Transition News: In der Schweiz kann die Bevölkerung direkt über Verfassungs- und Gesetzesfragen entscheiden. Die Genossenschaft Zaccaria will dieses Referendumsrecht stärken. Ist denn in der Schweiz die direkte Demokratie in Gefahr?
Alexandre Zindel: Die direkte Demokratie – richtigerweise sollte man Referendumsdemokratie sagen – muss ständig geprüft und verteidigt werden. Viele meinen, die in Bern würden es schon richtig machen, es wäre schon immer so gewesen. Aber wir sollten unsere Geschichte nicht vergessen, denn dieses Referendumsrecht mussten wir uns schon mehrfach zurückerobern.
Es gibt ja in der Schweiz kein Verfassungsgericht. Jeder Bürger muss selbst die Arbeit des Parlaments überprüfen – er ist ja der Souverän im eigentlichen Sinn. Ein Beispiel: Wir haben in der Genossenschaft gerade in diesen Tagen besprochen, wie die direkte Demokratie in der Schweiz zum Beispiel durch die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Gefahr geraten kann. In anderen Ländern hat das Volk keine Möglichkeit, auf diese IGV Einfluss zu nehmen. In der Schweiz im Prinzip schon, weil jedes Gesetz oder jede als Gesetz betrachtete Regelung vom Volk implizit oder explizit, im Rahmen eines Referendums, bewilligt werden muss.
Und derzeit will der Bundesrat, also die Regierung, dem Parlament weismachen, dass diese IGV nicht so wichtig seien und wir keine Gesetzesänderungen dafür bräuchten. Und es sieht so aus, dass tatsächlich kein Gesetz erlassen werden soll, um – man muss es so deuten – ein Referendum zu umgehen.
Referendum bedeutet in der Schweiz Gesetzesreferendum: Jeder Erlass des Parlaments kann innerhalb von 100 Tagen angefochten werden. Dazu braucht es 50.000 Unterschriften. Hat man die erreicht, wird das Gesetz dem Volk unterbreitet und es entscheidet dafür oder dagegen. Darüber hinaus gibt es die Volksinitiative, bei der 100.000 Bürger eine Verfassungsänderung verlangen können.
Zurück zum Thema IGV: Indem das Parlament nicht gesetzgeberisch tätig wird, verhindert es, dass das Volk, der Souverän, sagen kann, ob es diese IGV will oder nicht. Und genau darin besteht die Gefahr für unsere direkte Demokratie. Wenn die IGV erst einmal in Kraft treten und in der Sammlung der Bundesgesetze stehen, dann kann gerichtlich nicht dagegen vorgegangen werden.
Und deswegen gibt es die Genossenschaft Zaccaria. Im Fall der IGV werden wir im Rahmen der Vernehmlassung eine Stellungnahme an die Regierung verfassen und erklären, warum wir diesbezüglich tätig werden.
Ich habe lange im Ausland gelebt und ich bin mir bewusst, dass die schweizerische Verfassungsordnung in der Welt wirklich einzigartig ist. Für uns Schweizer ist es normal, dass 50.000 Bürger eine Verfassungsklage einreichen können, über die dann das Verfassungsgericht Schweiz entscheidet, das aus 5,5 Millionen Verfassungsrichtern besteht.
Was hat sich seit 1874, als das Referendumsrecht für Bundesgesetze und -beschlüsse eingeführt wurde, generell verändert?
Da möchte ich ein bisschen ausholen. Die Schweiz war Mitte des 19. Jahrhunderts das Äquivalent vom Libanon heute: Das Gebiet war geostrategisch sehr wichtig, aber sehr instabil. Nach den Napoleonischen Kriegen wurde die Schweiz als Staatenbund konzipiert, und die Engländer hatten einen großen Einfluss. Sie wollten einen Unruheherd im Herzen Europas haben, das war natürlich nicht im Interesse der Österreicher, Deutschen, Italiener und Franzosen. Es gab große Spannungen zwischen den meist katholisch geprägten konservativen Kantonen und den liberalen – hier sagt man «freisinnigen» – Kantonen.
Die freisinnigen Kantone hatten die Oberhand, sie hatten im November 1847 den Bürgerkrieg gewonnen und regierten durch. Die katholischen Kantone mit ihren alten Rechten und Traditionen – besonders die Ur-Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden – hatten nichts mehr zu melden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden im Zuge der Industrialisierung Eisenbahnen gebaut – sehr zum Ärgernis der Engländer. Besonders Italien und Deutschland wollten einen Eisenbahntunnel durch die Alpen, durch das Gotthard-Massiv.
