Es werde «von Tag zu Tag schlimmer», sagt der serbische Präsident Aleksandar Vucic mit Blick auf den Krieg in der Ukraine gegenüber der Schweizer Wochenzeitung Die Weltwoche. Aus seiner Sicht würden die meisten anderen «gerne den Sieg der einen oder anderen Seite sehen», während er «gern Frieden sehen» würde.
In dem Interview, abgedruckt in der aktuellen Ausgabe des Blattes (als Video hier), zeigt sich Serbiens Präsident besorgt angesichts der Entwicklung in der Ukraine:
«Wir sehen den finsteren Endpunkt all dessen, was in der Ukraine geschieht, wenn die Großmächte nichts tun. In einem kurzen Zeitraum, ja, da bin ich mir ziemlich sicher, werden wir eine echte Katastrophe erleben.»
Vucic warnt vor den Folgen der westlichen Eskalationsschritte wie der Freigabe westlicher Waffen für ukrainische Angriffe auf russisches Territorium. Das könne «zu einer weiteren Verschärfung der Situation beitragen», die niemandem helfe.
Er kritisiert zwar den russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022, wendet sich aber gegen vereinfachende Erklärungen in Bezug auf die Ursachen. Die seien «viel komplexer als kompliziert». Zugleich fragt er:
«Was haben die Westmächte 1999 und 2008 mit Serbien gemacht?»
Russlands Präsident Wladimir Putin habe auf den Präzedenzfall Kosovo hingewiesen. Auf diesen gebe der Westen keine Antwort, so Vucic, der in dem Zusammenhang die westliche Doppelmoral kritisiert. Es werde viel über das internationale Recht sowie die UN-Charta gesprochen, aber nicht darüber, wie der Westen das ignoriert habe.
«Was die Situation noch komplizierter macht, ist die Tatsache, dass alle nur vom Krieg sprechen. Niemand will den Frieden erreichen. Niemand spricht über Frieden. Frieden ist fast ein verbotenes Wort geworden.»
Er finde es «sehr merkwürdig, dass niemand versucht, den Krieg zu beenden», sagt der serbische Präsident. Er verweist darauf, dass der Westen glaubt, er könne leicht gegen Putin gewinnen, und Russland in der Ukraine erschöpfen wolle. Die westliche Überlegung sei, dann werde «Russland auf dem heutigen Territorium und in der heutigen Form nicht mehr existieren, und Putin wird gestürzt werden und so weiter».
Gegen Kriegstreiberei
Doch damit würden Russland und Putin unterschätzt, so Vucic. Er wende sich gegen die allgemeine Kriegshysterie und habe sich auch gegen Kriegsforderungen in Serben angesichts der kosovo-albanischen Attacken gegen die Serben im Kosovo ausgesprochen.
Im heutigen Europa würden sich «alle wie große Helden» benehmen, aber ihren Bevölkerungen nicht sagen, «dass sie einen sehr hohen Preis zahlen werden». Stattdessen sollten die westlichen Politiker «absolut alles tun, um jede Art von Kriegstreiberei zu stoppen», fordert Serbiens Präsident. Doch diese würden nur an ihre eigenen Interessen denken.
Vor den Versuchen, Russland in der Ukraine zu besiegen, sollte nach seiner Vorstellung versucht werden, «einen Waffenstillstand zu erreichen, um dann über zehn, zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahre zu verhandeln, egal, wie lange. Das ist besser als ein Tag erbitterten Kampfes, wie wir es heute erleben.»
Vucic warnt vor den Folgen der verhärteten Positionen auf beiden Seiten, die dazu führten, dass der kollektive Westen sich ebenso wie Russland keine Niederlage in dem krieg leisten könnten.
«Alles steht für beide Seiten auf dem Spiel. Keiner kann sich eine Niederlage leisten. Deshalb habe ich öffentlich gesagt und es nicht verschwiegen, dass wir einer echten Katastrophe näher kommen.»
Er fragt, wer bereit sei, Millionen Menschen durch einen Krieg zu verlieren und gibt eine eigene Antwort: «Ich bin nicht bereit, einen einzigen Mann zu verlieren, und wir werden uns daran nicht beteiligen.»
