Erst kommt der Wirtschaftskrieg, dann wird geschossen. So war es schon oft und so droht es, wieder zu geschehen. Darauf machte am Montag in Berlin der österreichische Wirtschaftshistoriker und Publizist Hannes Hofbauer aufmerksam. Er zeigte, wie schon in der Antike mit Sanktionen versucht wurde, Einfluss auszuüben, und wie das heute geschieht.
Hofbauer widmete sich im Berliner «Sprechsaal» dem Thema anhand seines 2024 erschienenen Buches «Im Wirtschaftskrieg». Darin setzt er sich mit der Sanktionspolitik des Westens und ihren Folgen am Beispiel Russlands auseinander.
Hannes Hofbauer am 2. Juni im Berliner «Sprechsaal», im Hintergrund Fotos vom durch Israel zerstörten Gaza-Streifen (Foto: Tilo Gräser
Er habe sich seit 2014 intensiv damit beschäftigt, als der Westen in Folge der von ihm ausgelösten Ereignisse in der Ukraine begann, russische und ukrainische Personen sowie später Unternehmen und Institutionen vor allem aus Russland zu sanktionieren. Die damals begonnene Eskalation werde bis heute fortgesetzt – «weiter in Richtung Abgrund». Der Wirtschaftshistoriker und Publizist nannte zwei historische Beispiele für Sanktionen, die zeigen, wie alt dieses Mittel des Wirtschaftskrieges ist.
«Ein frühes Beispiel für Sanktionspolitik findet sich bereits 430 v. Chr. im antiken Griechenland. Im Kampf um die Vorherrschaft zwischen Athen und Sparta erließ Athen ein Verbot, das dem spartanischen Verbündeten Megara, einer bedeutenden Seemacht der damaligen Zeit, die Landung in athenischen Häfen untersagte. Dieser wirtschaftliche Konflikt, der sich als eine Art Wirtschaftskrieg äußerte, eskalierte schließlich zum Peloponnesischen Krieg, der 30 Jahre andauerte.»
Das andere Beispiel stammt aus dem 19. Jahrhundert, als das napoleonische Frankreich ab 1806 versuchte, eine sogenannte Kontinentalsperre gegen England zu errichten. Als sich beispielsweise Russland nicht daran beteiligte, zog die französische Große Armee 1812 gen Osten – um dort jämmerlich unterzugehen.
Drohende Parallelität
Für Hofbauer zeigen diese beiden Beispiele, dass Wirtschaftskriege immer wieder in Schießkriege münden. Er hoffe, dass sich diese Abfolge beziehungsweise Parallelität gegenwärtig nicht wiederhole, sagte er. Die Analyse von Sanktionen habe gezeigt, dass diese immer dann greifen, wenn sie nach dem Prinzip «Groß gegen Klein» funktionieren.
Wenn ein großer Staat versuche, einen anderen großen Staat, wie gegenwärtig Russland, zu sanktionieren, scheitere das. Im Vortrag ging er wie im Buch auch auf die westlichen Sanktionen ein, die bereits 1918 gegen das revolutionäre Russland ebenso erlassen wurden wie gegen das revolutionäre Räte-Ungarn 1919. In beiden Fällen ging es darum, eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen, zu strangulieren und abzuwürgen.
1919 sei eine britische Delegation nach Ungarn gereist und habe sich dort mit Béla Kun und einem weiteren Vertreter der ungarischen Räterepublik getroffen, berichtete Hofbauer. Das geschah nach seinen Worten aber, ohne dass die Briten ungarischen Boden betraten, was sie verweigerten, weshalb die ungarischen Vertreter in deren Waggon kommen mussten. Die britische Delegation habe gefordert, die wichtigsten, eben erst erlassenen kommunistischen Gesetze wieder abzuschaffen.
«Der englische Emissär sandte daraufhin ein Telegramm an die Königin, in dem er die Notwendigkeit der Sanktionsdurchsetzung betonte, auch wenn dies den Tod von Frauen und Kindern durch Hunger bedeuten würde – eine Konsequenz der ohnehin prekären Versorgungslage nach dem Ersten Weltkrieg. Diese Sanktionen wurden schließlich konsequent umgesetzt.»