Und was passiert? Hier ist meine Theorie, die mir noch niemand widerlegt hat: Die liberalen freisinnigen Kantone hatten schon die Finanzierung vom Deutschen Reich und dem italienischen Königreich zustande bekommen, konnten aber nicht bauen, weil der Gotthard von den katholischen Kantonen kontrolliert wurde. Es folgte ein Kuhhandel: Die Liberalen haben die Konservativen gefragt, was diese im Gegenzug für die Erlaubnis wollen, den Tunnel zu bauen. Und die konservativen Kantone wollten das Referendumsrecht, das in der alten Eigenossenschaft bereits existierte hatte.
Dieses Referendumsrecht wurde also 1874 eingeführt. Ab da konnten Bürger verlangen, dass das Volk entscheidet, ob ein Gesetz in Kraft treten kann oder nicht. Und das Referendumsrecht hat vermutlich sehr dazu beigetragen, dass die Schweiz zu Wohlstand gekommen ist. Denn dadurch wurde die Schweiz politisch stabil, katholische Interessensverbände oder später Gewerkschaften konnten ja zum Referendum greifen, wenn eine Reform zu ungerecht war, und versuchen, das Volk zu überzeugen, das jeweilige Gesetz zu verhindern.
Während des Ersten Weltkriegs gab es Vollmachten für die Regierung und den Oberkommandanten, das Land zu verteidigen. Das Referendumsrecht war ausgesetzt. Am Ende der 1920er Jahre gab es die Wirtschaftskrise und sehr viele Unruhen in der Schweiz. Und das Parlament nutzte eine Bestimmung in der Verfassung aus, um das Referendumsrecht auszuhebeln – unter dem Vorwand die Lage sei zu ernst und zu wichtig. Artikel 89 der alten Bundesverfassung besagte, wenn ein Gesetz als dringlich erklärt wird, untersteht es nicht dem Referendumsrecht. Mehr als die Hälfte der Gesetze wurden danach als dringlich erklärt. Und die Schweiz wurde wieder politisch instabil. Und auch während des Zweiten Weltkriegs gab es wieder ein Vollmachten-Regime.
Erst in den Nachkriegsjahren gab es eine Volksinitiative, ausgehend von der Westschweiz, und die hieß: «Zurück zur direkten Demokratie». Denn die Regierung und das Parlament wollten weiter ohne Referenden durchregieren. Die Initiative wurde 1949 ziemlich knapp angenommen. Und in dieser Initiative stand auch, dass selbst als dringlich erklärte Bundesgesetze dem Referendum unterstehen. So hörte das Parlament damals damit auf, Gesetze als dringlich zu erklären. Und in der Schweiz kehrte wieder politische Stabilität ein.
Denn, wenn man mit einem Gesetz nicht einverstanden ist, braucht man nicht auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, sondern man organisiert einfach ein Referendum. Und dann entscheidet das Volk. Das stärkt auch die Position des Parlaments gegenüber der Exekutive, da immer eine Referendumsdrohung im Raum steht.
Das Referendumsrecht musste also immer wieder verteidigt und konnte sogar erfolgreich erneuert werden – bis 2020.
Ja, es lief alles sehr gut – bis zur Corona-Krise. Ab da hat das Parlament alles, wo Covid oder Corona draufstand, als dringlich erklärt. Diese Gesetze waren zwar dem Referendum unterstellt – das konnte nicht verhindert werden – aber sie traten sofort in Kraft.
2021 gab es eine Referendumsabstimmung, bei der immerhin 40 Prozent Nein zu den Covid-Gesetzen sagten. So sind wir das einzige Land, in dem amtlich bestätigt ist, wie viele gegen diese Maßnahmen waren. Das Referendum scheiterte wohl auch, weil finanzielle Hilfen und Subventionen für Unternehmen an diese Corona-Gesetzgebung gebunden waren.
Wie und wann ist die Idee für diese neue Genossenschaft entstanden?
Ich habe damals eine Volksinitiative lanciert. Sie sollte das Referendumsrecht stärken, indem Volk und Stände innerhalb von 100 Tagen über dringliche Bundesgesetze entscheiden müssen. Statt einem fakultativen Referendum, sollte es ein obligatorisches Referendum geben. Wenn Volk und die Kantone Nein sagen, wird das Gesetz außer Kraft gesetzt.
Ein Einzelner kann in der Schweiz gemeinsam mit ein paar anderen relativ viel bewirken. Denn die Institutionen sind vorhanden, man muss sie einfach nur benutzen. So habe ich diese Giacometti-Initiative lanciert. Für uns Schweizer ist es eigentlich nicht notwendig, demonstrieren zu müssen. Aber warum mussten die Maßnahmengegner demonstrieren? Weil das Gesetz schon in Kraft war.
