Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überrascht seit ihrem Amtsabtritt 2021 immer wieder einmal mit offenen Worten über die deutsche und die westliche Politik. So hatte sie 2022 in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit erklärt, die Minsker Abkommen von 2014/2015 – gedacht für die Lösung des Ukraine-Konfliktes – seien nur dazu da gewesen, der Ukraine Zeit zu verschaffen.
Die Minsker Abkommen scheiterten am Unwillen Kiews, die dabei eingegangenen Verpflichtungen umzusetzen. Für Merkel kein Problem:
«Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute.»
Kurz zuvor hieß es in einem Beitrag des Magazins Der Spiegel über sie: Sie glaube, bei den Verhandlungen von Minsk «die Zeit gekauft zu haben, die die Ukraine nutzen konnte, um sich einem russischen Angriff besser widersetzen zu können». Merkel sei sich sicher, dass das Land damals sonst «von Putins Truppen überrollt worden» wäre.
Keiner ihrer medialen Gesprächspartner fragte sie danach, warum Russland nicht bereits 2014 in die Ukraine einmarschiert sei, wenn diese damals so wehrlos gewesen sei und doch bereit war, zu verhandeln. Dafür bestätigten der ehemalige französische Präsident François Hollande und der ukrainische Ex-Präsident Petro Poroschenko als ebenfalls Beteiligte am Minsker Abkommen die Aussagen Merkels.
Vor zwei Jahren meinten viele, dass Merkel dies aus Opportunismus gesagt hätte, nachdem ihr vorgeworfen wurde, sie habe zu lange mit Russlands Präsident Wladimir Putin verhandelt und auch noch die Pipeline Nord Stream 2 gefördert. Doch das hat sich als Irrtum herausgestellt.
Nun hat die ehemalige Kanzlerin mit neuen Interview-Aussagen gewissermaßen bestätigt, dass die Ukrainer für westliche Interessen sterben. In einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der italienischen Zeitung Corriere delle Sera sagte sie zu möglichen Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland:
«Es kann nicht sein, dass Kiew allein entscheidet.»
Bei möglichen Verhandlungen dürfe nichts über den Kopf der Ukraine hinweg geschehen. Aber gleichzeitig meint Merkel, dass «die vielen Länder, die die Ukraine unterstützen, gemeinsam mit ihr entscheiden müssen, wann eine diplomatische Lösung mit Russland diskutiert werden kann».
Damit bestätigt sie nicht nur, dass die Legende von der Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine, die angeblich gegen Russland verteidigt wird, eben nur eine Legende ist. Das hatte kürzlich unter anderem der Vize-Generalsekretär der NATO, der deutsche Diplomat Boris Ruge, behauptet.
Die zig Milliarden, die der Westen bisher der Ukraine überwiesen hat, sind keine unentgeltliche Hilfe, auch wenn einige davon angeblich nicht zurückgezahlt werden müssen. Es sind Investitionen, die gesichert werden müssen – weshalb der Westen Russland nicht gewinnen lassen kann und Kiew nicht einfach so aufgeben darf.
Das wird durch Merkels Aussagen bestätigt. Die sagt in ihrem Interview auch, dass sie zwar immer dafür gewesen sei, mit Putin zu verhandeln. Aber zum einen nur, um der deutschen Wirtschaft billiges Gas zu sichern, und zum anderen, weil sie Russland helfen wollte, «damit auch dieses Land am Wohlstand teilhaben kann».
Die Ex-Kanzlerin erzählt den italienischen Journalisten, sie habe Putins wahre Ziele gekannt und gewusst, «dass wir es nicht mit einem Freund Europas zu tun haben». Mit ihren Gesprächen mit ihm habe sie auch die Invasion in die Ukraine verhindern wollen, behauptet sie. Das habe bis zum Februar 2022 funktioniert.
Putin habe versucht, Russland wieder zu einer Großmacht zu machen, und es nicht geschafft, es auf wirtschaftlichem Weg zu stärken und «Wohlstand für alle» zu erreichen. Dabei ignoriert Merkel offensichtlich den Aufschwung Russlands seit dem ersten Amtsantritt Putins nach den katastrophalen 1990er Jahren. Ihre typisch westlich geprägte Enttäuschung äußert sich so:
«Stattdessen versuchte er es mit den Methoden, die er im Geheimdienst, dem KGB, gelernt hatte, durch militärische Gewalt und russischen Nationalismus. Auf diese Weise haben sich viele Hoffnungen, die wir 1990 hatten, dass Russland allmählich den Weg der Demokratisierung beschreiten würde, nicht erfüllt.»
Die Rolle des Westens spielt bei ihr dabei keinerlei Rolle. Stattdessen spricht sie sich für «die doppelte Aktion, einerseits Gespräche und Kontakte, andererseits Abschreckung» aus. Dazu müsse Deutschland sein «Abschreckungspotenzial» weiter und schneller ausbauen, als es bisher geschah, wofür Merkel die SPD verantwortlich macht.
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