Die Schweizer Rüstungsindustrie steht unter Druck: Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine meiden viele europäische Staaten – insbesondere NATO- und EU-Mitglieder – den Kauf von Schweizer Rüstungsgütern, wie die Neue Zürcher Zeitung, (NZZ) am Mittwoch schrieb. Der Grund ist das in der Schweiz geltende Kriegsmaterialgesetz, das den Export von Waffen an Länder einschränkt, die sich in einem bewaffneten Konflikt befinden.
Sollte beispielsweise ein NATO-Land in einen Krieg verwickelt werden, könnte die Schweiz aufgrund ihrer Neutralitätspolitik keine Waffen mehr an das betreffende Land liefern. Dies hat dazu geführt, dass einige Staaten wie die Niederlande, Spanien und Dänemark auf Schweizer Rüstungsgüter verzichten. Deutschland geht sogar so weit, dass es mittlerweile auch keine Lieferungen mehr für Tarnnetze aus der Schweiz akzeptiert, obwohl die EU ihre Verteidigungsausgaben massiv steigern will.
Für die Schweizer Rüstungsindustrie, die ohnehin mit einer Auftragsflaute zu kämpfen hat, sind diese Entwicklungen ein schwerer Schlag. Die Exporte sind 2024 um fast 5 Prozent gesunken, und die Branche sieht sich angesichts der geopolitischen Unsicherheiten zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Besonders die Tatsache, dass fast alle Schweizer Waffenexporte in die NATO-Staaten fließen, verstärkt das Risiko eines wirtschaftlichen Einbruchs, falls die derzeitigen Exportbedingungen nicht geändert werden.
In diesem Kontext hat die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (SiK-S) – der Schweizer Kantonskammer – nun einen weitreichenden Vorschlag zur Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes vorgelegt. Dieser zielt darauf ab, Partnerländer auch dann mit Rüstungsgütern beliefern zu können, wenn diese in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind – es sei denn, es liegen «außerordentliche Umstände» vor, die dem Export entgegenstehen. Dies könnte vor allem in Fällen eines NATO-Bündnisfalls relevant werden, in dem sämtliche NATO-Staaten im Krieg agieren. Der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung, behielte dabei ein Vetorecht.
Die Initiative wurde von der Mitte-Ständerätin Brigitte Häberli-Koller eingebracht, die einen klaren wirtschaftlichen Impuls geben möchte:
«Die Schweiz kann über kurz oder lang keine Rüstungsgüter mehr selber herstellen – auch nicht für die eigene Armee, der Heimmarkt ist zu klein» betont Häberli-Koller.
Ihre Argumentation fand bei den meisten Kommissionsmitgliedern Gehör – der Vorschlag wurde mit 8 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen.
Die Rüstungsindustrie reagierte erleichtert auf den Vorstoß. Der Arbeitskreis Sicherheit und Wirtschaft, die Lobbyorganisation der Branche, bezeichnete die Änderung als «zwingende Voraussetzung» zur Vermeidung eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Der derzeitige Zustand der Exportrestriktionen könnte die gesamte Kundschaft der Schweizer Rüstungsindustrie verlieren, falls es zu einem NATO-Konflikt kommt. Allein 2023 gingen 84 Prozent der Exporte in NATO-Staaten, 2024 waren es sogar 92 Prozent.
Der erste Rat, der sich mit der Änderung beschäftigen wird, ist der Ständerat, voraussichtlich in der Sommersession dieses Jahres. Es bleibt abzuwarten, ob auch der Nationalrat der Lockerung zustimmt und die Rüstungsindustrie damit eine aus ihrer Sicht dringend benötigte Perspektive erhält.
Bemerkenswert an diesem Vorstoß und an der Berichterstattung ist nicht nur die Tatsache, dass er überhaupt lanciert wurde, sondern dass die damit verbundene weitere Aushöhlung der Neutralität nur am Rande erwähnt wird. Die Neutralität wird dabei sogar als Hindernis gesehen.