Der Besuch des türkischen Präsidenten in den USA und sein Treffen mit Präsident Joe Biden waren von langer Hand vorbereitet. Man munkelt, dass das eine von Erdogans Bedingungen für den NATO-Betritt von Finnland und Schweden war.
Grund dafür sei, dass bei den Verhandlungen zwischen Ankara und Washington offenbar keine gemeinsame Basis für die Vorbedingungen des Treffens und gemeinsame Erklärungen gefunden wurden, wie beispielsweise betreffend Unterstützung der Hamas (deren Führung der türkische Präsident vor einigen Tagen in Istanbul traf).
Andererseits berichteten internationale Medien wie Bloomberg und Reuters, dass die Reise schließlich doch stattfinden würde, und zwar am 9. Mai, was nun offenbar auch wieder rückgängig gemacht wurde.
Der türkische Präsident sprach in diesem Zusammenhang die Themen an, die für die USA rote Linien sind:
«Nur weil Israel und seine westlichen Unterstützer dazu aufrufen, werden wir nicht zu denen gehören, die die Hamas mit Schlamm bewerfen und sie als terroristische Organisation bezeichnen. (...) Wir werden unsere Brüder der Hamas, die ihr Heimatland gegen die Besatzer verteidigen, weiterhin als den nationalen palästinensischen Widerstand betrachten», auch wenn der Westen und Israel die Hamas als Terrororganisation behandle», stellte Erdogan klar.
Und er bezeichnete den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu wegen der Operationen in Gaza im Rahmen einer längeren Philippika erneut als «Hitler»:
«In Israel denken sie, dass sie die Morde, die sie in Gaza begangen haben, mit der Presse und der Lobbymacht, die sie haben, vertuschen können und beschuldigen uns des Antisemitismus (…). In ihrer 2000-jährigen Geschichte hat die Türkei nie einen Völkermord begangen, war nie ein Kolonialstaat und hat in einem Kriegszustand nie Zivilisten schikaniert», erklärte er unter anderem.
Dann griff er die USA anlässlich der Erklärung Bidens zum Völkermord an den Armeniern an:
«Anstatt unbegründete Anschuldigungen gegen die Türkei im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1915 zu erheben, sollten die USA einen Blick auf Gaza werfen. Sie sollten sich den Völkermord ansehen, den Israel in Gaza zu begehen versucht, und Anstrengungen unternehmen, um ihn zu stoppen. Wir lehnen die heuchlerische Politik des Westens in Bezug auf Gaza ab, die die Grenzen unserer Geduld überschritten hat.»
Israels Aussenminister Israel Katz konterte: «Ihr wollt das Osmanische Reich wiederherstellen - aber Jerusalem ist nicht Istanbul. (…) Hör auf zu träumen und komm zurück in die Realität. (…) Kehren Sie in die Realität zurück und hören Sie auf, die Türkei in dunkle Gefilde zu ziehen - Sie bringen Schande über Atatürks Erbe und das türkische Volk selbst!»
Kommentar von Transition News
Bemerkenswert an diesem Schlagabtausch ist nicht nur der rüde, undiplomatische Ton. Es fällt auf, dass internationale Medien wie Bloomberg und Reuters darüber gar nicht berichten und nur melden, dass der Besuch verschoben wurde. Sie erwähnen zwar kurz das Gezerre um Gaza, aber die abgefeimten Lügen Erdogans werden mit Schweigen übergangen.
Der türkische Präsident darf einfach behaupten, sein Land habe nie einen Völkermord begangen, war nie ein Kolonialstaat und habe im Krieg nie Zivilisten schikaniert.
Wie war das nur schon mit den Armeniern im Jahr 1915? Der Roman «Die vierzig Tage des Musa Dagh» von Franz Werfel würde Auskunft geben.
Wie war das nur schon mit der Vernichtung oder Vertreibung aller Griechen aus dem bis 1922 mehrheitlich von Griechen bewohnten Smyrna (heute Izmir)?
Wie war das nur schon mit der Zypernkrise 1974?
Welches Kolonialreich dehnte sich schon im 17. Jahrhundert bis vor die Tore Wiens aus?
Welches Land hat die Konstantinopler Griechen, die noch in den 1960er Jahren in die Hunderttausende gingen und durch den Vertrag von Lausanne an sich geschützt sind, durch Schikanen und Pogrome bis auf einen kleinen Rest vertrieben?
Und schliesslich: Wessen Waffenbruder hat im letzten Herbst 120.000 Armenier aus ihrer angestammten Scholle Bergkarabach vertrieben?
Richtig, die Türkei, das ottomanische Reich. Es ist charakteristisch für die Medien von heute, dass sie darauf verzichten, die Lüge als Lüge und den türkischen Präsidenten als abgefeimten Lügner zu bezeichnen.
Und Erdogan’s Verbündeter, der aserische Präsident Ilham Aliyev wird bald behaupten, in Berkarabach habe es nie Armenier gegeben. Und wenige werden ihm widersprechen.
Erdogan hält den Westen für dekadent, heuchlerisch und käuflich. Das Tragische ist, dass diese Einschätzung wohl zutrifft.
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