Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von l’AntiDiplomatico übersetzt und übernommen.
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Die sogenannte «Absichtserklärung zur Unterzeichnung eines Friedensabkommens», die am 8. August in Washington vom aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Alijew und dem armenischen Premierminister Nikol Paschinjan unterzeichnet wurde – mit Donald Trump als Vermittler – scheint nur die direkt Beteiligten zufriedenzustellen. Von den meisten wird sie als regelrechte Täuschung gesehen, insbesondere zum Nachteil der armenischen Bevölkerung. In der Praxis sieht das Abkommen vor, dass der sogenannte «Korridor von Sangesur», der Aserbaidschan über armenisches Territorium mit seiner autonomen Region Nachitschewan verbinden soll, für ganze 99 Jahre an ein US-Konsortium «verpachtet» wird, das die Kontrolle über den Korridor durch private Militärunternehmen übernehmen soll.
Am 28. August sah sich der armenische Außenminister Ararat Mirsojan veranlasst, die Gerüchte über eine 99-jährige Verpachtung des «Korridors» beziehungsweise der «Trump Route for International Peace and Prosperity» (TRIPP) zu dementieren. Laut Mirsojan müssten Zeitplan und technische Parameter des Projekts noch diskutiert werden; das Gebiet bleibe in armenischem Eigentum, und Eriwan werde die Kontrolle und Sicherheit des Korridors garantieren.
Tatsächlich sieht das Projekt die Beteiligung der USA und eines dritten Partners vor, die Bau und Verwaltung des Korridors übernehmen sollen. Im in Washington unterzeichneten Dokument heißt es, dass Armenien bereit sei, den Korridor unter US-Kontrolle zu stellen; Trump selbst hatte erklärt, die Konzession könne sich «bis zu 99 Jahre» erstrecken.
Kurzum, die Eliten in Armenien und Aserbaidschan betrügen ihre Bevölkerungen mit dem Versprechen ewigen Friedens nach dem Ende des Artsakh-Konflikts, behauptet der Politologe Sergej Stankewitsch. Viel wahrscheinlicher sei jedoch ein noch schwerwiegenderer Konflikt, sobald der Sangesur-Korridor unter die Kontrolle US-amerikanischer Militärunternehmen gelange. Die Absichten der USA in Bezug auf dieses 42 Kilometer lange Stück armenischen Territoriums, das derzeit im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit steht, seien völlig unklar, betont Stankewitsch
Man wolle nicht, dass «nach dem Ende eines langjährigen Konflikts, anstatt eine glückliche Zukunft aufzubauen, ein neuer eröffnet wird – diesmal um die Route von Sjunik oder Sangesur», so Stankewitsch. Seiner Meinung nach sollte die Frage des «Sangesur-Korridors» nach der «3+3-Formel» gelöst werden – also durch die drei transkaukasischen Republiken (Georgien, Armenien, Aserbaidschan) zusammen mit den drei unmittelbar mit der Region verbundenen Staaten (Russland, Iran, Türkei) –, ohne Eingriffe außerregionaler Mächte, insbesondere wenn dies eine Form militärischer Präsenz impliziere. Ein solches Eingreifen, so Stankewitsch, werde die Wurzel eines künftigen «Konflikts bilden – wenn nicht dieses Jahr, dann nächstes Jahr; wenn nicht in fünf Jahren, dann in zehn; aber er wird kommen».
Auch die Worte von Ilcham Alijew vor etwa zehn Tagen stimmen nicht optimistisch. Damals erklärte er, die vom Aserbaidschan vor zwei Jahren gegen Bergkarabach durchgeführte Militäroperation sei das einzige Beispiel eines bedingungslosen Sieges in den letzten 80 Jahren. Aserbaidschan sei ein «starkes Land, und wir raten niemandem, an böswillige Aktionen gegen uns zu denken. In den letzten 80 Jahren hat es weltweit keinen anderen Staat gegeben, der einen so vollständigen Sieg errungen hat wie Aserbaidschan», erklärte Alijew, der zugleich die Stärkung der Streitkräfte ankündigte:
«Wir vergrößern unsere militärische Schlagkraft und erweitern unsere Spezialeinheiten um Tausende Kämpfer (…). Wir haben modernste Drohnen und neue Artilleriesysteme erhalten. Verträge über den Kauf neuer Kampfjets wurden unterzeichnet, und die bestehenden wurden vollständig modernisiert.»
