Wenn auch weniger intensiv als vor einigen Wochen, so bombardiert Israel weiterhin den Gazastreifen – und es kommt immer noch zu heftigen Kämpfen. Nun hat die israelische Tageszeitung Haaretz Satellitenbilder veröffentlicht, die die enormen Schäden zeigen, die in Khan Yunis, der zweitgrössten Stadt des Gazastreifens, in den vergangenen Wochen angerichtet wurden. Wie Haaretz schreibt, seien viele Truppen der israelischen Armee (IDF) in der Gegend von Khan Yunis konzentriert – und dort sei die Armee in den letzten Wochen von Osten nach Westen gezogen.
Bilder des privaten Satellitenunternehmens Planet Labs bieten einen hochauflösenden Blick auf Khan Yunis. Und sie offenbaren, dass an vielen Stellen ganze Gebäude, die nebeneinander standen, entweder völlig zerstört oder erheblich beschädigt sind. Schon in den früheren Phasen des Krieges wurden viele Gebäude in der Stadt beschädigt. Die hier gezeigten Bilder zeigen einige der Bereiche, in denen zwischen dem 19. Januar und dem 2. März – dem Datum, an dem sie aufgenommen wurden – in Khan Yunis Schäden und Zerstörungen entstanden sind.
Das Zentrum von Khan Yunis
Wie Haaretz mitteilt, ist das terrakottafarbene Gebäude auf den Bildern unten das Al-Amal-Krankenhaus. Die Vereinten Nationen hätten berichtet, dass das Krankenhaus von Mitte Januar bis Mitte Februar einen Monat lang im Mittelpunkt der Operationen der israelischen Streitkräfte gestanden und dass es in der Gegend 40 Angriffe gegeben hätte. Diese hätten dazu geführt, dass das Krankenhaus keine medizinischen Leistungen mehr erbringen konnte. Der Rote Halbmond und die Weltgesundheitsorganisation hätte die Patienten evakuiert. Wie auf den Satellitenbildern zu sehen ist, wurden viele Gebäude in der Nähe des Krankenhauses völlig zerstört.
Das Zentrum von Khan Yunis am 19. Januar im Vergleich zum 2. März. Bilder: Planet Labs PBC ©
Westliches Khan Yunis
Im Bezirk Khan Yunis, zu dem die Stadt Khan Yunis und kleinere Ortschaften in der Nähe gehören, lebten vor Ausbruch des Krieges gemäss Haaretz rund 440’000 Menschen. Die IDF hätten die Hamas-Kräfte in der Stadt bekämpft, mehrere Tunnel unter der Stadt entdeckt und ihre Bemühungen auf die Suche nach Geiseln in der Stadt konzentriert. Die IDF würden auch versuchen, den Hamas-Führer Yahya Sinwar zu fassen, der sich möglicherweise in der Stadt versteckt halte.
Satellitenbilder zeigen die sichtbaren Schäden und Zerstörungen, aber um deren wahres Ausmass beurteilen zu können, sind zusätzliche Technologien erforderlich. Zu diesem Zweck setzen die Forscher Haaretz zufolge Fernerkundungstechnologien ein, die Veränderungen der von den Gebäuden zurückkehrenden Signale untersuchen und anzeigen, ob sich ihr Zustand verändert hat.
Nach Angaben der US-amerikanischen Forscher Cory Scher vom Graduate Center der City University of New York und Jamon Van den Hoek von der Oregon State University sind am 9. März wahrscheinlich 53,2 Prozent der Gebäude im Bezirk Khan Yunis beschädigt oder zerstört worden.
Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass eine Überprüfung der Daten erst nach dem Ende des Krieges und nach einer detaillierten Untersuchung der einzelnen Gebäude vor Ort möglich sein wird.
Die nächsten Bilder zeigen einen weiteren Ort in der Stadt, an dem viele Gebäude völlig zerstört wurden.
Westliches Khan Yunis am 19. Januar im Vergleich zum 2. März. Bilder: Planet Labs PBC ©
Südliches Khan Yunis
Laut dem Gesundheitsministerium in Gaza hat der Krieg bisher mehr als 31’000 Menschenleben gefordert. Mehr als 73’000 Menschen wurden nach Angaben der örtlichen Behörden verletzt, und das Gesundheitssystem bricht unter der Last der Opfer und der Kämpfe zusammen.
Südliches Khan Yunis am 19. Januar im Vergleich zum 2. März. Bilder: Planet Labs PBC ©
In der Nähe des Nasser-Krankenhauses, eine der wichtigsten medizinischen Einrichtungen im Gazastreifen, die im oberen Teil des obigen Bildes zu sehen ist, fanden heftige Kämpfe statt.
Mitte Februar hätten die IDF das Krankenhaus auf der Suche nach Hamas-Aktivisten und Leichen von Geiseln gestürmt, so Haaretz. Die Armee habe erklärt, dass Tausende von Menschen aus dem Gazastreifen, die in der Nähe des Krankenhauses Zuflucht gefunden hätten, geflohen seien. Nach Angaben der UNO wurde das Krankenhaus durch die IDF-Aktivitäten ausser Betrieb gesetzt. Auch in diesem Fall sind viele Gebäude zu sehen, die in der Kampfzone dem Erdboden gleichgemacht wurden.
UN-Komplex im Norden von Khan Yunis
Hunderttausende von Menschen aus dem Gazastreifen sind aufgrund des Krieges aus ihren Häusern geflohen, ohne jede Möglichkeit dorthin zurückzukehren. Infolgedessen konzentrierten sich viele Gaza-Bewohner in und in der Nähe von UN-Unterkünften in Zelten, wo sie Schutz zu finden hofften. Das Foto unten zeigt eine der UN-Unterkünfte in Khan Yunis, in einem Gebiet, das die IDF Ende Januar zu räumen befahl. Das Satellitenbild zeigt nun, dass das Gebiet von Zelten geräumt ist. Viele dieser Vertriebenen sind in den Süden nach Rafah geflohen, wo sich inzwischen mehr als eine Million Menschen drängen, von denen viele verletzt sind und an Krankheiten leiden.
Das UN-Gelände im Norden von Khan Yunis. Bilder: Planet Labs PBC ©
In der Zwischenzeit dauern die Kämpfe in Khan Yunis an. Der Haaretz-Reporter Yaniv Kubovich – der Anfang dieser Woche ein von Katar finanziertes und errichtetes Viertel in Khan Yunis namens Hamad besuchte – berichtete, dass die überwiegende Mehrheit der Gebäude dort erheblich beschädigt ist und dass das Viertel «nicht mehr bewohnbar sein wird». Diese Schäden und Zerstörungen an den Gebäuden sind auf den Satellitenbildern noch nicht zu erkennen. Haaretz schliesst den Bericht folgendermassen:
«In vielen Gebieten des Gazastreifens, in denen die Kämpfe nach dem Abzug der IDF-Truppen eingestellt wurden, herrscht nun eine schwere humanitäre Krise, die im nördlichen Gazastreifen am akutesten ist. Der UN-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten im Gazastreifen und im Westjordanland, James McGoldrick, erklärte kürzlich, dass die Lage im Gazastreifen katastrophal sei und dass ‹Kinder an Hunger sterben›. Nach Angaben von UN-Experten steht der Gazastreifen am Rande einer Hungersnot, und im nördlichen Gazastreifen, wo die Lage besonders ernst ist, sind die Bewohner gezwungen, sich von Blättern und Tierfutter zu ernähren.»
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