Praktisch bis heute argumentieren Leitmedien, dass es sich um «tendenziös manipulierte Behauptungen» bzw. schlicht um eine «Legende» handeln würde, im März 2022, also kurz nach Beginn des Russland-Ukraine-Krieges, hätten sich die Widersacher bei Verhandlungen in Istanbul über ein Friedensabkommen verständigt – und dass dies dann vom damaligen britischen Premier Boris Johnson torpediert worden sei.
Das in dieser Beziehung unverdächtige Wall Street Journal (WSJ) hat nun einen Entwurf des Istanbuler Abkommens zwischen Russland und der Ukraine aus dem April 2022 gesehen und besprochen. Die Enthüllung durch das WSJ bestätigt, dass ein solches Friedensabkommen tatsächlich angestrebt wurde – und auch dass Grossbritannien und die USA diesem Abkommen ihre Unterstützung entzogen. Die ukrainische Plattform Hromadske bestätigt die Ausführungen des WSJ.
Der Artikel des WSJ ist zwar in negativem Ton gehalten, bestätigt aber mehr oder weniger das, was wir bei Transition News bereits mehrfach berichteten – nämlich dass es sich bei diesen Friedensbemühungen nicht einfach um eine Chimäre obskurer alternativer Medien oder von «Putinverstehern» gehandelt hat. Um ein Haar wäre der Krieg Mitte April 2022 vorbei gewesen – und wahrscheinlich heute aus den Schlagzeilen verschwunden.
Der 17-seitige Entwurf des Abkommens beinhaltet unter anderem, die Ukraine dürfe keiner Militärallianz wie der NATO beitreten, könne aber Mitglied der EU sein. Es wurde festgelegt, dass keine ausländischen Waffensysteme in die Ukraine eingeführt werden dürfen. Die Grösse der ukrainischen Streitkräfte solle begrenzt werden, wobei Russland eine Obergrenze von 85’000 Soldaten, 342 Panzern und 519 Artilleriegeschützen forderte, während die Ukraine höhere Zahlen vorschlug.
Russland wollte auch die Reichweite ukrainischer Raketen begrenzen und forderte, dass die russische Sprache in Behörden und Gerichten der Ukraine gleichberechtigt verwendet werde, was von Kiew jedoch nicht akzeptiert wurde. Die Souveränität Russlands über die Krim wurde im Abkommen festgeschrieben; ein neutraler Status für die Halbinsel wurde hingegen ausgeschlossen.
Der Entwurf akzeptierte einige Schlüsselbedingungen Russlands, wie die Entmilitarisierung und Sicherheitsgarantien. Die Frage des Status der vier Regionen, die später an Russland angeschlossen wurden, sollte Gegenstand weiterer, direkter Verhandlungen auf Präsidentenebene sein, die jedoch nie stattfanden. Russland verpflichtete sich hingegen, grosse, damals besetzte Gebiete zu räumen, zum Beispiel um die Städte Kiew und Charkiw.
Der Entwurf legte auch fest, dass andere Länder wie die USA, Grossbritannien, China, Frankreich und Russland die Neutralität der Ukraine im Falle einer Verletzung des Vertrages verteidigen sollten.
Gemäss dem WSJ war das Abkommen paraphiert, also fertig ausverhandelt. Das bedeutet, dass die beiden Chefunterhändler die Unterschrift unter das Abkommen setzen und so bezeugen, was in den Verhandlungen erreicht wurde. Rechtsverbindlich war es damit noch nicht.
Der russische Präsident Putin betonte in einem Interview mit dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson am 8. Februar 2024, dass er die Truppen aus den Aussenbezirken Kiews zurückzog, um die Verhandlungen zu erleichtern, aber die Ukrainer hätten die Vereinbarungen auf Drängen des Westens verworfen.
Damit ist klar,
- dass es diese Vereinbarung gab,
- dass sie fertig ausverhandelt und das Gipfeltreffen zwischen den beiden Präsidenten in Vorbereitung war,
- und dass die Vereinbarung zwar aus ukrainischer Sicht nicht ideal war, aber einen gangbaren Weg darstellte, den Krieg schnell zu beenden und zu verhindern, dass die Welt an den Rand eines Weltkriegs gerät.
Dereinst werden die Historiker diese Vereinbarung besser einordnen können. In der Zwischenzeit stellt sich die Frage, warum sie nicht umgesetzt wurde, sprich: warum der Westen das Abkommen torpediert hat.
Kommentare