Ich hatte nur 70.000 Unterschriften bekommen, 100.000 sind nötig. Diese Initiative ist also nicht zustande gekommen, aber ich habe weitergedacht: So viele Schweizer machen sich Sorgen um unsere direkte Demokratie. Dann sollten wir vielleicht eine Institution bilden, die wie ein Verfassungsgericht funktioniert.
Denn die Schweiz hat kein Verfassungsgericht. Das Bundesgericht hier in Lausanne stellt die höchste Gerichtsbarkeit dar. Es wendet Gesetze an, aber es prüft nicht die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes – wie zum Beispiel das oberste Gericht, der Supreme Court, in den USA mit seinen neun Richtern. Unser Verfassungsgericht besteht aus 5,5 Millionen Richtern. Wir Bürger entscheiden alle drei, vier Monate bei einer Referendumsabstimmung über eine Sachvorlage, über ein Gesetz. Da kann man Ja oder Nein stimmen. Dieses «Schweizer Verfassungsgericht» tagt immer sonntags.
Was unterscheidet Zaccaria von anderen demokratischen Initiativen?
Oft organisieren Interessengruppen wie Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbände ein Referendum. Die Genossenschaft Zaccaria vertritt die Interessen aller.
Dieses Referendumsrecht hat eine sehr stabilisierende Wirkung. Denn dessen Kern besteht aus der Referendumsdrohung und die ist eine Waffe: Die Parlamentarier nehmen vermutlich das Geld der Banken, Pharma-Unternehmen und so weiter gerne an, können aber immer einwenden, dass wenn sie Gesetze im Sinne der Geldgeber erlassen, es zu einem Referendum kommen wird und es daher vernünftiger ist, im Vorhinein einen besseren Kompromiss zu finden. Diesen berühmten Schweizer Kompromiss.
Das Problem bei diesem System sind die Gesetze – ich nenne sie Waisengesetze –, die keine Väter oder Mütter haben, die sie beschützen. Wenn zum Beispiel Gesetze vom Parlament verabschiedet werden und niemand darüber berichtet. Alles läuft unter dem Radar. Wie beim elektronischen Identitätsgesetz (E-ID), das kurz vor Weihnachten verabschiedet worden ist. Obwohl das Volk, also das Schweizer Verfassungsgericht, vor weniger als drei Jahren zu diesem Gesetz bereits Nein gesagt hat.
Aktuell sammeln wir Unterschriften für das Referendum gegen das Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis. Wir haben 100 Tage Zeit, dem Referendumskomitee diese 50.000 Unterschriften zu senden. Die Chancen stehen gut, dass die 5,5 Millionen Verfassungsrichter, so wie vor drei Jahren, sagen: Dieses Gesetz ist verfassungswidrig, wir wollen es nicht.
Die Schweiz ist das einzige Land in der Welt, in dem 50.000 Unterschriften darüber entscheiden, ob ein Gesetz dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden muss.
Teenager können seit kurzer Zeit ihr Geschlecht im Zivilstandsregister ändern, ohne Einverständnis der Eltern. Solche Gesetze haben wir im Visier. Wir wollen eigentlich, dass die Parlamentarier besser arbeiten. Wir haben ja auch die Möglichkeit, den Abgeordneten zu sagen, dass wir ein Referendum organisieren, wenn sie das so beschließen.
Ihre Genossenschaft fungiert sozusagen als Gerichtskanzlei?
Ja. Jedes Gericht hat normalerweise eine Kanzlei, die Klagen entgegennimmt, registriert und dann die Verhandlungen, die Referendumsabstimmung, organisiert.
In der Schweiz gibt es diesen Begriff «referendumsfähig». So wird eine Organisation bezeichnet, die fähig ist, ein Referendum zu organisieren. Das sind meistens Gewerkschaften, politische Parteien, Hauseigentümerverbände und so weiter. Das sind immer Vereine.
Zum Beispiel ein neuer Verein, der aus der Corona-Zeit stammt, heißt «Freunde der Verfassung». Sie hatten sehr viel Erfolg und haben wirklich Leute zusammengebracht, die mit den Maßnahmen unzufrieden waren. Das Problem bei Vereinen ist immer die Vereinspolitik. Es wird oft gestritten und dann geht so viel Energie verloren. Eine Genossenschaft ist hingegen viel stabiler. Sie ist wie ein Unternehmen, ist im Handelsregister eingetragen und hat eine Geschäftsführung – in der Genossenschaft wird diese «Verwaltung» genannt –, die über alles entscheidet.
