Transition News: Sie erwähnten im Vorgespräch, dass Sie keine Heldin sind. Wie ist das zu verstehen?
Kathrin Suhr: Wenn man sich rückblickend ansieht, wie das in der Corona-Zeit an der Schule im Umgang mit den Menschen so gelaufen ist, dann habe ich nicht alles toll gemacht – vieles ist im Prozess entstanden. Einen klaren Kopf zu behalten, war die größte Herausforderung. In einer derartigen Leitungsposition hat man ja eine gewisse Verantwortung für so gut wie alles. Es gilt abzuwägen, wie alle Interessensgruppen bedient und auch Ängste berücksichtigt werden können.
Am Anfang habe ich das, was da auf uns zugerollt ist, ziemlich unterschätzt. Ich habe bestimmt auch ein paar Fehler gemacht und eben manche Menschen nicht so gut abgeholt – gerade im Erwachsenenbereich. Aber für die Kinder habe ich versucht, die Stange hochzuhalten. Da habe ich ein paar unorthodoxe Dinge gemacht, und darauf bin ich ehrlich gesagt stolz, weil es den Kindern damit besser ging. Aber klar, die Spannungen unter den Erwachsenen verstärkten sich dadurch.
Wie konnten Sie den Kindern die verordneten Maßnahmen erleichtern?
Ich war für eine Grundschule im Land Brandenburg verantwortlich, also die Jahrgangsstufen eins bis sechs. Die Corona-Testpflicht wurde in die häusliche Verantwortung übergeben, wir testeten also nicht in der Schule. So habe ich viele Eventualitäten offen gelassen und vor allem den Druck rausgenommen.
Denn die Kinder hatten gar nicht so viel Angst. Auch ich hatte meine eigenen Kinder in meiner Schule, sie waren damals neun und elf Jahre alt. Dadurch konnte ich die verschiedenen Perspektiven behalten und natürlich hautnah die Emotionen erleben.
Auch für Kinder mit einer Behinderung habe ich mich eingesetzt, damit sie, wie in der Verordnung vorgesehen, auch ohne Maske lernen durften. Allerdings waren einige Reaktionen der Lehrer sehr erschreckend – wahrscheinlich nur aus der Angst.
Können Sie sich an konkrete Beispiele erinnern?
Ein fast blindes Kind sollte Maske tragen und außerdem den Nachweis der Masernschutzimpfung erbringen. Mittels Meldebogen sollte jedes Kind ohne Nachweis ans Schulamt gemeldet werden. Ich habe das zur Chefsache gemacht und die Formulare im Computer versenkt.
Zur Maskenpflicht und Umsetzung im Schulalltag gab es unzählige sinnfreie Verordnungen, die jeglicher Logik entbehrten.
Da saß ein Kollege bei mir im Büro und beschwerte sich, dass nicht alle Kinder Maske tragen. Er sagte: «Naja, wenn sie jetzt ohne Maske in der Klasse sitzt, dann unterrichte ich sie nicht.»
Wie haben Sie reagiert?
Ich erwiderte: «Na, überleg mal, was du da gerade sagst. Die Schülerin hat doch schon einen Sinn weniger. Durch diese Maske wird sie doppelt bestraft und eingeschränkt. Sie kann dich nicht mal richtig verstehen und dann soll sie selbst nicht mehr deutlich sprechen können? Was macht das denn mit ihrer Psyche?»
Ich habe einige Kollegen erlebt, die völlig in der Angst waren. Sie waren nicht mehr in der Lage, für andere wirklich empathisch zu sein.
Haben Sie selbst Gesicht gezeigt?
Ja, ich war konsequent. Ich bin nicht getestet und beruflich und privat zu 95 Prozent ohne Maske durch diese Zeit gegangen. So konnte ich Flagge zeigen.
Und Grundschulen in Brandenburg sind inklusiv. Das heißt, im sogenannten Maßnahmen-Katalog gab es für Schüler mit Handicap Ausnahmen. Jede neue Verordnung zu lesen, war mir eine Freude, denn es gab immer irgendwo eine Lücke. Dann folgten die Diskussionen mit vorauseilend gehorsamen Kollegen, mit dem Vorstand, dem Ministerium und externen Kooperationspartnern. Ich telefonierte, stellte Fragen und bekam oftmals widersprüchliche Antworten. Doch am Ende war es so, dass der Vorstand der Schule immer «linientreuer» wurde und zuletzt die ungeimpften Lehrer zum Beispiel von Veranstaltungen ausschließen wollte.
