In seinem Beitrag für das Medium The Free Press beschreibt Jay Bhattacharya, Professor für Gesundheitspolitik an der Stanford University School of Medicine, zunächst, wie er Anfang der 1970er im Alter von vier Jahren von Indien nach Amerika kam. Und was ihn dort seinerzeit besonders fasziniert hätte, sei das Freiheitsgefühl und vor allem auch die Möglichkeit gewesen, frei zu reden.
«Meine Eltern hatten mir beigebracht, dass die Menschen hier die Regierung kritisieren können, selbst wenn es um Leben und Tod geht, ohne dass sie sich Sorgen machen müssten, dass sie zensiert oder unterdrückt werden. Aber in den vergangenen drei Jahren ist das, was mir beigebracht wurde, verloren gegangen. Amerikanische Regierungsbeamte, die mit grossen Technologieunternehmen zusammenarbeiten, haben das, was ich und Kollegen von mir über die Pandemiepolitik äusserten, angegriffen und unterdrückt. Und das, obwohl sich unsere Kritik als vorausschauend erwiesen hat.»
Der Schlamassel für Bhattacharya begann am 4. Oktober 2020, als er und seine Kollegen – Martin Kulldorff, Medizinprofessor an der Harvard University, und Sunetra Gupta, Epidemiologin an der University of Oxford – die Great Barrington Declaration veröffentlichten. Darin forderten sie ein Ende von ökonomischen Lockdowns, von Schulschliessungen und von ähnlichen restriktiven Massnahmen, und zwar mit der Begründung, dass sie jungen und wirtschaftlich benachteiligten Menschen unverhältnismässig grossen Schaden zufügen würden, während sie der Gesellschaft als Ganzes nur begrenzten Nutzen brächten.
Zehntausende von Ärzten und Wissenschaftlern des öffentlichen Gesundheitswesens unterzeichneten diese Erklärung. «Rückblickend ist klar, dass diese Strategie richtig war», so Bhattacharya. «Schweden, das zum grossen Teil auf Lockdowns verzichtete und sich nach anfänglichen Problemen auf den gezielten Schutz der älteren Bevölkerung konzentrierte, gehörte zu den Ländern Europas mit der niedrigsten altersbereinigten Übersterblichkeit und verzeichnete auch keinen Lernverlust bei Grundschulkindern.»
Belege für die Richtigkeit der Great Barrington Declaration gebe es laut Bhattacharya zu Hauf. Dazu gehöre auch der Vergleich zwischen Florida und Kalifornien. So verzeichnete der Ostküstenbundesstaat, der relativ wenige Massnahmen ergriffen hatte, eine niedrigere kumulative altersbereinigte Übersterblichkeit als das von Lockdownmassnahmen besessene Kalifornien.
Doch von hohen Regierungsbeamten wie Anthony Fauci oder Deborah Birx, unter Trump die Coronavirus-Reaktionskoordinatorin, sei die Declaration als eine Art Ketzerei betrachtet worden.
Nur vier Tage nach der Veröffentlichung der Erklärung hätte der damalige Direktor der Gesundheitsbehörde National Institutes of Health, Francis Collins, eine E-Mail an Fauci geschickt mit dem Anliegen, eine «vernichtende Beseitigung» der Erklärung zu organisieren, so Bhattacharya.
Und «unmittelbar danach zensierten Social-Media-Unternehmen wie Google, YouTube, Reddit und Facebook Texte aus der Erklärung», so der Stanford-Professor. «Wie aus dem Bericht von The Free Press über die Twitter-Files hervorgeht, setzte mich Twitter 2021 auf die schwarze Liste, weil ich einen Link zur Great Barrington Declaration gepostet hatte. YouTube zensierte ein Video eines öffentlichen politischen Roundtable-Gesprächs von mir mit Floridas Gouverneur Ron DeSantis, weil ich das Verbrechen begangen hatte, ihm zu sagen, dass die wissenschaftlichen Beweise dafür, dass es Sinn mache, Kindern eine Maskenpflicht aufzuerlegen, schwach seien.»
