Die weiße Taube gilt seit jeher als Symbol des Friedens. Seit einigen Jahren lässt sie wieder häufiger ihre Flügel schwingen – auf Demonstrationen, in den sozialen Medien und auf der Kleidung besorgter Bürger. In Zeiten fanatischer Kriegspolitik dreht sie am geistigen Firmament so manche Extrarunde, ist aber eigentlich schon seit der Corona-Krise im Dauereinsatz.
Als damals die Grundrechtseinschränkungen begannen, sahen nicht wenige in der Politik und der Art und Weise, wie große Teile der Gesellschaft mit ihnen umgingen, ebenfalls Züge eines Krieges, der seine vernichtende Kraft vor allem psychologisch entfaltete. In Reaktion darauf schickten pazifistisch gesinnte Menschen die Friedenstaube wieder auf ihre Mission, so wie Marie Finkl, eine Künstlerin aus Berlin, die sich multimedial ausdrückt.
Als gelernte Designerin entwarf sie schon in der frühen Protestphase Flyer, Aufkleber und Buttons, die sich auf je unterschiedliche Weise mit der damaligen Zeit beschäftigten. Es ging um Maskenzwang, Widersprüche in der Darstellung der Gefahrenlage oder um die Risiken der Impfung.
Diese und andere Themenaspekte wurden spielerisch verarbeitet, mal ironisch, mal sarkastisch – und manchmal sehr ernst. Was sie damals besonders aufwühlte, war der Umgang mit den Kindern. «Mein Sohn war damals neun Jahre alt, sodass ich aus nächster Nähe miterleben konnte, wie übergriffig die Politik handelte und welches Leid sie erzeugte», erklärt sie heute.
Friedenstaube, die im Dunkeln leuchtet
Jene Kleinwerke verteilte sie damals auf Demonstrationen. Dazu gehörte unter anderem ein Ansteckbutton mit einer Friedenstaube, die im Dunkeln leuchtet. «Ich habe sie sozusagen unter die Leute gestreut und auf die Reise geschickt, damit sie möglichst viele Menschen erreicht», sagt Finkl. Tatsächlich entstand durch diese Aktion ein ganzer Schwarm an Friedenstauben. Je mehr Menschen den Button ansteckten, desto lauter meinte man deren Gurren zu hören.
Werke von Marie Finkl
Finkls Friedenstauben-Button bekam nicht nur selbst Flügel, sondern machte auch eine leichte Metamorphose durch, indem er als Element in eine Kunstinstallation einging, die den Titel «Leuchte für den Frieden» trägt. Das Werk basiert auf Interaktionen mit den Betrachtern, die eingebunden und somit zu dessen Teil werden.
Erstmals präsentierte Finkl diese Arbeit im Rahmen der IAFF-Ausstellung «Make Art not War» im April letzten Jahres. Auf der Wand hing ein aus den Friedenstauben-Buttons geformtes großes Herz. Daneben befand sich eine Taschenlampe, die die Besucher auf das Bild richten konnten, um die Friedenstauben zum Leuchten zu bringen.
Mit der Installation wollte Finkl zum Ausdruck bringen, dass Frieden zunächst bei sich selbst, also im Kleinen beginnt. «Wenn ich mit mir selbst im Frieden bin, dann wird Frieden ansteckend und kann wachsen», sagt sie. Diese Bewegung wird in der Arbeit insofern nachgezeichnet, als sich aus den «kleinen» Buttons ein «großes» Herz ausformt.
Komplexe Informationen visuell auf den Punkt bringen
Warum sie auf ein altbekanntes Symbol zurückgreift, um sich künstlerisch auszudrücken, beantwortet Finkl damit, dass sie als gelernte Logo-Designerin die Ikonografie liebe. Ihr gefalle die «stilisierte Darstellung», sagt sie. «Mir macht es Spaß, komplexe Informationen visuell auf den Punkt zu bringen».
Im Zentrum ihres künstlerischen Schaffens stehe immer die Frage, wie ein Sachverhalt so reduziert werden könne, dass er hängenbleibe. Bei ihrem Friedenstauben-Button hat Finkl zudem unterschiedliche Transparenzen übereinandergelegt, um Bewegung hineinzubringen. Dadurch ist ein Flattereffekt entstanden, sodass der Eindruck entsteht, die Taube würde fliegen.
Bei der IAFF-Ausstellung im April 2024 nahmen die Besucher das interaktive Angebot an und malten mit der Taschenlampe in das Herz aus Friedenstauben eigene Bilder. Vor wenigen Wochen hing Finkls «Leuchte für den Frieden» im Berliner Café Sibylle, wo vier Wochen lang die Ausstellung «Ans Licht» der Künstlergruppe MAD zu sehen war.
Die Illuminierung ist jedoch nur eine Metapher, die Finkl mit ihren Arbeiten bemüht. Eine weitere ist die des «Aufwachens», womit man im Prinzip ebenfalls aus dem Dunkel des Schlafes ans Licht tritt.
«Wake-up»-Projekt
Seit der Corona-Krise hat sich diese Metapher in der außerparlamentarischen Opposition fest etabliert. Nicht wenige Regierungskritiker bezeichnen sich als aufgewacht, nachdem sie zuvor jahrelang geschlafen hatten. Gemeint ist damit, dass sie die mediale Manipulation nicht wahrgenommen und sich der Strukturen nicht bewusst waren, aus denen das heutige Herrschaftssystem besteht.