Alle ungeimpften Lehrer sollten weg?
So direkt traute es sich keiner zu sagen, doch als die 2G-Regel [Anmerkung der Redaktion: Nur geimpfte oder genesene Menschen durften am öffentlichen Leben teilhaben] im Gespräch war, wandte ich mich mit einem Brief an die Eltern und Kinder. Ich wollte ihnen die Angst nehmen und Sicherheit geben. «Wenn wir so weit sind», erklärte ich, «haben wir unsere ganzen Ideale verkauft. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz.»
Und die Reaktionen darauf?
Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, das machte mir Hoffnung. Jedoch einige Kollegen, vermutlich auch Eltern, schafften letztendlich massiven Gegenwind.
Wie lange waren Sie davor schon im öffentlichen Schuldienst?
Ich war über 20 Jahre im öffentlichen Schuldienst – da habe ich schon so einiges mitgekriegt. Lange war ich sehr gern Lehrerin – ich war im Lehrerrat, war stellvertretende Schulleiterin an einer großen Gesamtschule und Mitarbeiterin im Bildungsministerium.
Ich habe die festen Führungsebenen erlebt, Systemnähe, Parteiklüngel und Seilschaften gesehen. Die wirklichen Probleme in den Schulen und einen echten Wandel hin zu den Interessen der Kinder anzugehen, dafür konnte ich wenig Bestreben erkennen.
Es geht immer um die Einhaltung von irgendwelchen Bestimmungen, Verordnungen und Handlungsleitfäden. Die Lehrer sind nur noch zu 50 Prozent «am Kind», sie driften dadurch langsam ab und geraten in zwei Extreme: Dienst nach Vorschrift oder Burnout – dazwischen gibt es nicht mehr viel Spielraum. Das Thema Lehrergesundheit hat mich persönlich immer sehr beschäftigt, ich habe erkannt, dass da irgendwas nicht richtig läuft.
Aus dem öffentlichen Schuldienst wurde ich dann in die Frühpensionierung geschickt, weil ich nicht mehr «mitspielte», nicht ins System passte. Ich wurde quasi rausgeschmissen. Und dann war diese freie Schule plötzlich da. Die Schule war so ziemlich am Ende – die Lernbegleiter und Kinder gleichermaßen im Chaos.
Und Sie konnten die Leitung übernehmen ...
Im Rahmen meiner Möglichkeiten durfte ich trotz Frühpensionierung auch weiterhin in der Schule tätig sein, allerdings ohne zu unterrichten. Diese freie Schule brauchte Struktur und eine Vision. Die Leitziele des Trägers wurden zum neuen Mantra.
Ich habe da so viele Freiheiten und Möglichkeiten erlebt, das war unglaublich. Wir alle waren im Flow, wuchsen als Team zusammen und trennten uns auch von dem einen oder anderen. Bemerkenswert war, dass die Freude und das Lachen in die Schulräume zurückkehrten. Doch dann kam Corona. Und wir betraten alle Neuland.
Was haben Sie konkret verändert, als Sie an diese Schule kamen?
Die Schule war völlig führungslos, es gab ständig Krankheit, Beschwerden, und inhaltlich lief vieles im blinden Aktionismus. Die Schulleitung war im Burnout. Alle waren kopflos – ein Sinnbild für die Situation. Ein Beispiel: Drittklässler hatten mit Bänken und Tischen Türme gebaut. Die Kollegin war völlig am Ende. Da musste sofort eine Entscheidung her, um die Überforderung zu erkennen und die Kollegin in ihren Kompetenzen zu stärken. Das war die schnelle und mittelfristige Lösung.
Das ist es, was mir Freude bereitet hat: dieses Team wieder aufzubauen, den Kindern freundliche und ausgeglichene Lernbegleiter zu präsentieren. Neue Lernmethoden wurden zeitgleich implementiert, stufenübergreifendes Lernen, selbstständiges Lernen in Lernbüros und noch viel mehr. Alte und neue Kooperationspartner brachten die Kinder raus aus der Schule und hinein ins reale Leben. Dabei ging es vor allem darum, das Kind möglichst mit allen Sinnen abzuholen, je nach Entwicklungsstand. Die Lernbegleiter und auch die Kinder waren richtig hungrig danach, etwas Neues zu probieren. Die Begeisterung war überall zu spüren.
