Ende letzte Woche hat der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seinen jüngsten Lagebericht «Sicherheit Schweiz» veröffentlicht. NDB-Direktor Christian Dussey präsentierte diesen zu Beginn der Woche vor Medienvertretern.
Grosse Medien, die der neusten NDB-Analyse viel Aufmerksamkeit widmeten, fokussierten sich speziell auf das Thema der russischen Spionage – diese bauschten gleich mehrere Medien künstlich auf.
Ein Beispiel hierfür ist Télévision Suisse Romande (RTS). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der französischsprachigen Westschweiz titelte am 26. Juni 2023: «Das Risiko russischer und chinesischer Spionage in der Schweiz nimmt laut dem NDB zu.»
Tatsache ist: Nirgends im Lagebericht des NDB ist die Rede davon, dass die Spionagegefahr durch Russland zunimmt. Die Anzahl russischer Spione sei «stabil» geblieben, so der Lagebericht.
Zwar heisst es darin: «Die Bedrohung der Schweiz durch ausländische, hauptsächlich russische und chinesische Spionage bleibt hoch.» Von einer Veränderung ist aber keine Rede.
«Für die nächsten Jahre erwartet der NDB keine grossen Veränderungen hinsichtlich der Grössenordnungen der Spionageakteure und der Aufklärungsziele und -methoden dieser Akteure.»
Anders als RTS dem Publikum suggeriert, schliesst der NDB nicht aus, dass die Spionagetätigkeit – insbesondere von Russland – zuletzt womöglich wieder abgenommen hat. «Andererseits sorgen diese Kriegsfolgen jedoch dafür, dass sich die Umstände für russische Spionage in Europa erschwert haben», so der NDB.
Was laut dem Schweizer Nachrichtendienst hingegen zunehmen könnte, sind «anderweitige verdeckte Aktivitäten ausländischer Mächte» in Europa. Dazu der Bericht:
«Mit zunehmender Kriegsdauer in der Ukraine und der Verschlechterung des Verhältnisses zu Europa dürften sehr wahrscheinlich Russlands Hemmungen abnehmen, verdeckt mehr und immer gewaltsamere Operationen in Europa durchzuführen.»
NDB-Direktor Christian Dussey sagte vor den Medien am Montag zudem, dass rund 70 der 220 akkreditierten russischen Diplomaten in der Schweiz in Wahrheit Spione seien. Eine Aussage, die nicht wirklich neu ist. Im Lagebericht selbst heisst es dazu:
«Von den rund 220 Personen, die an den russischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen in Genf und Bern als diplomatisches oder technisch-administratives Personal akkreditiert sind, ist sehr wahrscheinlich nach wie vor mindestens ein Drittel für die russischen Nachrichtendienste tätig.»
Die Westschweizer Tageszeitung Le Temps stellte diese Einschätzungen des NDB gleich als Fakten dar. In der Printausgabe vom Dienstag titelte die Zeitung: «Mindestens 70 russische Agenten sind in der Schweiz aktiv».
Zwar wies sie im Artikel darauf hin, dass dies lediglich eine Schätzung sei, die «sehr wahrscheinlich» sei. Leser, die jedoch nur den Titel gelesen haben, wurden aber bereits in die Irre geführt.
Russland im Fokus
Im Zentrum des neusten Berichts des NDB steht der Krieg in der Ukraine und insbesondere Russland. Laut dem Schweizer Geheimdienst hat Wladimir Putin mit der Invasion der Ukraine 2022 die «regelbasierte Friedensordnung in Europa zerstört».
Der NDB beobachtet, dass internationale Organisationen wie die OSZE und die UNO weiter an «Wirkung» verlieren würden. Eine stabile «neue Weltordnung» sei nicht absehbar. Mit Blick auf die Schweiz schreibt der NDB: «Ein bewaffneter Angriff Russlands auf die Schweiz bleibt äusserst unwahrscheinlich.»
Gefahren sieht der Geheimdienst auch in der Spionage. Unter anderem deshalb, weil die Schweiz durch die vielen internationalen Organisationen besonders exponiert sei und seit diesem Jahr auch Einsitz genommen hat im UNO-Sicherheitsrat. Im Bericht heisst es:
«Europaweit gehört die Schweiz unter anderem aufgrund ihrer Rolle als Gaststaat internationaler Organisationen zu den Staaten, in denen am meisten russische Nachrichtendienstangehörige unter diplomatischer Tarnung eingesetzt werden.»
Mit dem Einsitz im UNO-Sicherheitsrat gehe eine «Spionagebedrohung für Schweizer Personen, die Dossiers und Themen des UNO-Sicherheitsrats betreuen» einher.
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