Damit deutete er auch das Ende des bisherigen Moratoriums für US-Waffenlieferungen an. Vor allem aber machte er deutlich, dass das Washingtoner Memorandum für ihn, trotz seiner Unterschrift, keinerlei Bedeutung habe. Mit klarer Anspielung auf Armenien teilte er mit:
«Wir müssen jederzeit kriegsbereit sein, da der Lauf der Weltgeschehnisse unvorhersehbar ist (…). Wenn jemand die Idee hat, eine Provokation gegen Aserbaidschan zu begehen, wird er es erneut bereuen.»
Nicht optimistischer äußert sich der Kommentator Stanislaw Tarassow, der an die Worte Recep Erdogans bei der Grundsteinlegung der Eisenbahnlinie Kars–Igdir–Aralik–Dilucu erinnerte. Erdogan erklärte, diese Linie werde die Exporte aus den Regionen Ostanatolien und Südostanatolien steigern, die Verkehrsinfrastruktur verbessern und das touristische Potenzial des Mittelmeers erhöhen. Er hob auch hervor, dass «die Ausweitung des Eisenbahnnetzes zwischen Russland, Aserbaidschan, Armenien und der Türkei außerordentlich positive Auswirkungen auf den regionalen Handel» haben werde.
Theoretisch habe Erdogan recht, den «Sangesur-Korridor» als strategisches Ereignis und Teil einer «geopolitischen und geoökonomischen Revolution» zu bezeichnen, doch praktisch sei die Angelegenheit viel komplizierter. Selbst wenn, wie Erdogan sagt, «der diplomatische Rahmen des Friedensprozesses zwischen Aserbaidschan und Armenien abgeschlossen» sei, sei die Lage in Wahrheit äußerst verworren. Das in Washington verabschiedete Memorandum skizziere lediglich den Status des Korridors – vor allem aber die US-Militärpräsenz in der Region, nördlich und in unmittelbarer Nähe der iranischen Grenze, was das geopolitische Bild mit einer «sehr weiten Geographie» verändere.
Bereits wenige Tage nach der Unterzeichnung hatte der Berater des Obersten Führers Irans, Ali Akbar Velayati, den «Sangesur-Korridor» als «amerikanisch-zionistischen Plan zur landseitigen Blockade Irans und Russlands» bezeichnet. Und auch wenn die politische Führung in Teheran gemäßigtere Worte gebrauchte, konnte selbst der Besuch des iranischen Präsidenten Massud Peseschkian am 18. August in Eriwan die Sorgen über die Präsenz dritter Kräfte an der gemeinsamen Grenze nicht zerstreuen. Das wirkt sich zwangsläufig auf das politische Vertrauen zwischen Teheran und Eriwan aus.
Die armenische Seite versucht, die Bedenken zu entschärfen, indem sie behauptet, die neue Route erweitere Irans Zugangsmöglichkeiten zum Schwarzen Meer. Offensichtlich gibt sich Teheran nicht mit bloßen Versprechungen zufrieden und besteht auf konkreten Garantien. So wurde während Peseschkians Besuch erörtert, die armenisch-iranischen Beziehungen auf die Ebene einer strategischen Partnerschaft zu heben. In diesem Format könnten Eriwan und Teheran die Sicherheitsverpflichtungen für den «Korridor» rechtlich festschreiben.