Sie erwähnten eben «Burnout». Ausgebrannte Lehrer gibt es also auch an freien Schulen?
Ich behaupte mal ganz frech, dass viele, die so eine freie Schule gründen und die Initiative ergreifen, sich das zu leicht vorstellen und vergessen, dass Schule eine Institution ist, die vor allem einen geregelten Tagesablauf braucht. Ich liebe genauso das projektorientierte Arbeiten, dennoch braucht es gewisse Tools, wie regelmäßige Feedbacks – daran scheitert es oft.
Nach meiner Erfahrung wird an Schulen die Teamarbeit vernachlässigt, weil die Leitung denkt, sie haben jetzt eine schöne Idee und die wird einfach umgesetzt. Aber das muss auch inhaltlich immer wieder fundiert hinterfragt und die Leute mit ins Boot geholt werden, damit alle die gleiche Sprache sprechen – dann erübrigen sich viele Regeln. Insbesondere an freien Schulen sind ja nicht alles Vollblutlehrer, einige sind auch Quereinsteiger – das sehe ich total als Chance. Und trotzdem fehlt manchmal das Handwerkszeug, zum Beispiel die Methodik – die habe ich auch später erst schätzen gelernt.
Wie viele Lehrer unterrichteten an dieser freien Grundschule?
Wir waren ein relativ kleines Kollegium: Angefangen haben wir mit acht Mitarbeitern – die Sekretärin war dauerkrank. Zu meinem Weggang waren wir 16 – die Sekretärin kam anfangs gleich wieder und arbeitete hoch motiviert. Wir hatten richtig Aufwind und Personalmangel gab es nicht – wir hatten Initiativbewerbungen, Praktikanten, Studenten. Es war unfassbar.
Schule kann sich zügig reformieren, wenn das Team hinter der Leitung steht und gemeinsam visionär unterwegs sein darf.
Was war Ihre Vision, Ihr Rezept? Wie sind Sie vorgegangen?
Das Schulkonzept der Schule war relativ offen. Es wurde aber nur ansatzweise umgesetzt, weil niemand so richtig wusste, wie. Jeder dümpelte so ein bisschen vor sich hin, ohne gemeinschaftliches Vorgehen. Die Toleranz, Dinge auszuprobieren und trotzdem diesen roten Faden immer wieder zu finden, wurde nicht gelebt. Fehlerorientierung ist in Schulen ein dominantes Thema.
Das erste, was ich gemacht habe, war, die Tagesstruktur zu sortieren, damit wirklich jeder Sicherheit hatte, wenn er in die Schule kam, dass der Tag auch so ablief, wie er ihn geplant hatte. Wenn viele Lehrer krank sind, wird ja das ganze Konzept durcheinander gebracht. Das frustriert die Lehrer, weil sie sich einen Plan machen, aber dann läuft das ganz anders ab, weil sie Vertretung machen müssen. Die Leitung kann aber Sicherheit schaffen.
Dann hatten wir immer zwei Lehrer pro Lerngruppe. Das war wie eine berufliche Ehe, die mussten verzahnt arbeiten. Natürlich war es enorm wichtig, dass sie auf der menschlichen Ebene harmonieren. Da gibt es kein Rezept. Da muss man einfach intuitiv arbeiten: in Gespräche gehen, die Kompetenzen stärken und genau hinschauen, welche Potenziale in ihnen stecken. Dann gehen Lehrer auf wie eine Blume, und das überträgt sich. Diese positive Energie war überall zu spüren.
Außerdem war ich auch ziemlich dicht dran. Das heißt, ich bin morgens immer durch die Lerngruppen gegangen, habe die Kinder und Lehrer begrüßt und gespürt, ob es ihnen gut geht oder nicht. So bin ich immer gleich ins Gespräch gegangen – natürlich nach dem Unterricht. Ich habe gefragt: Wo drückt der Schuh? Was machen wir jetzt? Was brauchst du? Und so wurde das zum Selbstläufer. Es kamen Studenten, Praktikanten neue Kollegen – alles hat sich geöffnet. Und die Altersstruktur war auch nicht mehr so fest. Es gab einfach eine enorme Entwicklung.
