Der Journalist Alex Baur beklagt in der Weltwoche, wie seit Anfang der Corona-Krise einzelne Exponenten des öffentlichen Bildungs- und Gesundheitsapparates via Medien die Landesregierung vor sich hertreiben.
So forderte beispielsweise Martin Ackermann, Chef der nationalen Corona-Task-Force, nach dem dubiosen Alarmsignal aus Schwyz via NZZ eine generelle Maskenpflicht. Noch während der Bundesrat über Notmassnahmen beriet, forderte dann der Berner Chefarzt Aris Exadaktylos via SRF namens der Notfallmediziner ultimativ «schnelle, eingreifende, flächendeckende und überregionale Massnahmen zur Eindämmung dieses Covid-Flächenbrandes».
Die beschlossenen Massnahmen des Bundesrates seien dann nicht so weit gegangen, wie von einigen Exponenten gefordert. Doch mit der landesweiten Maskenpflicht hätten die Warner einen wichtigen psychologischen Sieg errungen. Im März, als es noch darum ging, den Lockdown als sinnvolle Massnahme zu «verkaufen», sei der Nutzen der Masken als Schutz gegen Corona verneint, schreibt Baur.
«Doch ein halbes Jahr später ist plötzlich alles ganz anders. Die Maske ist das Wahrzeichen der Scharfmacher im Kampf gegen die Skeptiker. Ihre Funktion ist pädagogischer Natur: Dem Bürger soll tagaus, tagein vor Augen geführt werden, wie ernst die Lage ist», schreibt Bauer. Und weiter:
«Tatsächlich sei die Wissenschaft nicht nur bei der Maskenfrage weit von einem Konsens entfernt. Der Streit um die Gesichtsverhüllung stehe sinnbildlich für den Konflikt zwischen zwei Gruppen: den Warnern und den Pragmatikern.
Als Galionsfigur der Warner gelte der deutsche Virologe Christian Drosten. Die Warner setzten auf das ’Containment’. Die Ausbreitung von SARS-CoV-2 solle mit allen Mitteln eingedämmt werden, bis eine Impfung vorliege. Auf der anderen Seite stünden die Pragmatiker um den schwedischen Epidemiologen Anders Tegnell. Die Pragmatiker befürchteten, dass die Nebenwirkungen der Eindämmungspolitik mehr Leid und Schaden anrichteten als das Virus und plädierten dafür, den Schutz auf Gefährdete zu fokussieren. Aus ihrer Sicht sei eine nachhaltige Eindämmung gar nicht möglich; die Gefahr sei erst gebannt, wenn ein grosser Teil der Bevölkerung angesteckt worden sei und Abwehrkräfte entwickelt habe: die famose Herdenimmunität.»
Zur Herdenimmunität meint Baur: «Der wissenschaftlich seit Jahrzehnten unbestrittene Begriff ist erst in jüngster Zeit in Verruf geraten, weil er fälschlicherweise mit dem darwinistischen Prinzip des Überlebens des Stärkeren konnotiert wird. Gemeint ist mit Herdenimmunität aber das Gegenteil: Die ’Herde’
schützt die Verletzlichen in ihrer Mitte, indem sie eine kollektive Immunität um sie herum entwickelt. In Tat und Wahrheit setzt auch die von den Warnern geforderte Durchimpfung der Bevölkerung auf nichts anderes als eine Herdenimmunität.
Um die spontane Abwehrreaktion gegen das Coronavirus stehe es viel besser als anfänglich befürchtet. Anders lasse sich nicht erklären, warum die meisten Menschen eine Ansteckung locker oder sogar symptomlos wegsteckten. Aufgrund der Erfahrungen wisse man heute ziemlich genau, wen man schützen muss: 96,8 Prozent der bislang in der Schweiz Verstorbenen mit einem Covid-19-Befund waren über sechzig Jahre alt, 69,2 Prozent sogar über achtzig.»
Aufschlussreich in dieser Beziehung seien die Hintergründe der im Kanton Schwyz Anfang Oktober explodierten Fallzahlen. Auslöser, darüber sei man sich einig, war der Jodel-Event «Uf immer und ewig», bei dem am 24. und 25. September insgesamt rund tausend vor allem ältere bis hochbetagte Semester im Mythenforum aufeinandertrafen. Auf dem bisherigen Höhepunkt der Welle (15. Oktober) wurden 25 Personen in Spitalpflege registriert. Sechs betagte Menschen verstarben bis Anfang der Woche, wobei drei von ihnen über neunzig Jahre alt geworden waren.
Das Drama habe sich interessanterweise auf das Einzugsgebiet des Spitals Schwyz beschränkt. In den beiden anderen Spitälern des Kantons (Lachen und Einsiedeln) seien die Betten auf der Covid-19-Station weitgehend leer geblieben. Offenbar habe sich die Lage in der Kantonshauptstadt mittlerweile wieder etwas entspannt. Am Montag seien noch 22 Personen in Spitalpflege vermeldet gewesen.
In der Analyse des Jodel-Events kommt Baur auf zwei Faktoren zu sprechen, die seiner Ansicht nach das Jodelfest zum sogenannten Superspreader-Event gemacht hätten. Erstens sei die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung beim Singen und, mehr noch, beim Jodeln besonders gross, was – zweitens – erst recht bei einem geschlossenen Raum gelte.
Vor allem aber sei es fahrlässig gewesen, so viele Senioren einem derartigen Risiko auszusetzen.
All diese Risikofaktoren seien seit einem halben Jahr hinlänglich bekannt. Statt der ganzen Schweiz nun Masken aufzuzwingen, wäre es klüger, Grossveranstaltungen in geschlossenen Räumen vorläufig einzuschränken.
Der Berner Epidemiologe Christian Althaus weise darauf hin, dass genau das im vermeintlich liberalen Schweden getan werde. Die Tragödie von Schwyz zeige zudem einmal mehr auf, dass fast nur ältere Semester gefährdet seien. Man müsse sie deswegen nicht gleich alle einsperren. Vielmehr wäre es ihnen zuzumuten, dass sie sich eigenverantwortlich selbst besser schützten.
Baur fordert mehr Eigenverantwortung: Der aufgeklärte Bürger muss selbst entscheiden, welche Risiken er in Kauf nehmen will. Die allgemeine nationale Maskenpflicht – eine Art Zwangsbekehrung, der sich alle zu unterziehen haben – gehört definitiv nicht in diese Kategorie.
Für Politiker und Journalisten sei es stets verlockend, sich mit radikalen Aktionen als Macher zu profilieren, auch wenn sie in Wahrheit opportunistisch im Strom mitschwämmen. Sich dem Druck zu verweigern, wie dies etwa Schweden getan habe, brauche ungleich mehr Mut. Wer den Teufel an die Wand male, stehe immer auf der sicheren Seite. Wenn es dann doch nicht so schlimm komme, könne man immer behaupten, das sei den Massnahmen zu verdanken. Dabei werde unterschlagen, dass die falsche Remedur mitunter fataler sei als die Krankheit.