen, ich konnte einfach nicht mehr. Ich hatte alles reingegeben und war ausgelaugt. Ich war dann zwei Monate in Schweden und bin Anfang 2022 nach Südamerika ausgewandert. Aber zwei Jahre lang war ich sehr aktiv.
Wo genau in Südamerika leben Sie?
Ich bin ein bisschen rumgekommen und lebe jetzt wieder in Argentinien, wo ich auch schon früher zwei Jahre lang war. Ich habe mir aber auch andere Länder angesehen – vor allem Paraguay fand ich ziemlich interessant.
Im Zuge der «Pandemie» sind einige Deutsche dorthin ausgewandert. Ich war da ein halbes Jahr, habe mir das angeschaut und sehe immer noch ein sehr großes Potenzial in diesem Land. Paraguay ist so interessant, weil sich eigentlich keiner dafür interessiert – also fast keiner. Die wenigsten wissen überhaupt, wo dieser Staat liegt.
Es gibt keine spektakulären touristischen Attraktionen. Trotzdem ist Paraguay sehr schön: Es ist ein sehr weites und fruchtbares Land mit gutem Klima. Es gibt auch noch viel freies Land und relativ wenige Einwohner. Die Menschen sind nett, und es ist kein großes bürokratisches System vorhanden, das an jeder Ecke reingrätscht, wie das in Deutschland der Fall ist.
Was hat Sie an Paraguay so fasziniert?
Es ist vielleicht das freieste Land, das ich je kennengelernt habe, wo viele Dinge noch auf einer sehr informellen, persönlichen Ebene funktionieren. Persönliche Beziehungen halten das ganze System aufrecht. Statt eines Gesundheitssystems gibt es Großfamilien, die sich gegenseitig unterstützen. Die Verbindungen von Mensch zu Mensch halten das ganze so stabil. Das macht die Bevölkerung auch unabhängiger und schützt sie vor Indoktrinationen von außen. Die Menschen sind bodenständig, arbeiten mit ihrem Land, haben ihr Häuschen, ihre Tiere. Sie sind noch nicht so durch die Medien manipuliert wie die Bevölkerung der westlicheren Länder.
Das hat noch eine ganz andere Qualität. Das bürokratische System hat einfach nicht die Macht, da groß durchzugreifen. Es läuft vieles informell ab. Klar, da gibt es auch Nachteile und Korruption. Vieles ist chaotischer und gleichzeitig hat man eine größere Freiheit.
Ich habe in Paraguay in der Nähe einer deutschen Kolonie gewohnt. Das ist schon eine sehr, sehr alte Kolonie – die deutsche Einwanderung, reicht weit zurück bis ins vorletzte Jahrhundert. Die Deutschen sind die drittgrößte Einwanderungsgruppe in Paraguay. Seit 2020 kommen viele Familien und ältere Menschen dazu.
Niemand kommt zufällig nach Paraguay. Man wandert nicht einfach dahin aus, weil man das Land toll findet – wie das zum Beispiel bei Brasilien der Fall ist. Einwanderer in Paraguay hatten eine eher ungewöhnliche Lebensgeschichte. Es gibt einige, die sich woanders etwas zu Schulden haben kommen lassen, aber es gibt auch viele Menschen, die einfach mehr Freiheit suchen. Wenn ich jetzt nicht noch sehr jung wäre und mehr sozialen Kontakt mit anderen jungen Leuten bräuchte, dann wäre ich wahrscheinlich dort geblieben.
Aber so bin ich noch ein bisschen rumgekommen, habe mir auch Brasilien angeschaut und Argentinien. Aber ich habe jetzt die Daueraufenthaltsgenehmigung für Paraguay und das ist meine Notlösung. Wenn irgendwas passiert, dann weiß ich, ich bin in Paraguay. Es gibt viele, die sich Paraguay als Refugium bewahren.
Derzeit leben Sie in Buenos Aires und überlegen, Ihr Masterstudium zu machen?
Ich wurde doch dieser Jahre beraubt. Von meinem Fach Anthropologie bin ich noch immer sehr begeistert. Und ich habe Lust, an die Uni zu gehen und mich mit den Inhalten jetzt richtig zu beschäftigen.
Andererseits frage ich mich natürlich auch, wie viel das in diesen Zeiten noch bringt? Und angenommen, etwas Ähnliches – mit Abstandsregelungen und Schließungen von Institutionen – kommt noch einmal, dann bin ich natürlich draußen aus dem System, dann geht das Gleiche wieder los. Und so frage ich mich manchmal, ob ich überhaupt ins System wieder reingehen möchte, ob sich das überhaupt lohnt.
Ich möchte mich noch mehr auf die Suche nach Visionen begeben und werde auch mehr, vor allem hier in Südamerika, reisen. Ich plane jetzt zum Beispiel eine Brasilienreise. Ich möchte ganz tief in den Dschungel und mich auf die Suche nach anderen Lebensvorstellungen machen.
Und ich versuche, eher auf spiritueller Ebene zu verstehen, was da ab 2020 eigentlich passiert ist. Also nicht nur auf der politischen Ebene, sondern:
Was sagt das alles eigentlich über uns Menschen und über den Zustand der Gesellschaft aus? Und welche positiven Visionen gibt es vielleicht doch noch in anderen Gebieten oder von Menschen, die nicht so stark vom westlichen Denken indoktriniert sind.