Sie haben also ein Miteinander geschaffen ...
Genau. Mir wurde zugehört, weil ich ein Visionär bin. Ich habe viel gefragt: Wo wollen wir hin? Wie können wir das Konzept umsetzen? Was können wir entwickeln? Und ich bin auch in Details gegangen, um die Kinder dichter heranzubringen. Damit sie das Gefühl haben, dass sie mitbestimmen können, auch bei den Unterrichtsinhalten. Es waren so viele kleine Bausteine.
Und die Teamsitzungen waren sehr wichtig. Wir saßen wöchentlich nur eine Stunde und nicht drei Stunden wie vorher. Wir blieben auf sachlicher Ebene und konzentrierten uns auf das, was uns voranbringt, positiv bestärkend.
Die Eltern zum Beispiel hatten davor gefühlt eintausend Beschwerde-Emails geschrieben. Das hat sich dann schlagartig geändert, weil ich sie einfach anrief und wir miteinander redeten. – «Vereinfachung der Kommunikationsstruktur» stand ganz oben auf meiner Liste.
Probleme gingen dadurch über meinen Tisch. Und die Lehrer waren entlastet und konnten sich aufs Unterrichten konzentrieren. Den Fokus auf das Wichtigste zu legen, das war entscheidend.
Auch die Fluktuation von Schülern nahm schlagartig ab. Wir wuchsen als Schule, die Kurve ging nach oben. Auch die Kollegen wurden mehr. Wir hatten es also geschafft, dass die Schule endlich einen guten Ruf im Umfeld hatte.
Was war der genaue Schwerpunkt dieser Grundschule?
Das Konzept hat einen theaterpädagogischen Schwerpunkt. Wir haben während des Unterrichts viele Elemente des Theaterspielens eingebaut und auch explizit als Unterrichtsfach vermittelt. Es geht hierbei ums Lernen mit allen Sinnen. Außerdem waren die Viert- und Fünftklässler wöchentlich einen Tag auf einem Bauernhof und machten da voll mit. Dazu wurden Fächer zusammengepackt: Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und Wirtschaft-Arbeit-Technik. So war ein schönes neues Konzept entstanden, wo wir Theorie und Praxis verzahnten.
Ein weiterer Bestandteil des Konzepts ist die Zensurfreiheit und möglichst keine Hausaufgaben. Wir haben Theatervorstellungen besucht. Der Unterricht war in Blöcken oder Projekten geplant, so hatten wir mehr Zeit und wurden durch kein Klingeln unterbrochen. Zusätzlich haben wir Lernbüros eingerichtet: Das heißt, die Schüler hatten ein Logbuch, mit konkreten Zielen und Nachweisen. Der Lehrer war nun ein echter Lernbegleiter.
Das klingt nach sehr viel Engagement ...
Wir waren sehr modern unterwegs, und es hat mir Spaß gemacht. Denn im Zentrum von Schule steht nach meinem Verständnis immer das Kind. Es geht darum, dass wir alles dafür machen, dass das Kind optimal lernen kann. Es geht hier nicht vorrangig um irgendeinen Rahmenlehrplan oder Befindlichkeiten von Erwachsenen. Gleichzeitig galt es, diese Bindung zum Kind zu finden und die Entwicklung wahrzunehmen und Neugier zu erhalten. Und alles andere fügt sich rundherum.
Was hat das Corona-Regime aus «Ihrer» freien Schule gemacht?
Anfangs habe ich das sehr ernst genommen, Regeln umgesetzt, die Schulschließung vorbereitet und begleitet. Es erforderte eine neue Herangehensweise, ohne das Konzept aufzugeben, damit wir weiterhin differenziert die Kinder betreuen. Die Kleinen konnten ja noch nicht selbstständig alles lesen und machen. Niemand sollte Stress haben – vor allem die Eltern zuhause nicht. Es gab da verschiedene Phasen der Zusammenarbeit.