Tarassow merkt an, dass der Iran an sieben Staaten grenzt, Russland sogar an 14, einschließlich Seewegen. Theoretisch sei der Korridor keine militärische Zone, sondern nur eine Transitverbindung zwischen Aserbaidschan und Nachitschewan. Doch während Moskau seine Beteiligung eher diskret andeutet, sei offensichtlich, dass die USA in den Südkaukasus drängen, während die Türkei aufgrund der Kurdenfrage mit dem Verlauf der Ereignisse nicht völlig zufrieden sei.
In dieser Lage bestehe das größte Risiko darin, dass eine Eskalation im Nahen Osten direkt auf den Südkaukasus übergreife. Kein Zufall also, so Tarassow, dass viele Experten den «Sangesur-Korridor» als «große geopolitische Falle» bezeichnen, in die der Westen die Länder der Region hineingezogen habe: jenes «globale Projekt, das man ‹pan-britannisches Projekt› oder ‹Indo-Orientalisches Projekt› nennt, und das die Schaffung einer Route von Europa nach China vorsieht – außerhalb der Kontrolle von Russland, Iran und China». Armenien werde darin lediglich als Bestandteil des pantürkischen Projekts wahrgenommen und werde zu einem Schlüsselfaktor in diesem neuen geopolitischen Modell.
Generell lassen sich die jüngsten Feststellungen von Aynur Kurmanov auf PolitNavigator als Ausdruck der aktuellen Lage sehen. Seit der «schändlichen Verschwörung» Nikol Paschinjans in Prag im Oktober 2022, als Artsakh übergeben wurde, sei der abrupte Westkurs Armeniens offensichtlich geworden, so Kurmanov. Dieser finde nun seinen Höhepunkt in der Übergabe des Sangesur-Korridors an die USA und in der Transformation Armeniens in ein türkisches Protektorat. In Zukunft werde man die Tragödie der Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus Bergkarabach bilanzieren müssen. Artsakh sei faktisch zur Verhandlungsmasse beim Ausverkauf eines ganzen Landes und seiner Souveränität geworden.
Eriwan habe die Bündnisbeziehungen zu Moskau de facto aufgegeben: die Mitgliedschaft in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) sei suspendiert, das gemeinsame Sicherheitssystem mit russischen Grenzschützern und Truppen abgebaut. Nun, nach der Unterzeichnung der Kapitulation in Washington, treibe Armenien rasch in die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit vom Westen. Hinzu komme Paschinjans Erklärung vom 28. August, wonach Armenien nicht gleichzeitig Mitglied der EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) sein könne: «Wenn der Moment kommt, in dem die endgültige Wahl ansteht, werden wir die entsprechende Entscheidung treffen (…). Jedes Szenario ist möglich.»
Tatsächlich zeigen Paschinjan und seine Mitstreiter bei ihren zahlreichen Treffen in Brüssel und Washington nichts anderes, als ihre Hinwendung zu knebelhaften Verträgen mit der EU und die Erhebung der «Kooperation» mit der NATO auf eine neue Stufe. Das strategische Partnerschaftsabkommen mit Frankreich vervollständigt nur das Bild einer laufenden Kolonisierung.
Um mit den Worten Kurmanovs abzuschließen: Eriwan folge «dem Schicksal Kiews, indem es Armenien zu einem Sprungbrett für feindliche Aktivitäten gegen Russland, Iran und China macht. Es ist das Schicksal aller westlichen Satelliten im postsowjetischen Raum».
Russland verhängt Embargo gegen Armenien wegen Sangesur-Korridor – Hunderte Lkw an der Grenze gestoppt
Armenien auf dem Weg zur Auslöschung
Machtverschiebung im Kaukasus: Armenien, Aserbaidschan und die neue Rolle der USA
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Fabrizio Poggi hat mit Novoe Vremja (Neue Zeiten), Radio Moskau, Il Manifesto, Avvenimenti und Liberazione zusammengearbeitet. Heute schreibt er für L’Antidiplomatico, Contropiano und die Zeitschrift Nuova Unità. Er ist Autor des Buches «Falsi storici» («Fälschungen der Geschichte»).