Im Jahr 2016 wagte Jo Nemeth einen radikalen Schritt: Sie entschied sich, das Geld hinter sich zu lassen – vollständig. Keine Einkünfte, kein Konto, keine Rücklagen. Stattdessen: ein Leben im Einklang mit der Natur, in Gemeinschaft mit anderen Menschen, und weit entfernt von der hektischen Welt des Konsums.
Der entscheidende Moment kam an Weihnachten 2016. Nemeth war zu Besuch bei ihrer Freundin Brodie, deren Ehemann vor Kurzem verstorben war. Gemeinsam sammelten sie in der Nacht vor dem Fest weggeworfenes Essen und verwertbare Dinge aus dem Abfall lokaler Geschäfte.
«Wir fanden Blumen, köstliches Essen, Dinge, die kaum abgelaufen waren – das war ein Augenöffner», erinnert sich Brodie.
Für Nemeth war das der Beginn eines völlig neuen Lebens. Sie hatte bereits ein Jahr zuvor ihren Job gekündigt und ihr Bankkonto geschlossen – mit 46 Jahren.
«Ich hatte einen guten Job, einen liebevollen Partner – und war trotzdem tief unglücklich», sagt Nemeth.
Trotz ethischen Konsumverhaltens und einem Leben im materiellen Wohlstand fühlte sie sich zunehmend entfremdet vom Wirtschaftssystem. Sie spürte, dass ihre Lebensweise Teil eines globalen Problems war – für Umwelt und Gesellschaft gleichermaßen. Die Lektüre des Buches The Moneyless Man von Mark Boyle gab schließlich den Ausschlag. Der Gedanke, komplett ohne Geld zu leben, ließ sie nicht mehr los.
«Ich dachte: Mein Gott, das ist es! Ich muss das tun.»
Sie begann, ihre tatsächlichen Bedürfnisse aufzuschreiben – und stellte erstaunt fest, wie wenige Dinge sie zum Leben wirklich brauchte. Nach und nach strich sie Dinge von der Liste, suchte Wege, um ihre Grundbedürfnisse nachhaltig zu decken – ohne Geld und ohne schädliche Auswirkungen auf andere.
Heute, zehn Jahre später, ist Jo Nemeth 56 Jahre alt. Sie besitzt weder ein Haus noch andere Wertgegenstände. Sie lebt nicht von Spenden oder staatlichen Hilfen. Ihr Alltag spielt sich in einem kleinen Kollektiv ab, in dem sie mithilft zu kochen, Gemüse anzubauen und sich um ihre Mitmenschen zu kümmern.
«Ich fühle mich heute sicherer als damals, als ich noch arbeitete», sagt sie.
«Echte Sicherheit kommt nicht von Geld – sie entsteht durch Gemeinschaft.»
Nemeth spricht von einem «sozialen Kapital», das sie sich erarbeitet hat: Sie hilft Kranken, betreut Kinder, gärtnert für Nachbarn – und erhält im Gegenzug Unterstützung und Zugehörigkeit.
Wenn doch einmal Geld benötigt wird – etwa für Zahnarztkosten – nutzt sie kreative Lösungen: Über GoFundMe startete sie eine Spendenkampagne. Doch statt bloß zu bitten, bietet sie im Gegenzug kleine Workshops an – etwa zur Herstellung von Tofu oder Apfelessig.
Jo Nemeths Geschichte ist keine Flucht aus der Realität – sie ist ein bewusster Gegenentwurf zu einem System, das für viele zur Belastung geworden ist. Sie lebt radikal einfach, aber nicht asketisch. Sie lebt bewusst, aber nicht zurückgezogen.
Was für manche wie Verzicht aussieht, ist für sie der Weg zu echter Freiheit – und zu einem Leben, das erfüllt ist von Zeit, Beziehungen und echtem Miteinander.
«Ich habe gelernt, dass ich nicht viel brauche, um glücklich zu sein. Und dass das, was ich geben kann, wertvoller ist als jedes Geld.»
Kommentare