Vor Ende der Sommerferien 2020 erhielten die Kinder, Kollegen und Eltern individualisierte Fragebögen, wie sie die einzelnen Phasen – also Schulschließung, Wiederöffnung, erneute Schließung empfunden haben. Das war meines Erachtens ein Novum, worauf ich sehr stolz bin. Das Ergebnis zeigte, dass wir ein geiles Konzept gefahren sind. Wir haben teilweise digital und telefonisch beratend unterrichtet. Die Kinder und Eltern konnten auch in die Schule kommen, nach Sprechzeiten, sodass sie ihr Material abholen und Gespräche führen konnten. Wir waren unheimlich dicht an den Kindern und dem Zuhause dran. Viel Kontakt zu den Eltern zu halten, war der Schlüssel, um unstimmige Situationen zu erkennen. Wir wollten eben nicht alles digital machen.
Und wann wurde Ihnen klar, dass es gar keine Pandemie gab?
In den Verordnungen, die ja auch ständig gewechselt haben, gab es zu viele Widersprüche. Das passte in meinem Kopf und meinem Bauch nicht zusammen.
Dann hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Ein guter Freund arbeitet beim Bundesnachrichtendienst und er sagte: «Mensch, Kathrin, ich schick dir mal was, bilde dir selbst ein Urteil, aber du wirst schockiert sein.» Ab da habe ich Corona nicht als Krankheit wahrgenommen, sondern eher als Angriff. Dadurch wurde ich extrem kritisch und änderte meine Wahrnehmung.
Informationen direkt aus dem BND sozusagen, da waren Sie im Vorteil. Wie sahen das Ihre Kollegen?
Auch im Kollegium haben wir anfangs viel und sehr offen diskutiert. Erst als eine Kollegin lapidar bemerkte, dass sie gar nicht mehr ihre Meinung frei sagen könne, habe ich einen Schreck gekriegt. Aber sie hatte Recht, die Gespräche hatten sich verändert. Es bildeten sich Fronten. Die Angst war richtig zu spüren. Plötzlich sah ich klarer. Das Testen zum Beispiel habe ich ja auch gleich hinterfragt und diese Faxen nicht mitgemacht – das ist völlig erniedrigend. Gesundheit wurde aus der Privatsphäre entfernt und in einen Kriegsschauplatz verwandelt.
Hinzu kam das Thema Diskriminierung und Mobbing auch unter den Kindern, angeheizt durch übereifrige Kollegen und Eltern. Mein Sohn hat es nicht ausgehalten, er wurde ständig wegen des korrekten Tragens der Maske ermahnt und allein in den Flur gesetzt. Er litt ganz offensichtlich. Ich habe meinen Sohn gesehen, wie er die Maske runternahm und Tränen in den Augen hatte, der war richtig fertig. Bei Stress kriegt er Ekzeme, wie so eine Art Neurodermitis. Und er sah so schlimm aus, die ganze Haut war aufgekratzt. Ich konnte das nicht mehr ertragen. Da gab es den Moment, als ich mich fragte, was ich ihm hier antue. Die Lösung war ein Maskenattest, so dachte ich. Trotzdem wurde er dermaßen von den Mitschülern gemobbt und sprichwörtlich in die Ecke gedrängt. Das war unerträglich für mich.
Meine Tochter war dann in einer weiterführenden Schule – wieder andere Regeln. Ich hatte wenig Einfluss. Sie war stark: «Mama, es geht schon, ich halte es schon irgendwie aus». Sie wollte nicht als Besonderheit gelten, nicht ausgegrenzt werden. Sie hat sich nicht getraut, offen dagegen zu sein.
Es gab aber auch andere Lösungen: Ein weiterer meiner Schüler hatte durch den Maskentragezwang ständig Kopfschmerzen. Deswegen schickten ihn die Eltern nicht mehr in die Schule. Gemeinsam erarbeiteten wir einen Bildungsvertrag für zuhause, das war laut Schulgesetz für Schulverweigerer möglich – wieder hatte ich eine Lücke gefunden.
Gegen die Maskenpflicht für alle Schüler konnten Sie nichts tun?
Ich habe diese ganzen Verordnungen jede Woche neu bekommen. Alle behandelten sie wie Gesetze, also unumstößlich. Doch das stimmte so nicht. Es hat keine strafrechtlichen Folgen, wenn XY die Verordnung nicht einhält. Ich empfand sie als Drohgebärde, Einschüchterung und Drangsalierung. Interessanterweise, und das ist wirklich ein ganz wichtiger Punkt: Verordnungen des Bildungsministeriums waren nur für öffentliche Schulen verbindlich, für die freie Trägerschaft nicht. Und später – am Anfang war es nicht ganz so – stand am Ende des ganzen Pamphlets, dass es Schulen in freier Trägerschaft offenbleibt, eigene Konzepte zu entwickeln.