Wer prüft bei Zaccaria die Gesetze und wie geht es danach weiter?
Viele Menschen haben keine Zeit und auch nicht die nötigen Kenntnisse, um zu verfolgen, welche neuen Gesetze verabschiedet wurden und ob diese funktionieren. Und diese Aufgabe übernimmt die Genossenschaft Zaccaria. Wir sind ein Team von Juristen und Ökonomen, und wir werden auch mit Rechtsinstituten und sachkundigen Köpfen zusammenarbeiten und uns beraten, ob ein Gesetz so bedeutsam beziehungsweise folgenschwer ist, dass das Volk in letzter Instanz darüber entscheidet.
Parteien, Verbände und Vereine wollen lieber ihr Pulver im Trockenen halten und nur ihre eigenen Sachen unterstützen. Unterschriften sammeln ist natürlich kostenintensiv und da kommen die Mitglieder unserer Genossenschaft ins Spiel, die als Multiplikatoren wirken.
Wenn wir als Verwaltung von Zaccharia auf ein Gesetz stoßen oder aufmerksam gemacht werden, das verabschiedet wird, entscheiden unsere Mitglieder, ob ein Referendum organisiert oder unterstützt werden soll. Damit man an dieser Abstimmung teilnehmen kann, muss man einen Betrag bezahlen, sagen wir 30 Franken. Wenn die Mehrheit der Genossenschaftsmitglieder gegen ein Referendum stimmt, bleiben diese 30 Franken in der Kasse. Ansonsten werden die 30 Franken benutzt, um das Referendum zu finanzieren.
Wir verkaufen auch Jacken mit dem Aufdruck «Verfassungsrichter». Wenn man zeigen kann, dass man Verfassungsrichter ist und Verantwortung trägt dann kommt man, zum Beispiel im Büro oder bei Freunden, sofort ins Gespräch. Damit können unsere Mitglieder und auch die 5,5 Millionen Richter zeigen, dass sie sich ihrer Bedeutung und Aufgabe bewusst sind. Mit dem Verkaufserlös können wir unsere Strukturen aufbauen.
Wir wollen auch Kongresse für Interessierte aus anderen Ländern organisieren, um das schweizerische System zu erklären. Denn viele hören «Referendum», aber denken an etwas, was bei uns die Volksinitiative ist. Diese gibt es auch und sie ist in bestimmten Situationen auch nötig, aber viel zentraler ist das Referendumsrecht.
Wie sollen die 50.000 Unterschriften für ein fakultatives Referendum zustande kommen?
Die Bürger sind aufmerksamer geworden. Besonders in der Corona-Zeit haben sie bemerkt, etwas läuft nicht mehr rund bei uns. Um Aufmerksamkeit zu erregen, wollen wir Öffentlichkeitsarbeit machen, Werbung schalten und zu anderen Veranstaltungen gehen. Und wir zählen dabei natürlich auf unsere Mitglieder, die Teil der Genossenschaft sind.
Ihre Genossenschaft möchte also, wie es schon mehrmals notwendig war, die direkte Demokratie verteidigen?
Wir haben ja in der Schweiz keine direkte Demokratie, auf Französisch sagt man «démocratie semi-directe». Das ist präziser, da wir ja ein Parlament haben, also eine Volksvertretung. Die direkte Demokratie im eigentlichen Sinne ist die Landsgemeinde – das Volk kommt zusammen und stimmt per Handzeichen ab. Die Landsgemeinde ist aus dem Almendwesen entstanden, weil die Habsburger im Mittelalter es verpasst hatten, sich um ihre armen Untertanen am Gotthardmassiv zu kümmern. Als im ausgehenden 13. Jahrhundert das Gotthardmassiv geostrategisch zentral wurde, war es schon zu spät. Da hatten sich diese «Hinterwäldler» zu sehr daran gewöhnt, sich selbst zu verwalten – keine fremden Richter, keine Grafen oder Vögte. Schiller beschreibt in «Wilhelm Tell» sehr gut diesen Freiheitswillen, die Selbstbestimmung, aber auch die moralische Integrität.
Auch viele Schweizer scheinen zu vergessen, dass Wilhelm Tell den Tyrannen tötet: «Durch diese hohle Gasse muss er gehen.» War Tell ein Terrorist oder ein Freiheitskämpfer? Wir sind friedfertig. Aber wenn man unsere Freiheit angreift, dann wehren wir uns.
