Der britische Economist erstellt regelmäßig wirtschaftliche Ranglisten der Länder. Die neuste Ausgabe ist letzte Woche erschienen. Die Einteilung von Ländern in reich und arm ist eine komplizierte Aufgabe: Maße wie das Bruttoinlandprodukt (BIP) – daran wird die Wirtschaftsleistung gemessen - werden zum Beispiel von der Bevölkerungszahl beeinflusst (mehr Menschen bedeuten in der Regel mehr Leistung).
Eine Anpassung an die Bevölkerung, also die Errechnung des BIP pro Kopf, reicht jedoch nicht aus. Das Einkommen pro Person berücksichtigt die Preisunterschiede zwischen den Ländern nicht. Ebenso wenig berücksichtigt es die Produktivität (Gesamtleistung pro Arbeitsstunde).
Um ein umfassenderes Bild zu erhalten, stuft der Economist die Länder nach drei Maßstäben ein: Einkommen in Dollar pro Person, an die lokalen Preise angepasstes Einkommen (bekannt als Kaufkraftparität oder KKP) und Einkommen pro Arbeitsstunde.
Wenn wir uns auf die USA konzentrieren, dann fällt auf, dass das Land auf den 10. Platz zurückfällt, wenn man das BIP pro Kopf um die Kaufkraft und die Arbeitsstunden bereinigt. Das liegt an den gestiegenen Preisen, den langen Arbeitstagen und den begrenzten Ferien- und Feiertagen.
Die Ergebnisse für China – der nominal zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt – sind sogar noch deutlicher: Das Land liegt auf Platz 69 beim Pro-Kopf-BIP, auf Platz 75 bei der kaufkraftbereinigten Betrachtung und auf Platz 97 nach Berücksichtigung der geleisteten Arbeitsstunden. Macau, eine Sonderverwaltungsregion Chinas, verzeichnete den größten Anstieg des Pro-Kopf-BIP gegenüber dem Vorjahr.
Burundis Pro-Kopf-BIP liegt bei gerade einmal 200 Dollar pro Jahr und ist damit das niedrigste aller Länder in der Rangliste. Selbst wenn man die billigen Preise und die unterdurchschnittlichen Arbeitszeiten (fast die Hälfte der Einwohner ist unter 14 Jahre alt) berücksichtigt, bleibt das Land auf dem letzten Platz. Je nach Messmethode folgen Sierra Leone oder die Zentralafrikanische Republik.
Ärmere Länder neigen jedoch zu einer hohen Steuerhinterziehung, was die Messung der Gesamtproduktion und der geleisteten Arbeitsstunden erschwert.
«Auch andere Faktoren beeinflussen unser Ranking», so der Economist. Das Medium gibt zum Beispiel nur das durchschnittliche BIP pro Person an, aber die Unterschiede zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Einkommen können erheblich variieren.
In einigen Ländern können die offiziellen Daten irreführend sein. Und Faktoren wie Sparquoten, im Ausland verdiente Löhne und persönliches Vermögen fehlen ebenfalls in den Daten und könnten die Ergebnisse verzerren.
Interessant sind zum Beispiel die Zahlen der Schweiz. Während das Land beim BIP pro Kopf den zweithöchsten Wert erzielt, fällt es hinter Norwegen, Luxemburg, Qatar, Belgien und Dänemark zurück, wenn man die Zahl um die Kaufkraft und die Arbeitsstunden bereinigt.
Einfach ausgedrückt: Schweizer verdienen viel, sie bezahlen aber auch viel, weil das Leben teuer ist. Und um ihr Einkommen zu erreichen, arbeiten sie viel.
Bei Norwegen ist es praktisch umgekehrt: Vom vierten Platz beim BIP pro Kopf landet das Land auf dem ersten Platz, wenn man Kaufkraft und Arbeitsstunden berücksichtigt.
Auch bei Deutschland berücksichtigt man ein ähnliches Phänomen: Beim BIP pro Kopf befindet sich das Land auf dem 18. Platz. Wenn man dann aber die Kaufkraft und die dafür geleisteten Arbeitsstunden mit einbezieht, dann landet es auf dem 12. Platz.
Die Berechnungen des Economist sind insofern wertvoll, da sie eine umfassendere Bewertung der reichsten Länder der Welt liefern und sie nicht auf einer einzigen Messgröße wie dem BIP basieren.
Die Berechnung zeigt zum Beispiel auch – zumindest im Vergleich mit anderen Ländern –, wie Inflation Kaufkraft wegfrisst. Allerdings ist auch diese Berechnung nicht ganz perfekt, denn sie berücksichtigt zum Beispiel die Staatsschulden nicht, die in der Zukunft indirekt von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt werden müssen.
Auch die Unterschiede zwischen Arm und Reich bleiben unberücksichtigt. Wer sich dafür interessiert, kann den sogenannten Gini-Koeffizienten hinzuziehen. Dabei schneiden, nicht überraschend, wieder die skandinavischen Länder mit einer relativ gleichmäßigen Einkommensverteilung sehr gut ab.
Was auch keine Berücksichtigung findet, ist die Zufriedenheit der Bürger, die Sinnhaftigkeit des Lebens in einem bestimmten Land und das Glück der Menschen. Wie der Ökonom und Glücksforscher Bruno Frey sagt, spielt dabei Geld durchaus eine Rolle, aber nicht nur.
Stabile Beziehungen, Freunde, Gesundheit, die politischen Rahmenbedingungen und demokratische Partizipationsmöglichkeiten wirken sich ebenfalls auf die Zufriedenheit aus. In einem Glücksranking würde sich die Schweiz ganz oben hinter den skandinavischen Ländern einordnen. Deutschland läge etwa auf Platz 15.
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