Als ich diesen Satz sah, machte ich mein eigenes Ding – eigene Regeln. Ich ignorierte die Hinweise zur Schulorganisation und diverse Vorgaben. Dem Vorstand stellte ich meine Konzepte vor, und wir fanden meist einen Konsens. Wir bauten zum Beispiel Pavillons auf dem Schulgelände auf, damit ein «grünes» Klassenzimmer ohne Maskentragen möglich war. Das brachte Erleichterung und wurde gut angenommen.
Aber gegen diese unsinnige Maskenpflicht in der Schule – und später sogar auf dem Schulhof – kam ich nicht an. Wir hatten fünf Lerngruppen und es gab zwei Kollegen, die das genauso sahen wie ich. Denen habe ich geraten: «Macht einfach die Tür zu und macht euer Ding». Und dann nahmen auch fast alle Kinder die Maske ab.
Die anderen Kollegen haben das leider strikt durchgezogen. Da konnte ich nicht viel dagegen machen. Aber es war auch diese Doppelmoral zu sehen: Selbst diejenigen die Druck machten, trugen unter vier Augen mit mir keine Maske. Das zeigte mir, dass sie selbst nicht daran glaubten.
Haben Sie eine Erklärung für diese Doppelmoral?
Entweder haben die Menschen so einen Druck gehabt, von wem auch immer, oder sie hatten echte Ängste vor der Krankheit beziehungsweise den Konsequenzen beim Verstoß gegen die Regeln. Möglicherweise dachten sie auch: «Was für ein Scheiß.» Offen haben nur wenige darüber geredet.
Dieses Verhalten erinnert mich an eine frühere Situation, wo Beteiligte weggeschaut haben, als es um sexuelle Übergriffe eines Lehrers gegenüber Schülerinnen ging. Das kam in meiner Funktion als stellvertretende Schulleiterin über meinen Tisch. Unfassbar wie hier Täterschutz betrieben wurde, von ganz oben. Letztendlich bin ich versetzt worden, weil ich den «Schulfrieden» gestört haben soll, und es wurde alles vertuscht. Zum Glück ist der Kollege jetzt nicht mehr im Schuldienst.
Sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen wurden vertuscht?
Ja. Die Mädchen waren in die Verweigerung gegangen, und keiner glaubte ihnen, nicht mal die eigenen Eltern. Und der Lehrer war der beste Freund vom Chef. Da war die Hölle los: Anfeindungen mir und einer Vertrauenslehrerin gegenüber, dass ich den Kollegen verunglimpfen wolle, und so weiter.
Man muss sich das so vorstellen: Hier in Brandenburg sind noch ziemlich viele Alteingesessene aus DDR-Zeiten am Ruder. Ob im Schulamt oder im Bildungsministerium – die kennen sich alle untereinander. Und ich kenne sie wiederum aus meiner Studienzeit und weiß, wer mit wem verbandelt ist. Das sind sehr kurze Wege. Das habe ich in der Schule mitgekriegt, im Schulamt und auch nachher im Bildungsministerium.
Da gab es kurze Anrufe und Anweisungen vom Schulrat. Der Chef fing an, «Spione» zu ermächtigen. Das war widerlich. Selbst die Polizei war vor Ort und hat die Mädchen eingeschüchtert. Mir wurde der Kontakt mit den Eltern und betroffenen Schülerinnen verboten. Letztendlich wurde ich aus fadenscheinigen Gründen versetzt – zu unmöglichen Bedingungen. Ich eröffnete sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen mich selbst, damit der Vorfall aufgeklärt wird. Jedoch wurde mein Fall im wahrsten Sinne des Wortes verschleppt: Meine Akte war plötzlich weg, keiner war zuständig. Eineinhalb Jahre später erhielt ich einen Brief vom Schulamt, dass ich mich nicht an den Dienstweg gehalten hätte, und deswegen das Verfahren selbstverschuldet beendet worden sei. Das Bildungsministerium war ebenfalls involviert – keiner fühlte sich verantwortlich.
