Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) verfügt über Mittel wie kaum ein anderes Medienunternehmen im Land. Rund 1,5 Milliarden Franken Einnahmen macht es jährlich. 335 Franken zahlen die Schweizer für Radio und Fernsehen pro Jahr – gemeint ist die sogenannte Serafe-Gebühr.
Nirgends sonst ist diese so hoch wie in der Schweiz. SRF leistet sich 17 Radio- und 7 TV-Programme sowie diverse Onlineportale mit insgesamt 6900 Beschäftigen.
SRG-Generaldirektor Gilles Marchand erhält jährlich rund 540’000 Franken, SRG-Chefin Nathalie Wappler etwa 450’000 Franken. Die Mitglieder der Geschäftsleitung kassieren im Schnitt 390’000 Franken (Stand 2022).
Von einem Medienunternehmen, das über derartige Ressourcen und Geldmittel verfügt, darf man einiges erwarten. Hinzu kommt: Der Auftrag des SRF ist in der Bundesverfassung klar verankert. In Artikel 93 heisst es:
«Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung (…) bei. (…) Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.»
Doch wie «sachgerecht» berichtet SRF eigentlich? Seit Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist, glänzt das Medienunternehmen durch eine einseitige und selektive Berichterstattung. Fast täglich werden SRF-Zuschauer mit Berichten konfrontiert, in denen die Putin-Regierung in ein schlechtes Licht gerückt wird.
Umgekehrt finden sich auf SRF kaum kritische Berichte über Wolodimir Selenski. Die ukrainische sowie auch die US-Regierung werden regelmässig mit Samthandschuhen angelangt. Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Machtmissbrauch, diese Dinge existieren laut SRF fast nur in Russland, aber nicht in den USA oder der Ukraine.
Ein Beispiel hierzu: Seit vorletzter Woche ist das Thema Nord-Stream wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Der renommierte US-Reporter Seymour Hersh kam in einer ausführlichen Recherche zu dem Schluss, dass die USA hinter dem Terroranschlag auf die Nord-Stream-Gasleitungen stecken (wir berichteten).
Dies hat ihm ein Insider berichtet, der in die Operation eingeweiht war. Stimmt die Recherche von Hersh, ist das ein Kriegs- oder zumindest Sabotageakt gegen einen NATO-Verbündeten; ein Sabotage-Akt wohlgemerkt, der auf die deutsche Infrastruktur und Wirtschaft zielt. Es ist kein Geheimnis, dass Deutschland auf billiges russisches Gas angewiesen ist, das nun durch teureres und umweltschädlicheres Fracking-Gas aus den USA ersetzt wird.
Und was erfahren die Konsumentinnen und Konsument der Schweizer Gebührensender davon? Nichts. Die Hersh-Recherche existiert für das SRF schlicht und einfach nicht.
Man findet im SRF-Archiv zwar zahlreiche ältere Beiträge über Seymour Hersh, der das Massaker von My Lai im Vietnamkrieg und zahlreiche weitere Verbrechen der US-Regierung aufgedeckt hat, darin wird der Investigativjournalist immer wieder heroisiert. «Ikone des US-Amerikanischen Recherchejournalismus», lautet der Titel eines SRF-«Kontext»-Podcasts von 2017. Doch wer etwas über Hershs North-Stream-Recherchen lesen will, der sucht vergeblich.
Wir konfrontierten SRF deshalb und wollten wissen, warum die Zuschauer bisher nicht über Hershs Recherche informiert wurden? Jérôme Jacky, Mediensprecher von SRF, antwortete uns wie folgt:
«SRF hat den Bericht von Hersh gelesen und in seine Berichterstattung integriert. Radio SRF 4 News hat am 9. Februar 2023 einen Beitrag dazu gesendet. Der Radiobeitrag ist online nachzuhören. Der Beitrag fasst den Beitrag von Seymour Hersh zusammen und ordnet seine Recherche im Sinne der Sachgerechtigkeit kritisch ein. Dabei verweisen wir auch auf die schwedische Untersuchung vom Oktober 2022, die davon ausgeht, dass jemand absichtlich die Pipeline gesprengt hat. Auch SRF hat damals darüber berichtet. Wer für die Explosion verantwortlich ist, bleibt aber noch immer ungeklärt. Sollten hierzu zu einem späteren Zeitpunkt verlässliche und bestätigte Informationen vorliegen, wird SRF darüber berichten.»
Interessant: Angesprochen auf die Glaubwürdigkeit von Hersh verwies SRF-Journalistin Martina Koch in dem erwähnten Radiobeitrag auf Watson.
Das Medienportal habe festgestellt, dass Hershs Glaubwürdigkeit in den vergangenen Jahren massiv unter Beschuss geraten sei. Der Grund: Er berief sich bei seinen Recherchen wiederholt nur auf eine oder wenige Quellen. Das habe für Stirnrunzeln gesorgt. Warum gerade Watson dazu befähigt sein soll, die Glaubwürdigkeit von Hersh einzuordnen, bleibt für die Hörer ein Rätsel. Koch macht auch darauf aufmerksam, dass der US-Auslandsgeheimdienst CIA Hershs Bericht als reine Fiktion betrachtet und alles dementiert habe. Und fertig ist die Geschichte für SRF.
Man stelle sich einmal vor, Hersh käme zum Schluss, dass die Russen hinter der Zerstörung der Pipelines stünden. Dann gäbe es seit mehr als einer Woche wohl keinen Tag, an dem SRF nicht darüber berichtet hätte.
Auffallend ist: Die Hersh-Zensur ist längst nicht das einzige Beispiel, in dem SRF durch die Zensur wichtiger Informationen ein fragwürdiges journalistisches Verständnis an den Tag legt. So erfuhren SRF-Zuschauer beispielsweise auch lange nichts über die Twitter-Files.
Der Tech-Gigant Twitter zensierte unliebsame Fakten und Meinungen, verbannte Kritiker der amerikanischen Regierungs- und Massnahmenpolitik und setzte sie auf heimliche schwarze Listen. Twitter tat dies im Auftrag der US-Regierung (wir berichteten). Erst Wochen später berichtete SRF darüber.
Allerdings beschwichtigte SRF gleich. In der politischen Hintergrundsendung «Echo der Zeit» liess Barbara Colpi, SRF-Korrespondentin aus Washington, das Publikum wissen, dass die Enthüllungen nicht als «Beleg einer einseitigen politischen Haltung dienen» können.
«Was in der Welt da draussen passiert, erfährt man – wenn überhaupt – nur bruchstückhaft und verzerrt», schrieb die Weltwoche dazu, die über die Marginalisierung der Twitter-Files bei SRF berichtete. Treffender kann man’s nicht sagen.
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Am 18. Februar, zwei Tage nachdem dieser Artikel verfasst wurde, machte SRF darauf aufmerksam, dass Russland eine Sitzung im UN-Sicherheitsrat beantragt hat und Aufklärung über Nord-Stream-Sabotage fordert (wir berichteten).
In diesem Zusammenhang wies SRF kurz auf Hershs-Beitrag hin und schrieb: «Sein Beitrag wird als Beleg dafür herangezogen, dass US-Spezialtaucher Sprengsätze bei einer Nato-Übung im Juni an den Leitungen in der Ostsee angebracht hätten. Beweise hat Hersh dafür keine.» Viel deutlicher könnte das Framing nicht sein.
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