Ein Gesetz, das Kinder schützen will, könnte für Erwachsene zur digitalen Überwachung führen – das befürchten Kritiker des neuen Jugendschutzgesetzes (JSFVG), das ab 2026 vollständig in Kraft treten soll. Was harmlos klingt – Alterskontrollen auf Plattformen wie Netflix, Steam oder Instagram – könnte in der Praxis bedeuten: Ohne Ausweis kein Zugang mehr zum Internet. Und damit wird ein altbekanntes Thema wieder brisant: die elektronische Identität, kurz E-ID.
Schon bei der ersten Vorlage wurde die E-ID 2021 an der Urne wuchtig abgelehnt. Die neue Version, über die am 28. September 2025 abgestimmt wird, präsentiert sich als sicher, freiwillig und staatlich kontrolliert. Doch das Timing des neuen Jugendschutzgesetzes lässt aufhorchen: Wenn Plattformen künftig verlässlich das Alter ihrer Nutzer prüfen müssen – und gleichzeitig die E-ID «rechtzeitig» einsatzbereit ist –, liegt der Verdacht nahe, dass aus dem «freiwilligen» digitalen Ausweis rasch ein faktischer Zwang wird. Davon berichtet ein bereits älterer Artikel in der Konsumentenzeitschrift Beobachter.
Die Kritik kommt nicht nur von Bürgerrechtlern, sondern auch von Fachleuten. Datenschutzexperte Martin Steiger bezeichnete das Gesetz bereits Anfang 2024 als untauglich und potenziell gefährlich. Die Altersverifikation sei technisch nur durch Ausweisdaten möglich – und genau diese könnten von den Unternehmen gespeichert, ausgewertet und sogar weiterverkauft werden. Dass die Plattformen ihren Sitz oft im Ausland haben, wo Schweizer Datenschutzrecht nicht greift, verschärft das Problem zusätzlich.
Auch die Piratenpartei sieht das Gesetz als Einfallstor für eine umfassende digitale Identitätskontrolle. Ihr Präsident, Jorgo Ananiadis, spricht von einem schleichenden Ausbau der Überwachung, gegen den die Bevölkerung bisher kaum sensibilisiert sei. Ein Referendum gegen das Jugendschutzgesetz scheiterte zwar, doch die Debatte ist neu entfacht – auch wegen der E-ID-Abstimmung.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) versucht zu beschwichtigen: Eine Ausweispflicht sei nicht zwingend, es gebe auch andere Formen der Altersverifikation. Dennoch wird in der Verordnung zur Umsetzung des Gesetzes die E-ID ausdrücklich als bevorzugte Lösung genannt. Und BSV-Sprecherin Yvonne Haldimann betont selbst, man gehe davon aus, dass die E-ID «bis dahin nutzbar» sei – also spätestens 2026.
Für Kritiker wie den Piraten-Kampagnenleiter Pascal Fouquet ist das ein klarer Beleg: Die E-ID wird in den kommenden Jahren schrittweise zur Voraussetzung für verschiedenste Online-Dienste – ob bei Streamingplattformen, Games oder im E-Government. Und was heute noch als freiwillig beworben wird, ist morgen möglicherweise die einzige Eintrittskarte ins digitale Leben.
Während die Kritik am Gesetz zunimmt, ist das Lager der E-ID-Gegner tief zerstritten. Verschiedene Gruppierungen – darunter Mass-voll, die Piratenpartei und die neu gegründete Digitale Integrität Schweiz – verfolgen zwar dasselbe Ziel, sabotieren sich aber gegenseitig, wie am Donnerstag die Medien erneut berichteten. Der Konflikt eskalierte in persönlichen Feindseligkeiten, Strafanzeigen und öffentlicher Bloßstellung. Mass-voll-Präsident Nicolas Rimoldi sorgte mit einer Ohrfeige gegen einen EDU-Politiker für Schlagzeilen, während innerhalb der Piratenpartei ein Machtkampf zur Abspaltung ganzer Teile der Bewegung führte.
Diese internen Grabenkämpfe schwächen nicht nur die Glaubwürdigkeit der Bewegung, sondern auch ihre Wirkung nach außen. Ein geeinter, breiter Widerstand gegen E-ID und Ausweispflicht wäre für viele Stimmbürger wohl überzeugender gewesen. Stattdessen dominieren Misstrauen, Ego-Kämpfe und chaotische Kommunikation das Bild.
Die Verbindung zwischen dem neuen Jugendschutzgesetz und der geplanten E-ID ist offensichtlich – und dennoch wird sie in der öffentlichen Diskussion kaum thematisiert. Kritiker sehen darin Kalkül: Während der Fokus auf dem Kinderschutz liegt, bahnt sich ein grundlegender Wandel im digitalen Alltag an. Die Gefahr eines Überwachungsinstruments, das sich über Jahre hinweg zur Pflicht ausweitet, ist real – ob im öffentlichen oder privaten Sektor.
Wer sich eine Zukunft wünscht, in der freier Zugang zum Internet ohne digitale Identifikation möglich bleibt, muss diese Entwicklungen jetzt hinterfragen. Für viele E-ID-Gegner ist die Abstimmung vom 28. September deshalb mehr als ein Entscheid über ein technisches Mittel – es ist eine Richtungswahl über die digitale Freiheit in der Schweiz. Allerdings wäre die Referendumskampagne einfacher, wenn sich die Gegner nicht untereinander bekämpfen würden. Es dürfte knapp werden – jede Nein-Stimme zählt.
Wir haben schon hier darüber berichtet. Weitere Links im Beitrag.