Da bin ich das erste Mal vom Glauben abgefallen und wollte nur noch raus. Danach arbeitete ich selbst im Bildungsministerium und sah, dass es dort nicht viel anders läuft. Ich hatte witzigerweise das Thema Sexualerziehung auf meinem Tisch. Da gibt’s Konzepte, welche Punkte eingehalten werden sollen, wenn es zu sexuellen Übergriffen kommt. Genau das hatte ich gemacht und wurde dafür quasi geköpft. Da war mir klar: Das ist eigentlich alles nur fürs Papier.
Es geht bei Bildung um die Erziehung zur Konformität. Alles andere sind Sonderfälle – Störfaktoren, die unter den Tisch gekehrt werden.
So erklärt sich auch dieser Maßnahmen-Wahnsinn zu Corona – es ging nur darum, dass alle mitmachen, dass keiner ausschert. Die Verordnungen wurden immer grotesker, immer blöder und immer schärfer – menschenunwürdig. Es ging nicht mehr um Schule, es ging nur noch darum, sich im Gleichschritt zu bewegen. UN-Kinderrechte wurden mit Füßen getreten, und diejenigen, die darauf hinwiesen, wurden angefeindet.
Und wann war es für Sie an dieser nicht mehr so freien Schule zu Ende?
Mir wuchs das alles über den Kopf, ich brauchte Unterstützung und wollte eine Stellvertreterin. Sie hat dann komplett gegen mich gearbeitet und die Spaltung des Teams vollzogen. Es war ganz schlimm. Ich musste mich vor dem Betriebsrat verteidigen und erklären, warum ich die und die Verordnung nicht umsetze. Am Ende bekam ich Hausverbot, weil ich die Masken- und Testpflicht nicht einhielt – ein Vorwand. Das war im Dezember 2021.
Mein Ziel war es, so lange zu bleiben, wie ich noch etwas bewirken konnte. Aber diese kognitive Dissonanz war offensichtlich: Es lief nicht mehr über sachliche Argumente, sondern bei manchen nur noch über die Gefühlsebene. Ein Kollege beschimpfte mich sogar als «Corona-Leugner». Im Januar 2022 habe ich gekündigt und ging ohne Abschied.
Wie haben Sie Ihre eigenen Kinder gestärkt?
Nachdem ich gekündigt hatte, habe ich sie aus der Schule rausgenommen, die Präsenzpflicht war ja aufgehoben. Wir sind einen Monat ins Ausland gefahren – raus aus dem ganzen Scheiß. Das war mein Konzept zu gesunden. Und das tat uns allen richtig gut.
Die räumliche und inhaltliche Distanz zu dem, was Schule eigentlich bedeutet, war prägend. Schule ist für mich nicht mehr das Zentrale, denn Bildung kann ganz anders passieren.
Beide Kinder sind nun wieder in der Schule, aber ihre Einstellung dazu hat sich grundsätzlich verändert. Und es interessiert mich nicht, welche Zensuren sie mitbringen. Am Ende geht es darum, was für eine Entwicklung sie machen, was sozial passiert, was sie für sich selbst lernen – wie es ihnen mental geht.
Sie sind gefestigt, hinterfragen und sagen «Nein!». Das macht mich stolz. Allerdings empfindet meine Tochter die Corona-Jahre laut ihren Worten «wie eine dunkle Zeit». Sie hat gar nicht mehr viel Erinnerung. Dabei hatte sie ein gutes Setting. Trotzdem ist es, wie wenn ihr Lebensfilm auf Stopp gestellt wurde.
Und wie geht es bei Ihnen nun weiter?
Ich komme vom Thema Schule nicht los. Besonders das Gesundheitsmanagement für Lehrer ist mir wichtig. Am Ende ist nur ein gesunder Lehrer auch ein guter Lehrer. Desillusionierte und erschöpfte Lehrer kann niemand mit neuen Ideen beeindrucken.
Ich weiß, dass gute Schule geht, selbst unter schwierigsten Verhältnissen. Es ist meist ein Führungsproblem, da darf noch viel Innovation passieren. Es braucht Freiheit und weniger Vorgaben. Wertevermittlung und authentisches Verhalten sind für mich Grundvoraussetzungen eines Miteinanders. Dazu zählt, seine Ideale nicht zu verkaufen.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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