Alle kennen den Spruch des preußischen Militärstrategen Carl von Clausewitz: «Angriff ist die beste Verteidigung.» Aber ein paar Seiten weiter schreibt er in seinem Werk «Vom Kriege»: «Verteidigung ist der beste Gegenangriff.»
Als Genossenschaft wollen wir uns darum bemühen, dass die Schweizer sich darauf besinnen, dass sie Richter sind. Das Volk selbst muss seine Rechte verteidigen – das kann niemand anders für uns tun.
Während der Corona-Zeit gingen Menschen mit der Verfassung oder in Berlin mit dem Grundgesetz in der Hand auf die Straße. Manche wurden deswegen sogar verhaftet. Ich musste an Ernst Jünger denken. Er schreibt in seinem Buch «Der Waldgang» sinngemäß, dass es nicht das Grundgesetz oder die Verfassung ist, die die Unantastbarkeit des Hauses oder der Wohnung beschützt, sondern es ist der Vater mit seinen Söhnen mit der Axt in der Hand.
Aber es genügt nicht, ein Widerstandskämpfer sein zu wollen, man muss auch die Eignung, also Wissen gepaart mit Praxis, haben. Wir müssen uns wieder ausbilden und uns mit den Werkzeugen beziehungsweise Waffen, die in der Verfassung stehen, wie der Referendumsdrohung, verteidigen.
Wir sind keine Verfassungsfreunde. Wir sind Verfassungsschützer! Niemand wird die Verfassung im Sinne des Volkes verteidigen. Das können wir nur selbst tun.
Auch in Deutschland bemühen sich einige Gruppen um eine Referendumsdemokratie nach Schweizer Vorbild. Welche Tipps haben Sie für deren Vorhaben?
Ich bin mir nicht sicher, ob sie den Unterschied zwischen Volksinitiative und Referendum kennen. Wenn sie ein legislatives Gesetzesreferendum in Deutschland einführen wollen, kann ich nur zustimmen. Deutschland hat meiner Ansicht nach das Problem, dass der Bundestag viel zu schwach ist. Er ist aufgebläht, aber bei den Parlamentsdebatten sind immer nur 40 Leute anwesend, weil wegen des Fraktionszwangs alle parieren müssen.
Die Einführung eines Gesetzesreferendums würde die Position des Bundestages gegenüber der Regierung stärken. Dann könnte man auch die Kosten für das Bundesverfassungsgericht einsparen.
Ich muss sagen, als die Corona-Geschichte begann, hatte ich eine idealisierte Vorstellung von einem deutschen Richter. Schweizer Richter werden ja in den Gemeinden und so gewählt, sie müssen oft nicht einmal Juristen sein. Ich hatte mir gesagt, was die Regierung – Angela Merkel, Jens Spahn, Karl Lauterbach und so weiter – macht, werden die deutschen Richter ganz bestimmt als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erklären. Was habe ich mich getäuscht! Es gab den Familienrichter in Weimar, Christian Dettmar, aber sonst niemanden.
Ich glaube, Deutschland kann auf das Bundesverfassungsgericht verzichten, aber es muss das Referendumsrecht einführen. Das Volk weiß am besten, was es will und braucht. Man braucht auch Volksvertreter, wie hier in der Schweiz, aber man muss sie über das Referendumsrecht kontrollieren. Es steht jedem Volk frei, dieses Recht, das wir als Genossenschaft Zaccaria zu stärken versuchen, auch im eigenen Land einzuführen.
Als ich vor Jahren in Abu Dhabi für ein Mitglied der Herrscherfamilie arbeitete, fragte er mich: «Alexandre, was bedeutet Freiheit für Sie?». Meine Antwort: Freiheit in der Schweiz ist nicht nur dieser Katalog von Grundrechten – Bewegungsfreiheit, Religionsfreiheit und so weiter. Das ist nur ein Teil davon. Am bedeutendsten ist, keine fremden Richter zu haben. Wir, die Bürger, entscheiden über alles, was Sie für Ihr Volk entscheiden. In der Schweiz bin ich ein Scheich, ein Mitglied der Herrscherfamilie, gemeinsam mit 5,5 Millionen anderen Scheichs.
Ich bin Jurist und habe ein Nachdiplom in Betriebswirtschaft erworben. Ich war viel im Ausland, aber ich bin in der Schweiz aufgewachsen, und da hat man schon eine gewisse Vorstellung, was Freiheit bedeutet. Und dass man für seine Freiheit einsteht und dafür kämpft, wenn es sein muss. Als Genossenschaft Zaccaria wollen wir diese Freiheit, die uns die Referendumsdemokratie gewährt, bewahren und stärken.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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