Finkl selbst startete kurz nach Beginn der Corona-Maßnahmen ein «Wake-up»-Projekt, um nach intensiver Recherche auch andere darauf aufmerksam zu machen, dass von SARS-CoV-2 eine geringere Bedrohung ausging, als in den Medien behauptet. Das gesellschaftliche Aufwecken erfolgte mittels jener Flyer, Buttons und Aufkleber und schloss sich ironischerweise an Finkls vorheriges «Sleep»-Projekt an, das aufgrund der Maßnahmenpolitik ein jähes Ende gefunden hatte.
Zu jener Zeit war sie in der Start-up-Szene aktiv und beschäftigte sich mit den unterschiedlichen Facetten des natürlichen Schlafes. «Insofern war ich ausgeschlafen, als die Corona-Politik begann, hatte einen klaren Kopf und konnte im Informationsdickicht gut durchsehen», erklärt sie.
Seitdem stehen die Themen Frieden, Freiheit und Wahrheitssuche im Zentrum ihrer Kunst. Diese beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Bereich der Bildsprache. Finkl hat unter anderem ein Hörstück unter dem Titel «Krieg für den Frieden?» produziert, das sich mit der Demonstration am 28.1.2021 auseinandersetzt, an der ein Polizist in Uniform teilnahm und daraufhin von seinen Kollegen festgehalten wurde.
Hörstück mit Video
Der Fall schlug damals bundesweit große Wellen. Der Polizist wurde kurz darauf suspendiert. Finkl hatte ihn zuvor auf einer anderen Demonstration in Berlin kennengelernt und begleitete ihn auch an jenem schicksalhaften 28. August 2021. Sie bekam die ganze Tragik aus nächster Nähe mit und verarbeitete ihre Erlebnisse in dem Hörstück, das als assoziative Rekapitulation im Fahrwasser eines Gedankenstroms daherkommt. Reflexionsfragmente mischen sich mit Kommentaren, die die verstörenden Erfahrungen einzuordnen versuchen:
«Schwarze Truppen. Kampfuniformen, entmenschlicht, RoboCops, Helme, Schlagstöcke, Pfefferspray, Pistolen, schwere Uniformen, übergroß, breitbeinig, Raupenstiefel. Wo ist der Unterschied zu Soldaten? Außer der Farbe? Gibt es noch Unterschiede? Macht, Aggression, Potenzial, Brutalität, Maschinenwesen. Dazwischen unsere kleine goldene Kuppel, Wahrheit, Frieden, Integrität, ein heiliger Space, so stark und so zerbrechlich. Im Drumherum unmenschlich, unwirklich, ferngesteuert, hirnamputiert, manipuliert, gebrainwasht, abgeschnittene Emotionen. Was sind das für Drogen? Funktionieren, Befehlsempfänger, ausführende Maschinen, Roboter, seelenlose Wesen, mächtig, sich selbstüberschätzend, – Werte? Wie kommt man zu so was? Was fühlen die? Ist das geil?
Ich stelle mir vor, ich bin einer von ihnen. Ich bin groß, breit, schwer, nehme Raum ein, fülle den Raum mit Präsenz, Macht und Stärke. Ich stehe da breitbeinig mit den Händen in den Hüften. Meine Ellbogen zeigen nach außen, verbreitern mich zusätzlich. Ich bin stark, unverletzlich, keiner kann mir was anhaben. Die dummen Demonstranten. So dünn, so klein, so verblendet. Ich fühle Verachtung. Ich fühle Erhabenheit, ich fühle meine Macht und meine Möglichkeit zu verletzen. Ich will verletzen. Weil ich es kann. Weil es einfach ist. Die Vernunft meldet sich, sagt ‹spinnst Du?›.»
Den Text geschrieben hat Finkl am Tag nach der Demonstration. Ein wenig später wurde das Hörstück produziert und schließlich auch das Video dazu – in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Sebastian Rost und dem Musiker Marcus Johannsen.
Arbeit an einem Musik-Album
Derzeit arbeitet Finkl an einem Album. Der erste Song ist bereits als Rough-Mix produziert und beschäftigt sich ebenfalls mit den Themen Frieden, Freiheit und Wahrheitssuche. Die Berliner Künstlerin verleiht ihm sehr viel Gefühl, so dass er als sanfte Ballade unter die Haut geht: «Wie weit wirst du geh’n», fragt sie gleich zum Auftakt, «Um die Wahrheit zu seh’n / Ist sie da zwischen den Zeilen / Oder hüllt sich im Mantel von Schweigen.» Solche Fragen setzen sich in den folgenden Strophen fort, bis Finkl schließlich einige Antworten liefert:
Wahr ist, was wir fühl’n
Ist es echt, können wir es spür’n
Wut wird zu Mut, wenn wir lieben
Und mit Wahrheit wird diese Liebe siegen
«Wie weit», so der Titel des Stücks, bewirkt beides: Es spendet Trost und macht Mut. Finkl animiert dazu, bei der Wahrheitssuche Fragen zu stellen und darüber zu reflektieren, wie mit der Informationsflut umgegangen werden soll. «Dazu gehört es auch, sich selbst zu hinterfragen», sagt sie. «Es geht darum, die Wahrheit nicht nur im Außen, sondern auch im Inneren zu suchen.» Habe Mut, zu dir selbst zu stehen und Verantwortung zu übernehmen – das ist die Botschaft, die Finkl mit ihrer Kunst sendet.