Der Publizist erinnerte an ein anderes Beispiel für die menschenverachtende Haltung der Sanktionierer: Im Mai 1996 antwortete die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright auf die Frage, ob die Irak-Sanktionen so wichtig seien, dass man den Tod einer halben Million Kinder in Kauf nehmen müsse: «Wir meinen, dass sie den Preis wert sind.»
Er verwies außerdem auf die westlichen Sanktionen im Kalten Krieg gegen den Ostblock ab 1948. Die Leistungen des sogenannten Marshall-Planes seien nur jenen Ländern zu Gute gekommen, die den Handel mit den Ländern im sowjetischen Einflussbereich einstellten. Außerdem habe es ein umfangreiches Embargo-Programm gegen die sozialistischen Länder gegeben, die COCOM-Liste, die erst 1994 aufgehoben worden sei.
Unerwünschte Energie-Partnerschaft
Hofbauer nannte als weiteres Beispiel aus der jüngeren Geschichte den Kampf der US-Führungen gegen die Erdgas-Geschäfte zwischen der Sowjetunion und der BRD ab den frühen 1960er Jahren, einschließlich der dafür notwendigen Großröhren. Diese seien von der NATO als «strategische Güter» definiert worden, um sie auf die Sanktionsliste setzen zu können.
Das Geschäft kam dennoch zustande und die Sowjetunion versorgte die Bundesrepublik mit Erdgas, entwickelte dafür eigene Röhren und ließ die Trasse von ihren «Bruderstaaten» wie der DDR bauen. Doch die USA schlugen zurück: Nach Informationen des Journalisten Dirk Pohlmann sorgten sie deshalb mit Hilfe der FDP dafür, dass der damalige Kanzler Helmut Schmidt (SPD) 1982 sein Amt an Helmut Kohl (CDU) verlor.
Die bundesdeutsch-sowjetische/russische Energiepartnerschaft hielt immerhin bis 2022. Infolge des vom Westen provozierten Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine kappte die «Ampel»-Regierung zum Schaden der eigenen Wirtschaft die günstige Energieversorgung aus Russland. Mit der Sprengung der Nord Stream-Pipelines im September 2022 wurde nachgeholfen und der neue Bundeskanzler, der ehemalige BlackRock-Vertreter Friedrich Merz (CDU), stellte unlängst klar, dass die Pipelines nicht wieder in Betrieb gesetzt werden.
Hofbauer ging in seinem Vortrag auf die fortgesetzten und ständig erweiterten Sanktionen des Westens gegen Russland ein. Sein Buch endet mit dem 15. Sanktionspaket der Europäischen Union (EU) seit 2014. Inzwischen ist das 17. Paket verabschiedet worden. In diesem seien erstmals EU-Bürger auf die Sanktionsliste gesetzt worden, darunter die in Russland lebenden deutschen Journalisten Thomas Röper und Alina Lipp.
Zu den Betroffenen gehört laut der Zeitung Junge Welt auch der Gründer des linken Projekts Red Media, Hüseyin Doğru. Dessen ebenfalls auf der Sanktionsliste genannte Betreiberfirma AFA Medya befindet sich inzwischen in Liquidation. Die Schließung sei laut Red durch eine Kampagne deutscher staatlicher Stellen im Verbund mit Zeitungen wie dem Tagesspiegel und der Taz als Stichwortgebern erzwungen worden, schreibt die Zeitung.
Simpler Diebstahl
Hofbauer setzte sich in seinem Vortrag ebenso mit der zu den Sanktionen gehörenden Beschlagnahme russischer Vermögen im Ausland in Höhe von rund 300 Milliarden US-Dollar auseinander. Das bessere Wort dafür sei «Diebstahl», der allen verkündeten Konventionen der sogenannten freien Marktwirtschaft widerspreche. Davor hätten sogar die Weltbank und die Europäische Zentralbank (EZB) gewarnt.
Aber die EU habe ungeachtet dessen begonnen, die Zinsen der russischen Vermögen zu beschlagnahmen und der Ukraine zu übereignen, womit sie der «deutschen Rüstungsindustrie in den Rachen geworfen werden». Inzwischen würden auch Schiffe der sogenannten Schattenflotte beschlagnahmt, weil sie russisches Öl und Flüssiggas transportieren. Das habe inzwischen zu Zwischenfällen zwischen polnischen und russischen Kampfflugzeugen geführt. Zudem plane die EU, Russland von der Ostsee abzuschneiden.