Im August 2022 hätten er und seine Kollegen dann aber die Möglichkeit gehabt, sich zu wehren. Die Generalstaatsanwälte von Missouri und Louisiana hätten ihn gebeten, als Kläger bei ihrer Klage gegen die Regierung Biden aufzutreten. «Ziel der Klage war es, die Rolle der Regierung bei dieser Zensur zu beenden und das Recht auf freie Meinungsäusserung für alle Amerikaner auf dem digitalen Marktplatz wiederherzustellen», so Bhattacharya.
Die Anwälte im Fall Missouri gegen Biden befragten folglich unter Eid Vertreter vieler Bundesbehörden, die an den Zensurbemühungen beteiligt waren, darunter auch Anthony Fauci.
«Die umfassende Aufdeckung des E-Mail-Verkehrs zwischen der Regierung und Social-Media-Unternehmen zeigte eine Regierung, die bereit war, ihre Regulierungsbefugnisse gegen Social-Media-Unternehmen einzusetzen, die den Zensurauflagen nicht nachkamen», betont Bhattacharya.
Der Fall enthülle, dass ein Dutzend Bundesbehörden – darunter die US-Seuchenbehörde CDC, das Office of the Surgeon General und das Weisse Haus von Biden – Druck auf Social-Media-Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter ausübten, um selbst faktisch solide belegte Äusserungen zu zensieren und zu unterdrücken, wenn sie der Corona-Politik des Bundes widersprachen.
So hätte, wie Bhattacharya berichtet, das Weisse Haus im Jahr 2021 Social-Media-Unternehmen mit schädlichen regulatorischen Massnahmen gedroht, wenn sie nicht Wissenschaftler zensierten, die die nachweisliche Tatsache teilten, dass die Covid-«Impfstoffe» nicht verhindern, dass Menschen Covid bekommen.
Und Bhattacharya weiter:
«Am Unabhängigkeitstag dieses Jahres erliess Bundesrichter Terry Doughty eine einstweilige Verfügung in diesem Fall und wies die Bundesregierung an, die Social-Media-Firmen nicht länger zu zwingen, geschützte freie Meinungsäusserungen zu zensieren. In seiner Entscheidung verglich Richter Doughty die Zensurinfrastruktur der Regierung mit einem Orwellschen Wahrheitsministerium. In seinem Urteil prangerte er das riesige staatliche Zensurunternehmen an, das den Social-Media-Firmen vorschreibt, wer und was sie veröffentlichen dürfen.»
Die Regierung hätte dagegen Berufung eingelegt, da sie der Überzeugung gewesen sei, dass sie die Macht haben sollte, wissenschaftliche Äusserungen zu zensieren. Doch am 8. September, so Bhattacharya, «stellte ein dreiköpfiges Gremium des US-Berufungsgerichts für den Fünften Bezirk einstimmig eine modifizierte Version der einstweiligen Verfügung wieder her und forderte die Regierung auf, Social-Media-Unternehmen nicht länger für ihre Zensurarbeit zu benutzen».
Bhattacharyas Fazit:
«Die Entscheidung ist nicht perfekt. Einige Einrichtungen, die im Zentrum des staatlichen Zensurunternehmens stehen, können sich immer noch organisieren, um freie Rede zu unterdrücken. Aber die Botschaft ist eine gute: Die Bundesregierung kann Social-Media-Unternehmen nicht mehr mit der Zerstörung drohen, wenn sie nicht im Namen der Regierung zensieren.»
Die Biden-Administration werde gegen das Urteil sicherlich in Berufung gehen, ist der 55-Jährige überzeugt. Doch selbst wenn dies geschehe, sei er «guter Hoffnung, dass er dann obsiegen wird».
Zu seinem «einfachen Glauben und dem naiven Vertrauen», das er als junger Mensch in Amerika hatte, könne er allerdings nicht mehr zurückkehren. «Unsere Regierung ist nicht immun gegen den autoritären Impuls», so Bhattacharya.