Die schockierenden Informationen über einen der schwersten Justizirrtümer in der Geschichte Grossbritanniens sind seit Jahren aktenkundig, blieben aber trotz intensiven Drucks von Aktivisten und investigativen Journalisten im Dunkeln, schreibt zum Beispiel die New York Times.
Bis letzte Woche: Eine packende Fernsehserie, «Mr Bates vs The Post Office» (Mr. Bates gegen die Post), die seit dem 1. Januar ausgestrahlt wird, schaffte das, was Politiker ein Jahrzehnt lang vermieden hatten: Sie zwang die Regierung zum Handeln.
Am Tag nach dem Start der Serie erfuhr Produzent Patrik Spence von einem Kollegen, dass mehr als 3,5 Millionen Menschen die erste Folge gesehen hatten. «Ich dachte, ich hätte mich verhört», sagte dieser.
Die Serie untersucht gründlich das Schicksal von Hunderten von Menschen, die Postfilialen in ganz Grossbritannien leiteten und zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt wurden, nachdem ein fehlerhaftes Informatiksystem namens Horizon falsche Lücken in den Konten verursacht hatte.
Im Zeitraum 1999-2015 wurden die Betroffenen von der Post unerbittlich vor Gericht verfolgt, für angebliche finanzielle Verluste, die nie eingetreten waren. Einige wurden inhaftiert, die meisten wurden in den finanziellen Ruin getrieben, mehrere litten unter psychischen Problemen und andere beendeten ihr Leben.
Unter Druck versprach Premierminister Rishi Sunak am Mittwoch, ein neues Gesetz, um alle identifizierten Opfer zu entlasten und zu entschädigen - eine weitreichende Massnahme, die nach Jahren des Zögerns und des Abwehrens endlich für Gerechtigkeit sorgen soll.
In der Zwischenzeit hat die frühere Postchefin Paula Vennells die Auszeichnung «Commander of the British Empire» (CBE) zurückgegeben, die ihr 2019 von der Königin verliehen worden war, nachdem mehr als eine Million Menschen eine Petition unterschrieben hatten, in der die Aberkennung der Auszeichnung gefordert wurde.
Wie hat es eine Fernsehshow geschafft, in einer Woche mehr zu erreichen als investigative Journalisten in mehr als einem Jahrzehnt?
«So brillant der Journalismus auch ist, er appelliert eher an die Intelligenz und den Verstand. Das Drama hingegen spricht das Herz an - und das schon seit tausenden von Jahren», sagt Gwyneth Hughes, die Autorin von «Mr. Bates vs. the Post Office».
Mattias Frey, Professor für Medien an der City University of London, erklärte, das Drama zeige die anhaltende Macht des Fernsehens, die allgemeine Wahrnehmung zu verändern und eine breitere öffentliche Debatte anzuregen.
Produzent Patrik Spence ist der Meinung, dass die Sendung ungewollt zu einem Drama über den Zustand der Nation geworden ist. Sie bringe «eine grössere Wahrheit zum Ausdruck, nämlich dass wir uns nicht gehört fühlen und den Menschen, die uns eigentlich beschützen sollen, nicht vertrauen».
Der Fall ist umso bemerkenswerter, als die königliche Post ein positives Image hat. Im Jahr 2020 wurde zwar eine formelle Untersuchung des Skandals eingeleitet, und es wurden bereits mehr als 172 Millionen Euro als Entschädigung an die Opfer ausgezahlt, trotzdem wurden von den 700 strafrechtlichen Verurteilungen bisher nur 93 aufgehoben - ein langsames Tempo, das den Zorn der Aktivisten weiter schürte.
Seit der Ausstrahlung der Fernsehserie sind weitere Opfer aufgetaucht, aber viele Menschen sind gestorben, bevor sie eine Entschädigung erhalten haben.
Als die Software Horizon feststellte, dass die Konten der Filialen Negativsalden aufwiesen, wurden die Direktoren vertraglich verpflichtet, die Defizite auszugleichen. Einige zahlten von ihren eigenen Ersparnissen, um einer Strafverfolgung zu entgehen, obwohl sie sicher waren, nichts Illegales getan zu haben. Andere bekannten sich bei geringeren Straftaten schuldig, um eine Gefängnisstrafe zu vermeiden, obwohl sie unschuldig waren.
Ein Opfer, Lee Castleton, dessen Notlage in dem Drama dargestellt wurde, sagte der BBC, die Post sei «absolut entschlossen» gewesen, ihm nicht zu helfen. Als sich die Nachricht von seinem angeblichen Fehlverhalten in der örtlichen Gemeinde verbreitete, wurde seine Tochter in der Schule schikaniert und entwickelte eine Essstörung. Er war gezwungen, in einer anderen, weit entfernten Gegend Arbeit zu suchen und im Auto zu schlafen.
Der Protagonist Mr. Bates, gespielt von Toby Jones, wird als ausgeglichener und unermüdlicher Charakter dargestellt, dem - wie anderen Opfern - von der Post gesagt wurde, er sei der Einzige, der Probleme mit Horizon gemeldet habe.
In der Sendung entdeckt Mr. Bates andere Opfer, stellt eine Gruppe zusammen und setzt sich mit bescheidenen Mitteln für sie ein, kämpft gegen eine Reihe von Rückschlägen und erringt schliesslich einen überwältigenden Sieg vor Gericht.
«Er hat diesen langen Marsch der Geschädigten und Missverstandenen angeführt und sich dabei seinen Sinn für Humor bewahrt», so Regisseurin Gwyneth Hughes.
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