Der Publizist ging in der Diskussion mit dem Publikum auch auf die Sanktionen gegen die EU-Bürger wie Röper und Lipp ein. Diese hätten keinerlei Chance gegen diese Maßnahmen rechtlich vorzugehen, es handele sich um eine neue Dimension in der Bestrafung von missliebigen Meinungen, die über die Zensur hinausgehe.
«Das erinnert eher an das, was im Mittelalter die sogenannte Vogelfreiheit war. Damals durfte man die vogelfreien Menschen noch schlagen.»
Mit Blick auf Russland bezeichnete Hofbauer die Sanktionen als «erfolgreich» – anders als von den Verursachern gewollt, habe sich das Land darauf eingestellt und Wege gefunden, die Maßnahmen zu umgehen. Auch seien zahlreiche westliche Produkte ersetzt worden durch solche aus einheimischer Produktion. Und inzwischen exportiere Russland mehr als es importiere, vor allem in der Landwirtschaft.
Unerwünschte Folgen
Aber nicht nur die Rüstungsindustrie wachse in Folge des Krieges, sondern auch andere Bereiche der russischen Wirtschaft, so Hofbauer. Das führe zu einer erhöhten Nachfrage nach Arbeitskräften und damit auch zu gestiegenen Löhnen. Zudem seien Lieferketten für Importprodukte neu organisiert worden, so dass auch weiterhin westliche Waren ins Land kommen können.
Der Publizist zitierte den Unternehmer Hans-Peter Haselsteiner (Strabag), der zu den Sanktionen gesagt habe:
«Sie sind wirkungslos und sie treffen die Falschen. Wir Europäer machen hier die Politik der US-Amerikaner. Dass der Ausgleich mit Russland nicht gelungen ist, ist eine Niederlage meiner Generation. Europa ist auch heute noch ein geteilter Kontinent, denn Russland ist Europa.»
Zu den geopolitischen Folgen gehören laut Hofbauer die «Entwestlichung» des Globalen Südens und des eurasischen Raumes sowie die begonnene Dedollarisierung der Weltwirtschaft. Die westlichen Staaten und Organisationen hätten in weiten Teilen der Welt enorm an Glaubwürdigkeit verloren. Um so attraktiver seien Zusammenschlüsse wie die BRICS geworden, die auch an einem eigenen Finanzsystem arbeiten.
Im Westen sei dennoch die Erklärung, das Narrativ, der Kreml und nicht die eigene Sanktionspolitik sei verantwortlich für die wirtschaftlichen Probleme, weitgehend erfolgreich durchgesetzt worden. Das sei mit der Macht medialer Manipulation und der juristisch unterfütterten Einschüchterung zu erklären, die abweichende Meinungen potenziell strafbar macht, wie es sich bei der Sanktionierung der Journalisten Röper und Lipp zeige.
Auf die Frage, warum Sanktionen als Waffe immer wieder eingesetzt werden, obwohl die Geschichte zeige, dass sie meist nicht das gewünschte Ziel erreichen, sagte der Historiker, es sei nicht alles logisch, was in der EU geschieht. Es würden auch nicht alle EU-Mitgliedsstaaten die Sanktionspolitik unhinterfragt mittragen – wenn gleich auch Länder wie die Slowakei und Ungarn sie am Ende doch mitbeschließen. Er fügte hinzu:
«Es ist vor allem ein moralischer Impetus, gegen Russland, das unsere Werte bedroht, vorzugehen. Man traut sich noch nicht, den Schießkrieg zu führen. Vielleicht hoffen manche, dass es über diese fortgesetzte Eskalation im Wirtschaftskrieg zu einem richtigen Krieg kommt. Es gibt solche Leute, auch in der CDU zum Beispiel.»
Buchtipp:
Hannes Hofbauer: «Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland»
Verlag Promedia 2024. 256 Seiten; ISBN 978-3-85371-533-8; 22 Euro
Kommentare