«Forscher warnen vor Millionen Infizierten in der Schweiz» überschreibt das SRF einen am 29. April 2020 erschienenen Artikel. Die Rede ist von einer zweiten Coronavirus-Welle, deren Ausmass ein internationales Forscherteam um Joseph Lemaitre und Jacques Fellay von der Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) hochgerechnet hat. Sie prognostizieren für den Sommer zwischen 5000 und 20’000 Corona-Tote in der Schweiz.
Heikel ist die Doppelrolle von Fellay: Er ist zugleich Mitglied der bundesrätlichen Task Force. Seine Meinung wird die Entscheidungen des Bundesrats mit beeinflussen.
Fellay geht von einer uniformen Empfänglichkeit der Schweizer Bevölkerung für eine Corona-Infektion aus, obwohl bereits eine gewisse (wenn auch unbekannte) Zahl an Menschen die Infektion durchlaufen hat und so mutmasslich eine natürliche Immunität besitzt.
Lemaitre und Fellay gehen von einer sehr hohen R0-Reproduktionsrate von 2,76 aus, die aus den bis dato erhobenen epidemiologischen Daten folgt, die aber nicht belastbar sind. Prof. Christof Kuhbandner von der Uni Regensburg hat an den Beispielen Italien und Deutschland gezeigt, wie dramatisch der Anstieg der Infektionsfälle überschätzt wurde, weil die stark gestiegene Testzahl pro Tag unberücksichtigt blieb.
Die Autoren bestätigen die Unsicherheit der Reproduktionsrate.
Weil die Autoren jedoch davon ausgehen, dass alle Infizierten auch krank werden, errechnen sie eine zu hohe Hospitalisations- und Todeswahrscheinlichkeit. Zudem gehen die Autoren mit einer über alle Altersstufen hinweg uniformen Sterbewahrscheinlichkeit aus. Misst man diese Modellrechnung an der Realität, nämlich an den heute bekannten Zahlen für April, zeigen sich auffällige Diskrepanzen.
Die Grafik zeigt die von Lemaitre und Fellay für den Monat April hochgerechnete Sterbewahrscheinlichkeit (blaue Kurven) mit den tatsächlichen Sterbezahlen (schwarz).