Über diese Beispiele möchte ich kommunizieren, schreiben, berichten. Ich habe mich ehrlich gesagt, ein bisschen rausgenommen aus dem Medienkonsum. Ich informiere mich schon noch, aber ich gehe auch tiefer und da hilft mir die Anthropologie. Ich habe jetzt angefangen, die Menschheitsgeschichte im Groben zu studieren. Und ich habe mich in den letzten Monaten intensiv mit Philosophie beschäftigt und stelle mir Grundfragen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht an diesem Punkt wäre, wenn das nicht auch so ein großer Schockmoment gewesen wäre. Diese Jahre von 2020 bis 2022 haben mich sehr geprägt.
Was hat Sie besonders schockiert?
Dass es in so einer großen globalen Dimension Machtstrukturen gibt, die eine extreme Kontrolle über uns haben können, das war mir nicht bewusst, und das hat mich tief schockiert. Diese Dimension war mir nicht bewusst. Was mich aber vielleicht sogar mehr schockiert hat, war die Reaktion der meisten Menschen: dass die große Mehrheit mitgegangen ist und nichts hinterfragt hat. Und das führte dazu, mich mit Psychologie, auch der Psychologie der Massen, und mit Soziologie zu beschäftigen: Was sagt das über uns aus? Was für ein Menschenbild haben wir von uns? Oder was ist das dominante Menschenbild in der Postmoderne und wie sind wir hier hin gelangt?
In diesen zwei Jahren, als der Mensch auf das Körperliche reduziert wurde, hat sich eben ganz klar gezeigt, dass der Andere als feindlich, als gefährlich gesehen wird.
Und die Revolution auf der Straße ist sicher erstrebenswert. Aber wir brauchen noch eine viel tiefgreifendere Revolution im Denken. Und daran forsche ich derzeit. Ich glaube, da liegt die Lösung auf lange Sicht. Das geht über die politische Ebene und auch über das hinaus, was heute, morgen oder auch in 20 Jahren auf der Agenda steht. Es geht eher darum, wie der Mensch sich selbst versteht, was er über sich weiß und was er für einen Zugang zu seinem Inneren hat.
Dieser Zugang scheint ziemlich verschüttet. Es war ganz offensichtlich, wenn man auf der Straße die Menschen mit ihrer Maske vor dem Mund gesehen hat: Sie haben keinen Zugang zum eigenen Körper mehr, zu dem, was ihnen gut tut, was sie brauchen. Wir müssen atmen. Das Leben an sich ist Atem. Und wenn dieses Bewusstsein gar nicht mehr da ist, dann sind wir an einem ziemlich heiklen Punkt des menschlichen Bewusstseins.
Es braucht eine Vision für ein gesünderes und ein bewussteres Leben. Und deswegen lese ich mich durch die menschliche Geschichte, um zu verstehen, wie wir an diesem Punkt angelangt sind und wie wir hier vielleicht auch wieder wegkommen. Also ich bin trotzdem hoffnungsvoll.
Und je mehr ich die Geschichte lese, desto hoffnungsvoller werde ich. Denn Querdenker, also Menschen, die konventionelle Denksysteme hinterfragen, hat es in allen Epochen gegeben. Wir sind Teil einer langen Linie von Freigeistern.
Und haben Sie in der argentinischen Hauptstadt schon Gleichgesinnte gefunden?
Diese offensichtliche Dringlichkeit ist vorbei, die Thematik scheint vom Tisch – das macht es nicht so einfach, Gleichgesinnte zu finden. Aber das ist auch nicht schlimm. Ich habe auf der ganzen Welt verteilt Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle und mich austauschen kann.
Es ist ja immer noch schwierig, über die falsche Pandemie und alles, was dazu gehört, überhaupt zu reden. Da geht bei vielen immer noch eine Schranke runter, sobald man das erwähnt. Sie müssten sich ja eingestehen, dass sie das irgendwie nicht kapiert haben.
Ein Beispiel: Ich mache ein bisschen Musik und habe vor einiger Zeit hier in Buenos Aires ein Konzert gegeben. Ich habe einen Song, der unglaublich wichtig ist für mich. Der heißt «Utopia», den habe ich im tiefsten Winter in Berlin geschrieben, als ich zu den Demos ging und in dieser Situation höchster und tiefster Willkür einen Lichtschimmer sah. Und beim Konzert habe ich vom Kontext erzählt – also ganz explizit, warum der Song entstanden ist – und sogar ein Zitat aus meinem Tagebuch vorgelesen. Und da kam gar keine Reaktion aus dem Publikum. Ich hatte das Gefühl, es war vielen Menschen unangenehm.
Worum geht es in Ihrem Song «Utopia»?
Es geht darum, auf seine eigene innere Stimme zu hören. Denn das ist eigentlich die Utopia, sie sagt uns schon, was richtig ist. Sie ist die Freundin von Freiheit, von Liebe, von Kunst und der Wahrheit. Selbst dann, wenn du dich einsam fühlst und es gerade dunkel ist.
Ich weiß noch: Ich ging damals durch Berlin spazieren, es schneite. Und es herrschte «Lockdown», alles war geschlossen. Man wusste nicht, wie es weitergeht. Und ich habe dann mit Kreide Herzen auf die Straße gemalt, mit positiven Botschaften. Und das hat mir viel Kraft gegeben. Wenn wir der eigenen inneren Stimme vertrauen, dann leitet sie uns. Selbst wenn die ganze Welt gegen uns zu sein scheint, sind wir so auf dem richtigen Weg.
Ich habe allerdings das Gefühl, nicht so viele Menschen befinden sich auf dem gleichen Weg. Das ist schade, aber ich suche weiter. Deswegen möchte ich auch wieder journalistisch arbeiten, um meine Suche und das, was ich finde, mit andern zu teilen.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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