Wahrheit und Liebe müssen siegen über Lügen und Hass
Václav Havel, tschechischer Dissident, Bürgerrechtler,
Politiker, Schriftsteller und Dramaturg
Liebe Leserinnen und Leser
Vor einem guten Monat war ich an einer Parallelveranstaltung zur 77. Weltgesundheitsversammlung der WHO in Genf. Während sich bei der WHO ein Krimi um die Verabschiedung der Internationalen Gesundheitsrichtlinien (IGV) abspielte, nahm ich an einer Pressekonferenz international tätiger Anwälte und an einer Platzkundgebung teil.
Offiziell lief alles streng getrennt. Man redete nicht miteinander. Eine Diskussion kam nicht in Gang. Eine Anwältin, die an der Pressekonferenz gesprochen hatte, gab mir aber zu verstehen, dass die WHO sehr genau beobachte, was deren Opponenten sagen und tun. Das bedeutet, dass eine solche Opposition auch eine Wirkung hat, auch wenn man sie im Moment noch nicht sieht.
Ich schloss 1989 mein Studium in der Schweiz ab und arbeitete ein Jahr in einem Verlag. Der Job war nicht allzu anspruchsvoll und ich konnte den Systemwechsel in Osteuropa recht genau beobachten, bereiste erstmals einige dieser Länder und las einiges von und über die Menschen, die in einem totalitären System gelebt hatten.
Im Herbst 1990 ging ich dann zu einem Nachdiplomstudium nach England. Ein Dozent für osteuropäische Geschichte machte mich dort darauf aufmerksam, dass der tschechische Schriftsteller und Dissident Václav Havel im Jahr 1978 das Essay «Die Macht der Machtlosen» als Teil eines polnisch-tschechoslowakischen Projekts zum Thema Freiheit und Macht verfasst hatte.
Havels Werk entwickelte sich zu einer der einflussreichsten Schriften für Dissidenten in Mittel- und Osteuropa. Es bot eine tiefgreifende Analyse des posttotalitären Systems und lieferte ein kraftvolles Plädoyer für das «Leben in der Wahrheit» als Mittel des Widerstands gegen Unterdrückung.
Havels Essay demaskiert das posttotalitäre System des Ostblocks als ein auf Lügen aufgebautes System, das von jedem Bürger aufrechterhalten werden müsse. Er beschreibt dieses System nicht als eine einfache Diktatur, sondern als eine komplexe, allumfassende Struktur, die sich durch eine Mischung aus Ideologie, Bürokratie und sozialem Druck auszeichnet. In diesem System sind die Menschen nicht nur Opfer, sondern auch Mitwirkende, die durch ihre alltägliche Teilnahme und stillschweigende Zustimmung zur Stabilität des Systems beitragen.
Ein Dissident ist laut Havel ein Bürger, der versucht, in der Wahrheit zu leben. Jede wahrheitsgemäße Tat, sei sie auch noch so klein, helfe, das System zu durchbrechen und stelle die mächtigste Waffe gegen das System dar. Indem Individuen die Lügen des Regimes ablehnen und authentisch leben, schwächen sie die Basis des totalitären Systems und eröffnen Wege zur Veränderung.
Havels Ideen sind – sie werden erraten haben, auf was ich hinauswill – heute noch relevant. Insbesondere angesichts der Krisen, die westliche Demokratien durchlaufen, wie die Corona-Zeit oder den Krieg in der Ukraine. In der Terminologie von Havel sind wir die Machtlosen, die aber durchaus über Macht verfügen, wie meine Beobachtung in Genf bestätigte.
Wie können wir Machtlosen also unsere Macht ausüben? Vor allem sollten wir nicht still alles über uns ergehen lassen. Wir sollten frei denken, frei sprechen und Strukturen aufbauen, die sich nicht manipulieren lassen. Auch Bemühungen im Kleinen bringen Resultate. Konkret:
- Die Wahrheit sagen, auch wenn das gewisse Risiken beinhaltet. Sich nicht an der Propoganda beteiligen.
- Gemeinschaften bilden, die nicht staatlich kontrolliert und beeinflusst werden. Das kann alles sein: kulturell, intellektuell, politisch, weltanschaulich oder auch religiös.
- Nicht mitmachen, auch wenn es Nachteile mit sich bringt.
- Sich gegenseitig unterstützen – dies stärkt die Opposition.
- Friedlich bleiben. Die Bedeutung des friedlichen Widerstands betonen.
Gewaltanwendung mit Wort und Tat ablehnen. Auf moralische und intellektuelle Überlegenheit und auf die Kraft der Würde setzen. Das Essay «Die Macht der Machtlosen» hatte großen Einfluss auf die oppositionellen Bewegungen in Osteuropa und trug zur intellektuellen Grundlage für die friedlichen Revolutionen von 1989 bei. Wir sollten uns Havels Gedanken und Empfehlungen auch heute zu Herzen nehmen. Dann muss uns nicht Bange sein.
Herzlich
Daniel Funk
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