Während die Webseite von Russia Today (RT) in der Schweiz frei zugänglich ist, wird sie im EU-Raum zensiert und kann nur auf Umwegen gefunden werden. Gerade Schweizerinnen und Schweizern wurde also unzensiert Folgendes übermittelt:
Geschmückt durch eine grobe Montage, verbreitete RT letzte Woche die absurde Behauptung, die «Schweizer Regierung», also der Bundesrat, habe entschieden, welche Zeitungen gelesen werden dürfen und welche nicht.
Diese Falschinformationen stammen von einem fragwürdigen Autor namens «Szene isch Züri», der auch andere hanebüchene Geschichten verbreitet, offensichtlich aber tatsächlich in der Schweiz sitzt. Besonders skurril war ein Fake-Inserat, dem zufolge man Denunzianten belohnt, wenn sie Nachbarn melden, die ihre Wohnungen so heizen, dass sie wärmer werden als 19 Grad sind.
Eine Medienmitteilung des Bundesrats über «Beeinflussungsaktivitäten und Desinformation» dient RT nun als Grundlage für die an den Haaren herbeigezogene Theorie.
Ironischerweise stellt der Bundesrat ausgerechnet in diesem Bericht klar, dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen RT und Sputnik nicht übernehmen will und es wirksamer sei, unwahren und schädlichen Äußerungen mit Fakten zu begegnen, statt sie zu verbieten. Dies steht im völligen Widerspruch zu den Behauptungen von RT.
Warum häufen sich auf dieser Plattform die polemisch geschriebenen Beiträge über die Schweiz? Bern hat einen großen Teil der EU- und der US-Sanktionen gegen Russland übernommen - aus russischer Sicht überraschend. Allerdings nicht alle - siehe RT und Sputnik. Der Hintergrund zu den jetzigen Polemiken liegt wohl in einem Deal, den verschiedene Parteien im Parlament betreffend der Weitergabe von Schweizer Waffen geschlossen haben.
Als neutrales Land ist die Schweiz gehalten, keinem Verteidigungsbündnis beizutreten und kriegführende Staaten nicht einseitig mit Waffen zu beliefern. Wenn die Schweiz Waffen verkauft, ist in den Verträgen immer einen Vorbehalt, wonach solche Waffen nicht ohne die Bewilligung der Schweiz weitergegeben werden dürfen.
Dieser Vorbehalt ist verschiedenen NATO-Staaten sowie einigen Parteien in der Schweiz seit längerem ein Dorn im Auge. Während das linksgrüne Lager bisher diese im Kriegsmaterialgesetz geregelte Praxis immer strikter handhaben wollte, möchten dieselben Personen nun die Regeln plötzlich lockern. Das konservative und nationalkonservative Lager will dagegen bei der bisherigen Praxis bleiben.
Nun ist ein Kompromiss in der Diskussion, wonach indirekte Lieferungen von Schweizer Waffen an kriegsführende Länder wie die Ukraine unter restriktiven Bedingungen ermöglicht werden sollen. Diese Idee wurde von Priska Seiler Graf, der Präsidentin der schweizerischen Sicherheitspolitischen Kommission, vermittelt. Direkte Lieferungen, wie sie die NATO-Länder praktizieren, sind weiterhin verboten.
Der Kompromiss ist zwar, falls er Gesetzeskraft erlangt, mit dem Neutralitätsrecht vereinbar, aber Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik sind zwei paar Schuhe. Russland betrachtet die Schweiz zum Beispiel nicht mehr als neutral (weitere Informationen zur Schweizer Neutralität siehe hier).
«Schweiz will russische Städte bombardieren lassen», heisst es dann auf RT. Ein Kommentar unter dem Artikel kritisiert ihn als schlecht geschrieben und inhaltlich falsch, was zeigt, dass nicht alle RT-Leser leichtgläubig sind.
Zusammengefasst erweist sich RT mit solchen absurden Inhalten einen Bärendienst, da dadurch selbst ernstzunehmende Artikel unglaubwürdig werden. Die Schweizer Medien wie der Tages-Anzeiger können sich nun leicht über RT lustig machen – trotz eigener journalistischer Mängel und einseitiger Berichterstattung.
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