Es herrscht Kriegsstimmung in Europa. Was auf dem hiesigen Kontinent droht, ist in Afrika seit jeher Normalität. Daran erinnert der Roman von Paul Soldan. Darin beschreibt der Autor den Kreislauf von Krieg und sendet eine Friedensbotschaft, die momentan wichtiger denn je ist.
In den westlichen Staaten greift wieder die Kriegspropaganda um sich. Allenthalben ist von einer angeblichen Gefahr für die Sicherheit Europas zu hören. Als möglicher Aggressor und Angreifer wird Russland in Stellung gebracht. Es wird dämonisiert und gewarnt. Verteidigungsminister, vermeintliche Experten und Generäle fordern höhere Militärausgaben, sie sprechen von «Wehrhaftigkeit» und «Kriegstüchtigkeit». Sie sind Dauergäste in Nachrichtensendungen und Talkshows.
Und wenn ein Rüstungskonzern wie Rheinmetall zum Spatenstich einlädt, darf die Politprominenz ebenfalls nicht fehlen. Dann werden medienwirksam Bomben gestreichelt, als handelte es sich beim Krieg um ein heiteres Gesellschaftsspiel, das Glücksgefühle auslöst. Einen Kontrapunkt zu diesem testosterongeladenen Säbelrasseln setzt Paul Soldan mit seinem Roman «Sheikhi». Erschienen ist er im Anderwelt Verlag, der sich zur Aufgabe gemacht hat, «die Menschen aufzuklären, nachvollziehbare Fakten und Tatsachen zu liefern».
Soldans Werk präsentiert die Fakten und Tatsachen in fiktionaler Form. Der Autor veranschaulicht darin den Teufelskreis von Krieg und beschreibt die Mechanismen, die ihn am Laufen halten. Die Handlung wird nach Afrika verlegt, auf einen Kontinent, wo Krieg bis heute zum Alltag gehört. Als tragende Figur tritt ein Imam mit dem Spitznamen Sheikhi auf. Das geistliche Oberhaupt eines Dorfes am Rande des Regenwaldes zieht sich regelmässig an einen versteckten Ort zurück, bis ihm dessen Zögling Abanga folgt.
Lösung auf der Metaebene
Der Junge steht kurz davor, wie so viele in seinem Alter in einen weiteren Krieg zu ziehen. Um ihn davon abzubringen, lüftet der Titelheld sein Lebensgeheimnis. Er verwickelt Abanga in ein mehrtägiges Gespräch, das auf der Metaebene eine Lösung bietet, wie sich der Kreislauf von Krieg und Verderben überwinden lässt.
Diese Rahmenhandlung nutzt Soldan, um Sheikhi über weite Strecken als Erzähler auftreten zu lassen. Wie seinen Zögling führt dieser auch die Zuschauer narrativ in die Zeit seiner Jugendtage, als er noch selber als Söldner von einem Krieg in den nächsten zog. In diesem Verlauf lösen sich ereignis- und abenteuerreiche Episoden ab, in denen Schlachten gewonnen und verloren werden, in denen auf Hoffnungen Enttäuschungen folgen, in denen der Titelheld auf interessante Menschen trifft und allerlei Weisheiten lernt.
Für den Titelhelden werden die Jahre des Krieges zu einer Bildungsreise. Er macht eine charakterliche Entwicklung durch, die in der Erkenntnis kulminiert, dass die ständigen Kampfhandlungen ihn seiner Zukunft berauben, so ehrenvoll die Beweggründe sein mögen. Wohlklingende Worte wie Mission, Freiheit und Gerechtigkeit verlieren ihren Glanz, nachdem sie jahrelang als Antriebsfeder gedient haben.
«Und insgeheim hasste ich auch mich selbst und das, was aus mir geworden war», lautet eine zentrale Passage. «Über Frieden hatte ich eine Ewigkeit nicht mehr gesprochen oder gar nachgedacht. Genauso hatte ich die Versuche aufgegeben, meine Kameraden von diesem zu überzeugen. Unsere Rettungsmission war ein für alle Mal gescheitert, und ich persönlich hatte darüber hinaus auf ganzer Linie versagt.»
Wald als Symbol für Kooperation und natürlich Kreisläufe
Der Lebenswelt des Krieges wird in dem Roman der Wald entgegengesetzt. Er fungiert als ein geradezu utopischer Ort, als einer, der vitalisierende Kräfte freisetzt. Soldan führt ihn als Symbol für Kooperation und natürliche Kreisläufe ein, um auf allegorischer Ebene den Ausweg zu zeigen.
Der Wald, heisst es, «hat sich eine perfekt funktionierende Ordnung geschaffen, in der sich alles im Gleichgewicht befindet. Die Grundlage dieser Ordnung ist Kooperation. Alle Lebewesen im Wald wirken zusammen und profitieren dadurch voneinander. Noch das kleinste Geschöpf hat dort seinen Platz und seine Aufgabe. Der Wald braucht in diese Ordnung nicht einzugreifen. Wir sollten es ebenso lernen, nicht überall einzugreifen. Im Grunde brauchen wir nichts anderes zu tun, als einfach zu leben».
Während Sheikhi seine Lebensgeschichte erzählt, übertragen sich dessen Weisheiten auf Abanga. Der Junge macht ebenfalls eine charakterliche Wandlung durch und unterstreicht dies am Ende des Buches, als es zu einem tragischen Zwischenfall kommt. Mit ihm wird zugleich die Kernbotschaft gesendet: Frieden lässt sich nur durch Verständnis und Verständigung erreichen.
Ein afrikanisches Märchen mit hohem Aktualitätsgrad
Dafür ist eine bestimmte Haltung notwendig. Die Figuren in Soldans Roman müssen sie erst entwickeln; sie müssen erst durch die Wirren des Krieges gehen, um zu begreifen, dass die Ursachen und Lösungsansätze nicht ausserhalb des eigenen Ichs liegen, sondern in diesem selbst.
«Ein afrikanisches Märchen» hat Soldan seinen Roman genannt. Märchenhaft mutet es tatsächlich an, zumindest in Anbetracht der Vorstellung, dass der Krieg vom Erdball komplett verschwinden könnte. Von so einem Zustand muss aber geträumt werden, und die Lektüre von «Sheikhi» bietet dafür eine formidable Grundlage.
Der Roman ist hochaktuell und gewinnt vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Aufrüstungseuphorie an Bedeutung, zumal er nicht nur Themen wie Hass, Freundschaft, Verrat und Nächstenliebe behandelt, sondern auch zeigt, dass unterschiedliche Sprachen, Ethnien und Religionen koexistieren können, ohne Konflikte hervorzubringen.
Tolstois «Krieg und Frieden» dürfen die Leser zwar nicht erwarten, dafür aber eine anregende Auseinandersetzung mit einem brisanten Thema der Zeit. Was in Afrika gang und gäbe ist, könnte ebenso in Europa zum Dauerzustand werden. Soldans Roman soll deshalb auch eine Warnung sein.