Slawische Katastrophe
Den Krieg in der Ukraine bezeichnet er als «katastrophale Situation für die slawischen Völker». Die Ukrainer seien ebenfalls ein slawisches Volk und ihre Sprache dem Serbischen sehr ähnlich, «ähnlicher als der russischen».
Es habe zwei «große Gelegenheiten» für eine Friedenslösung in der Ukraine gegeben, erklärt der serbische Präsident. Das seien zum einen die ukrainisch-russischen Verhandlungen im Frühjahr 2022 gewesen. Die andere Gelegenheit habe es durch die ukrainische Gegenoffensive im Herbst 2023 gegeben, sagt Vucic.
«Doch niemand wollte es tun, weil jeder dachte, das Momentum sei auf seiner Seite.»
Heute seien die Beteiligten «sehr, sehr weit davon entfernt, eine Einigung zu erzielen». Das sehe auch der chinesische Präsident Xi Jinping so, mit dem er kürzlich gesprochen habe.
Vucic will nicht von einem drohenden Dritten Weltkrieg sprechen, sieht aber eine «große Konfrontation» herannahen:
«Ich glaube, dass wir davon nicht mehr weit entfernt sind. Nicht länger als drei oder vier Monate. Und es besteht die Gefahr, dass dies schon vorher geschieht.»
Er würde gern beide Seiten an einem Verhandlungstisch sehen, erklärt der serbische Präsident. Zugleich rechnet er damit, dass es aufgrund der globalen Veränderungen und Kräfteverschiebungen zu Konflikten, Zusammenstößen, «vielleicht großen Kriegen» kommen kann.
Westen auf Feindsuche
Er sehe keine Möglichkeit, wie das verhindert werden könne. Deshalb habe er «alle Daten über unsere Ölreserven, über Zucker bis hin zu Salz und allem anderen» überprüfen lassen, «denn ich weiß nicht, was die Zukunft für uns alle bringen wird».
Angesprochen auf das Verhältnis zu China, das unter anderem in Serbien investiert, erklärt Vucic:
«Viele Menschen im Westen tun ihr Bestes, um so viele Gegner und so viele Feinde zu produzieren, wie man sich das bisher nicht vorstellen konnte.»
Beide Länder seien gut miteinander befreundet, was sich auch nicht ändern solle. Ebenso äußert sich der Präsident zur westlichen Kritik an seiner Politik in Sachen Demokratie und verwiest dabei auf die zunehmende mediale Zensur in der EU. Er stellt die Frage, wer Demokratie definiere, und macht auf etwas aufmerksam:
«Wenn niemand sieht, dass es eine Demokratie ist, schreiben sie mit Leuchtschrift darunter: Wir sind die Demokratie! Ihr seid es nicht, und das war’s.»
Im Interview macht er auch darauf aufmerksam, dass die Menschen in Serbien die westliche Doppelmoral im Zusammenhang mit dem Kosovo und der Ukraine «hassen». Die westliche Politik verweigere Kompromisslösungen in beiden Fällen, was dazu führe, dass der notwendige Dialog nicht erfolge.
Der serbische Präsident kritisiert zudem, dass die westlichen Staaten die Uno-Strukturen benutzen, «um Länder zu bestrafen, die sich bestimmten geopolitischen Interessen widersetzen». Das sagt er mit Blick auf die jüngste UN-Resolution zum angeblichen Völkermord in Srebrenica 1995.
Er habe in Debatten dazu darauf hingewiesen, dass das kein Beitrag zur Versöhnung sei. Zum anderen gebe es keine ähnliche Resolution zu den aktuellen Ereignissen in Gaza. Ihm sei dazu deutlich gemacht worden:
«Um zu zeigen, dass wir die Muslime nicht hassen, gehen wir gegen die Serben vor, denn gegen Israel können wir nicht vorgehen.»
Aus seiner Sicht sind «eine Menge Veränderungen in der Welt» notwendig, «um die Situation zwischen den Nationen zu beruhigen. Das ist von größter Bedeutung, und es ist höchste Zeit.»
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